Das BGE und ein würdevolles Leben - ein Interview

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Susanne Wiest wünscht sich eine gerechtere Welt. Um ihren Beitrag dazu zu leisten, hat sie eine Petition zum bedingungslosen Grundeinkommen geschrieben. Aufgrund der hohen Zahl an Unterstützern wird diese Petition der 4fachen Mutter am 8.11.2010 im Bundestag diskutiert. Zuerst erklärt uns Susanne aber, was das bedingungslose Grundeinkommen ist und erläutert, warum sie es für durchsetzbar hält.

FreiheitsliebeTeam(FL): Hi Susanne Wiest, du gehörst zu den Unterstützern des bedingungslosen Grundeinkommens. Worin siehst du dessen Vorteile?



Susanne Wiest: Das bedingungslose Grundeinkommen ist meiner Meinung nach der
Kulturimpuls, der zu unserer heutigen Zeit passt. Unser heutiges
Sozialsystem ist entstanden in einer Zeit, als Arbeitslosigkeit eher
ein vorübergehender Zustand war. Das konnte mal passieren und dazu
passte das soziale Sicherungssystem mit Arbeitslosengeld und
Sozialhilfe, heute Hartz4 genannt. Vollbeschäftigung, in dem Sinne, dass jeder
der möchte einen Erwerbsarbeitsplatz finden kann, werden wir, meiner
Meinung nach, nicht wieder erreichen. Wozu auch? Dass es weniger harte
Arbeit gibt, die wir tun müssen, ist ja eigentlich erfreulich. Das
Problem ist, dass viele von uns nun mit dem Erwerbsarbeitsplatz auch
ihr Einkommen verloren haben.
Ich finde es einen wirklichen Fortschritt und auch einen Erfolg, dass
es uns gelungen ist, den Arbeitsaufwand permanent zu reduzieren.
Das ist eine gesamtgesellschaftliche Leistung an der viele
Generationen und wir Alle beteiligt sind. Es gibt also weniger
Erwerbsarbeitsplätze und das haben wir auch so gewollt. Das ist also
eine ganz andere Situation. Arbeitslosigkeit ist keine Pech oder
Zufall oder persönliches Unglück, Arbeitslosigkeit produzieren wir
weil wir das so wollen. Schwere Arbeit erleichtern. Das war doch schon
immer ein menschliches Ziel. Es erscheint mir nun grundverkehrt und
unlogisch, Menschen, die aufgrund dieses Fortschritts keinen
Erwerbsarbeitsplatz finden, der Ihnen ein ausreichendes Einkommen
bietet, an den Rand der Gesellschaft zu drängen. Wir leiden
eigentlich unter einem unbedachten Aspekt dieses Fortschritts. Es ist
zwar immer schön, weniger Arbeit zu haben, immer klüger zu produzieren
und zu wirtschaften, aber trotzdem braucht jeder ein Einkommen.
Insofern finde ich, das bedingungslose Grundeinkomen ist die logische
Antwort auf die hier kurz geschilderte gesellschaftliche Realität.
Arbeit ist ja nicht nur Erwerbsarbeit. Arbeit in einem weiteren Sinne
gibt es genug. Familienarbeit, Arbeit in Vereinen, gesellschaftliches
Engagement, freie Arbeit in der Forschung, Erziehungsarbeit,
Pflege...überall fehlen Menschen. Um tätig sein zu können, brauche ich
ein Einkommen.. Ein Einkommen ist die Basis für alles weitere. Das
erlebe ich immer wieder, wenn ich mit heute ehrenamtlich tätigen
Menschen spreche. Um ehrenamtlich tätig zu sein, muss man sich erst mal
auch leisten können. Mit dem Grundeinkommen geben wir uns eine
Basis ,die jeden trägt, die alle miteinbezieht. Wir sind damit freie,
handlungsfähige und mündige Bürger. Und das ist ein enormer und
gewaltiger Vorteil gegenüber unseren heutigen Regelungen. Wie ich dann
aktiv werden möchte, wo ich mich einbringe, wieviel ich arbeite, ist
meine Entscheidung. Das finde ich zeitgemäß.
Die Hartz4 Bevormundung und Gängelung ist Schnee von gestern. Wer
will das noch?


Für eine bessere Zukunft


FL: Manch einer bezeichnet die Idee vom Grundeinkommen als linke Träumerei, was würdest du dem entgegnen?


Susanne Wiest: Das Grundeinkommen ist eine gute Idee für unsere Zukunft. Es löst und beantwortet einige der Dauerbrennerprobleme unserer Zeit.
Arbeitslosigkeit ist eigentlich ein Erfolg des technischen
Fortschritts. Das Problem für uns ist die damit verbundene
Einkommenslosigkeit vieler Menschen. Arbeit gibt es genug. Nur wird
sie oft nicht bezahlt. Die Entkoppelung von Arbeit und Einkommen
erscheint mir zwingend logisch, um unsere gegenwärtigen Probleme lösen
zu können. Natürlich wünsche ich mir eine Welt, ein Leben, eine
Staatsform, die für uns alle eine gute Lebensbasis bietet. Nach dem
eigenen Vorteil zu schielen und das Wohl der Mitmenschen und der
ganzen Gruppe aus den Augen zu verlieren, erscheint mir unzeitgemäß
und auch kurzsichtig. Ich denke linke Träumerei ist ein altes
Totschlagargument, wenn keine anderen Argumente greifen.
Grundeineinkommen ist nicht links, nicht rechts. Ich empfinde die
Idee als zutiefst menschlich. Sie hat in ihrer Schlichtheit wirklich
Kraft. Von außen ist sie allerdings kaum zu fassen. Nachdenken,
informieren, überlegen, miteinander sprechen. Ich erfasse das Wesen der
Idee erst, wenn ich mich darauf einlasse. Das ist meine Erfahrung. Mit
Träumerei hat das nichts zu tun.

Das Grundeinkommen anstelle von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen

FL: Würde das Grundeinkommen nicht zumindest erst einmal höhere Ausgaben des Staates erzwingen?


Susanne Wiest:Das kann ich nicht genau überblicken. Ich stelle nur fest, dass unser
heutiges System enorme Kosten verursacht und viele Gelder nicht
sinnvoll eingesetzt erscheinen. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und
dergleichen. Das Wort sagt eigentlich schon alles. Krampfhaft und mit
viel Geld Arbeiten zu erfinden, finde ich geradezu peinlich. Der
Staat sind wir. Wenn wir ein Grundeinkommen wollen, dann werden wir
einen Weg finden, es zu realisieren. Wie hoch unser Grundeinkommen sein
wird, hängt davon ab, wieviel wir in den Gemeinschaftstopf
einzuzahlen bereit sind.

FL: In Deutschland gibt es sowohl bei den Grünen als auch bei den Linken Unterstützer dieser Gesellschafts-Idee. Gibt es die auch bei anderen Parteien und wo stoßt ihr auf die größte Kritik?


Susanne Wiest: Es gibt in allen Parteien Unterstützer des bedingungslosen
Grundeinkommens. Und Kritik gibt es auch überall. Innerhalb und
außerhalb der Parteien. Parteien spielen bei dieser Bewegung eher eine
Randrolle. Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens wird von
einem, breiten losen Bündnis vieler Menschen getragen. Eine
Bürgerbewegung Grundeinkommen. Viele sind, wie ich auch, zum ersten
mal politisch aktiv. Es kommt auf uns Bürger an.

FL: Könntest du uns Gesellschaften oder Staaten nennen die näher an der
Verwirklichung eines Grundeinkommens sind und auch Gründe nennen, warum sich diese Idee in unserer Gesellschaft noch nicht durchgesetzt hat?


Susanne Wiest:Es gibt ein erfolgreiches Pilotprojekt in Namibia mit dem Ziel das
Grundeinkommen landesweit einzuführen. Brasilien hat das
Grundeinkommen als Ziel in der Verfassung.
Ich finde die Idee breitet sich rasant aus.

FL:Danke für das Interview

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