30 Jahre CCC: es ist Zeit, endlich erwachsen zu werden

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Wer nicht als Berufsjugendlicher enden will, der sollte rechtzeitig erwachsen werden, denn sonst wird es früher oder später peinlich. Oder wie schon Fontane sagte: Wer mit 19 kein Revolutionär ist, hat kein Herz. Wer mit 40 immer noch ein Revolutionär ist, der hat keinen Verstand. Der Chaos Computer Club (CCC) wird heute 30 – folgt man Fontane, ist der Verein damit inzwischen ein Stückchen näher am Verstand als an der Revolution. Das wäre ihm auch zu wünschen, denn in den vergangenen Jahren hat der Verein zweifelsohne bewiesen, wie revolutionär seine Handlungen sein können - doch bei etlichen Hackern mangelt es trotz aller positiven Entwicklungen offensichtlich noch immer an einer adäquaten Mischung aus Verstand und Revolutionsherz. Da setzt das Hirn gerne mal aus und es beherrschen die Emotionen das Handeln, exemplarisch gerade wunderbar zu beobachten anhand der unsäglichen Schlammschlacht zwischen Hacker Julian Assange und Ex-CCCler Daniel Domscheidt-Berg.

Dieser „Zickenkrieg“ ist freilich nur ein gleichermaßen absurdes wie prominentes Beispiel. Um festzustellen, wo die Hacker ihre Achillesferse haben, reicht meist ein simpler Blick in Usenet-Groups, IRC-Channels oder Mailinglisten und man könnte glatt auf die Idee kommen, daß Herr Uhl von der CDU hier die Erkenntnis gewonnen hat, wie miserabel die Idee einer Diskussion unter Pseudonymen sein kann. Es ist beinahe beängstigend, wie viele Hacker und Nerds immer wieder ihren wunden Punkt zur Schau stellen und damit offen zur Attacke einladen, frei nach dem Motto: Seht her, wir sind technisch überdurchschnittlich kompetent, aber sozial nahezu völlig unfähig! Wir können – um beim Extrembeispiel Wikileaks zu bleiben - ein System entwickeln, welches eine neue Dimension des Whistleblowings ermöglicht, welches die Menschen, die Medien und die Mächtigen nachhaltig beeindrucken kann und das Potential hat, uns Transparenz völlig neu denken zu lassen, doch wir konzentrieren uns früher oder später geradezu zwanghaft (und völlig intransparent) auf kindische Zickereien und stärken so wenig schmeichelhafte Klischees. Ein Problem, welches technische Errungenschaften umgehend erschüttern kann, wie man sehen konnte. Nick Farr faßte es auf dem Chaos Communication Camp etwas prosaischer zusammen: "Wir können die gesamte Galaxie erobern, wenn wir für fünf Minuten aufhören, uns wie Idioten zu benehmen!"

Klingt klischeehaft? Überzogen? Allzu plakativ? Gut möglich, aber es soll ja gerade das Offensichtliche aufzeigen, mit dem die Betroffenen immer und immer wieder zu tun haben - und was ihnen nur allzu oft zum Verhängnis wird. Es ist für mich nach all den Jahren in der digitalen Sphäre immer noch erschreckend, wie offensichtlich, absehbar und beinahe schon routiniert begabte Hacker an den nichttechnischen Herausforderungen scheitern und wie wenig insgesamt dazugelernt wurde. Sie schreien es förmlich in die Welt hinaus, daß genau hier ihre Schwäche liegt, die sich ein Gegner eines guten Projekts leicht zunutze machen kann. Geheimdienstliche Sabotage, patriarchale Medienmacht, physische Gewalt? Klingt nicht nur sehr schnell nach übertriebener Weltverschwörungshalluzination (und damit wieder eher nach unreifen 19- als nach verstandesorientierten 40jährigen), sondern ist so auch gar nicht notwendig: die „Guten“ erledigen sich früher oder später, wenn es zwangsläufig nicht mehr nur um Technik geht, schon fast routinemäßig selbst. Wie lautet ein berüchtigtes Hacker-Bonmot? „Nur weil man paranoid ist, heißt es ja nicht, daß man nicht doch verfolgt wird!“ Wer solch einen Slogan wie eine Monstranz vor sich herträgt, muß mit den Konsequenzen rechnen.

Doch warum hat sich so wenig geändert? Warum geben sich so viele Komputerfrieks immer noch regelmäßig eine solche Blöße? Wie so oft gibt es auch hier mehrere Gründe, die erst in ihrer individuellen Kombination ihre wahre Sprengkraft entfalten dürften. Die überwältigende und immer weiter zunehmende Technikfokussierung und -dominanz im beruflichen wie privaten Alltag dürfte ihren Teil ebenso dazu beitragen wie der daraus resultierende berufliche Erfolg und die soziale Anerkennung, welche nur allzu leicht zu falschen Schlußfolgerungen verführt. Dazu kommt die notorische Ungeduld, an der viele Diskussionsrunden und individuelle Gespräche scheitern: Demut und Offenheit sind hier selten zu finden, denn dafür müßte man sich den Unzulänglichkeiten der anderen öffnen, ihnen zuhören, auf sie eingehen, viel Toleranz beweisen und über den Tellerrand hinausschauen. Und selbstverständlich gibt es den harten Gegensatz von Technik und Sozialem: Digitale Technik hantiert mit diskreten Werten, während das Soziale oftmals diffus, unklar, unscharf ist. Sozialwissenschaft ist eben keine Ingenieurwissenschaft, Psychoanalyse keine physikalische Messung, Sozialkompetenz permanent im Wandel. Menschen sind häufig unzuverlässig, machen Fehler, handeln irrational, sind nur begrenzt berechenbar, aber das unterscheidet sie letztlich – zum Glück - von den Maschinen.

Entscheidend sollte für Hacker mit Weltverbesserungsimpetus deshalb wohl sein, daß sie ihre Schlüsse daraus ziehen. Wenn man sich in die weite analoge Welt hinauswagt, eine Welt mit menschlichen Schwächen, enormen emotionalen Bandbreiten und Möglichkeiten, dann sollte man nicht allzu technikfokussiert sein. Es ist dabei aber gar nicht nötig, so wie einige immer unken, gleich Sozialwissenschaften studiert zu haben: meist scheitert es ja schon an der o.a. Offenheit und Bereitschaft, sich auf andere Denkrichtungen einzulassen. Hier sollte man also zuerst ansetzen. Wer all dies nicht will und allein das Programmieren unter Gleichgesinnten als seinen Königsweg betrachtet, der sollte sich jedoch von dem Gedanken verabschieden, mit diesem Repertoire die Welt selber nachhaltig verändern zu können. Dann kann man Whistleblowern immerhin die Technik bereitstellen, aber mehr eben auch nicht. Und das ist auch an sich gar kein Problem, denn auch wer keine Führungsfigur ist, kann trotzdem ein gefragter Experte, eine „kreative Quelle“ sein. Doch wer sich die Hilfeleistung für Bürgerinnen und Bürger im digitalen Raum auf die Fahnen geschrieben hat, wer eine Interessenvertretung für digitale Bürgerrechte, eine Bewegung sein will, der sollte auch entsprechend agieren. Solange sich die vielen technisch begabten, aber sozial unbegabten Experten nicht zusammenreißen und interdisziplinär zusammenarbeiten sowie nicht ausschließlich demokratischen Grundsätzen folgen und nicht ihrer selbstprogrammierten Blase entfliehen, solange werden sie nicht an der Technik scheitern, sondern an der Realität, die jenseits der Grenzen eines Computerchips wartet.

Der CCC steht deshalb am Scheideweg und man muß sich nun überlegen, was man sein will: entweder Nische oder Bewegung. Man kann nicht klein und groß zugleich sein, genauso wenig wie man jugendlich und erwachsen zugleich sein kann. Versucht man die Quadratur des Kreises trotzdem, wird es einem letztlich so wie all den anderen Berufsjugendlichen/-revoluzzern gehen, die sich nette, revolutionäre Visionen zusammenspinnen, aufgrund der zunehmenden Realitätsferne jedoch irgendwann nur noch grotesk und albern wirken und mit 40 deshalb völlig zu Recht da stehen, wo sie hingehören: im Abseits. Dies wäre dem Verein jedoch keinesfalls zu wünschen. Im Sinne der bisherigen Leistungen wäre eine Weiterentwicklung von einem etwas schrägen, aber technisch hochkompetenten Expertenzirkel mit revolutionärem Nukleus hin zu einer ebenso kompetenten, aber breit verankerten, erwachsenen Bewegung mit entsprechender Schlagkraft ein für die digitale Welt spannender und sinnvoller Weg. Man muß ihn allerdings auch beschreiten wollen.

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Geschrieben von

Stephan Humer

Stephan G. Humer

Promovierter Diplom-Soziologe u. Informatiker; Professor und Leiter Forschungs- und Arbeitsbereich Internetsoziologie, Hochschule Fresenius Berlin; Koordinator Spitzenforschung, Netzwerk Terrorismusforschung e.V.

Stephan Humer

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