Die beiden trennen Welten: Herr Uhl von der CDU und das Internet

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Wenn man den Innenexperten der CDU-Bundestagsfraktion Hans-Peter Uhl in den Medien zum Thema Internet reden hört, ahnt man schnell, daß das nicht sehr lange gutgehen wird. Und so zeigte sich Herr Uhl auch am Dienstag bei Phoenix wieder von seiner besonders analogen Seite, die erfahrungsgemäß der digitalen Lebensrealität diametral entgegen zu stehen und auch keinerlei Berührung mit derselben zu dulden scheint. Man wolle sich auch weiterhin für Klarnamen im Internet einsetzen, denn man brauche, so Uhl in der Bundestagsdebatte, in unserem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat schlicht keine Anonymität im Internet. Jeder könne sich schadlos zu allen Themen äußern. Wer allerdings politisch diskutieren und ggf. auch mitwirken wolle, der solle sich, so die Idee von Herrn Uhl, bitte auch identifizieren – man habe schließlich nichts zu befürchten.

Mal ganz abgesehen von der Tatsache, daß das nicht nur verdächtig nach dem in anderen Kontexten bemühten Unsinnsmantra „Wer nichts zu verbergen hat, der hat auch nichts zu befürchten“ klingt und das mit den schadlosen Äußerungen freilich eher Wunschdenken als absolute Realität sein dürfte (mit Absolutheitsansprüchen sollte man gerade bei solchen Themen doch sehr vorsichtig sein): der Unterschied zwischen dem bayerischen Stammtisch und dem Internet liegt vor allem im Unterschied zwischen Flüchtigkeit und Persistenz. Das Stammtischgeplauder verfliegt in der Regel und bleibt höchstens (und auch eher unpräzise) im Gedächtnis der wenigen Anwesenden, die Digitalisierung hingegen bewahrt grundsätzlich auch Geplauder nicht nur präziser, sondern vor allem länger und für einen viel größeren, viel diffuseren Personenkreis. Weiß Herr Uhl heute schon, was einem in zehn Jahren digital zum Verhängnis werden könnte? Das wäre erstaunlich, erscheint allerdings höchst unrealistisch.

Und gerade im politischen Bereich sollte man in nicht wenigen Fällen sehr sensibel vorgehen: es dürfte allgemein bekannt sein, daß links- bzw. rechtsextreme Gruppierungen – der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und ihren Gesetzen zum Trotz – nicht selten Listen mit personenbezogenen Daten ihrer „Gegner“ anfertigen und diesen durchaus auch mal wenig erfreuliche Hausbesuche abstatten. Was sagt Herr Uhl dann zu dem nicht unwahrscheinlichen Szenario, daß eine rechtsextreme Gruppe die Namen von schwulen Aktivisten sammelt und sich im Diskussionsforum somit gar nicht auf die Argumente gegen menschenverachtende Schwulenfeindlichkeit konzentriert, sondern nur auf die Identität der Diskutanten? Gibt es da wirklich nichts zu befürchten?

Nun könnte man die Diskussion als medienphilosophisch abtun und darauf verweisen, daß Anonymität im weltweiten digitalen Raum weder technisch noch rechtlich komplett aufgehoben werden kann. Anonymität und Pseudonymität sind deshalb nicht grundsätzlich gefährdet, das ist korrekt. Jedoch würde eine solche Sichtweise massiv zu kurz greifen, denn im Bereich der Bundesverwaltung beispielsweise können Herr Uhl und seine Partei ihre Idee ja durchaus umsetzen und Anonymität bzw. Pseudonymität zumindest massiv einschränken (und damit auch ein nicht gerade erfreuliches Vorbild sein). Schon jetzt setzt zum Beispiel die E-Petition-Website des Bundestages eine umfangreiche Anmeldung mit Namen, Adresse usw. voraus, wenn man dort aktiv werden möchte – und dank des neuen Personalausweises (nPA) könnte man hier sogar eine technisch zwingend erforderliche Echtzeit-Identifikationspflicht einführen. Ohne nPA kein Login, so das mögliche Szenario. Für die Bundesverwaltung eine gleichermaßen zielführende wie effizienzsteigernde Idee und zugleich auch ein Schub für den nPA (sowie gleichzeitig allerdings ein Problem für alle ohne eID-Funktion auf dem Personalausweis).

Keine Angst: hier wird Herr Uhl nicht auf eine neue Idee gebracht. Diese Möglichkeit dürfte den Verantwortlichen längst bekannt sein. Was aber Politikern wie Herrn Uhl noch nicht bekannt sein dürfte, ist die Möglichkeit, hier explizit pseudonym handeln zu können. Soll heißen: es existiert das mithilfe der eID-Funktion problemlos realisierbare Szenario, ohne Darstellung von Vor- und Nachnamen beispielsweise in einem Forum aktiv zu sein. Niemand, auch nicht der Forenbetreiber, hätte hier einen umfassenden Einblick in die eigenen Daten, denn der nPA unterstützt ausdrücklich pseudonyme Handlungen. Das ist nicht weniger als ein extrem starker Schutz der eigenen Identität: das Handeln ist zwar unzweideutig zurechenbar, doch die eigenen Daten fallen Dritten nicht in die Hände. Man könnte dieses Szenario sogar auf die Spitze treiben und mithilfe dieser Pseudonymitätsfunktion nicht nur über Petitionen diskutieren, sondern auch gleich rechtssicher daran teilnehmen. Ohne den Ausweis – also ohne eine „reale Identität“ bzw. nur mit einer Fake-Identität – wäre dies nicht möglich, die Preisgabe der eigenen Daten jedoch wäre nicht nötig.

Hier hätte Herr Uhl endlich mal die Chance, ein System zu fördern, welches ihm eigentlich gefallen müßte: Mehrfachanmelder, Fakeidentitäten und Trolle hätten keine Chance mehr, denn der nPA verbindet die Individuen mit ihren Aussagen. Jeder hätte exakt eine Stimme, so wie in der Demokratie üblich und seit Jahrzehnten bewährt. Dafür würde natürlich nicht mal Herr Uhl wissen, wer genau hinter den Äußerungen und Abstimmungen steckt – er könnte sich jedoch sicher sein, daß es jemand mit einer realen, verantwortungsbewußten Identität ist. So wie im Alltag auf der Straße, wenn ihm mal wieder Nerds persönlich begegnen und aufgrund seiner Internetäußerungen nur müde spotten. Dann braucht er nicht mal ihre Vor- und Nachnamen, um festzustellen, was sie von seiner Netzkompetenz halten.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stephan Humer

Stephan G. Humer

Promovierter Diplom-Soziologe u. Informatiker; Professor und Leiter Forschungs- und Arbeitsbereich Internetsoziologie, Hochschule Fresenius Berlin; Koordinator Spitzenforschung, Netzwerk Terrorismusforschung e.V.

Stephan Humer

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden