Woran scheitert Sebastian Hartmann?

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In dieser Woche gab es eine Nachricht, die Leipzig erschütterte wie weiland der Durchbruch des City-Tunnel-Bohrers unter dem Markt: Schauspiel-Intendant Sebastian Hartmann wird seinen Vertrag nicht verlängern. Das heißt, sein Engagement endet 2013.

Damit erreicht einen Höhepunkt, was vor seinem Amtsantritt 2008 aus dem Nichts auftauchte und sich seit dem als Mantra verselbstständigt hat: die Behauptung als Argument. 1. Hartmann bringt den frischen Wind modernen Theaters nach Leipzig. 2. Wer das nicht toll findet, ist entweder provinziell oder interessiert sich nicht fürs Theater oder beides. Dem sei nun 3. hinzugefügt: Hartmann ist kaum mehr an seinen Gegnern gescheitert als an den Getreuen - weil es keine Debattenkultur gab.

100 Tage nach seinem Amtsantritt postulierte er in einem Interview mit der Leipziger Volkszeitung (LVZ) Theater als „mehr denn je Begegnungsstätte, Kommunikationsort“. Er sagte: „Für mich ist Theater etwas, das plus/minus 20 Minuten stattfinden kann. Ich möchte, dass ein Abend mit meiner oder Ihrer Gegenwart zu tun hat; das macht seine Einmaligkeit aus.“

Für solche Sätze wurde und wird Hartmann geliebt. Weil sein Haus aber ein Ort der Konfrontation, nicht der Kommunikation geworden ist, wird nicht öffentlich nachgedacht über die Gründe, dass Zuschauer weg und Versprechen unerfüllt blieben. Schon nach 100 Tagen tauchte die Zauberformel „Hartmanns Handschrift“ auf, gelobt wurden große Bilder und musikalische Effekte.

Um das eigentlich Geschriebene ging es immer weniger. „Eine grundsätzliche Hinterfragung dessen, was Theater in der Gesellschaft soll, findet kaum noch statt. Man redet vielleicht noch allgemein daher, vom Theater als Bildungsanstalt etwa. Das langweilt mich schon ein bisschen.“ So hatte er es im März 2007 der LVZ gesagt.

Auf beiden Seiten – bei den Verehrern wie den Enttäuschten – werden Zahlen in Stellung gebracht. Es geht um Geld und um Auslastung. „In der Schließung von Spielstätten oder der signifikanten Reduzierung der künstlerischen Produktion mit Verlust der Repertoirefähigkeit sieht Intendant Sebastian Hartmann keine gesicherte Perspektive für das Theater, geschweige denn seinen künstlerischen und kulturpolitischen Auftrag“, heißt es in der Pressemitteilung des Theaters, in der der Intendant darüber informiert, „dass er nicht beabsichtigt, seinen Vertrag über die Spielzeit 2012/2013 zu verlängern“.

„Zählt man pro Theatervorstellung in Leipzig wirklich einmal zusammen, kommt man auf etwa 55 000 [Zuschauer]. Die anderen Seelen, die die Erfolgsstatistik zählt, waren in Konzerten und sonstigen Veranstaltungen (auch Theatergastspielen). Das sind absolut reichlich 15 000 weniger als in der letzten Wolfgang-Engel-Saison. So sehen Erfolge aus?“, rechnet Meinhard Michael im Stadtmagazin Kreuzer mit Zahlen der Spielzeit 2009/10. Sein Fazit: „Der Theater ist hochtourig, aber klein, trotzdem leer und extrem teuer.“

Das Auf- bzw. Abrechnen der Fördermillionen und Zuschauerströme zielt am Problem vorbei. Dieser inszenierende Intendant will vor allem geliebt werden. Von seiner Heimatstadt, von deren Menschen. Ein paar Mal hat er sich Besucheraussprachen ausgesetzt - immer mehr austeilend als annehmend. Da lag das Kind schon im Brunnen und der eigentliche Maßstab, der künstlerische, fiel in Polemiken, etwa auf nachtkritik.de, unter den Tisch. Im Publikum tobten angeblich Alt gegen Jung, Spießer gegen Avantgarde. Es ging aber um Inhalt vs. Oberfläche und Hartmann war Zuschauer.

Hartmann, Jahrgang 1968, ist ein Phänomen. Er hat es als Kapitän eines Raumschiffs in kurzer Zeit geschafft, dass Freunde wie Zweifler von ihm reden, nicht vom Theater. Sein Name ist Synonym geworden für das Haus. Ist er zur falschen Zeit am falschen Ort? Vielleicht. Die Antritts-Inszenierung, "Matthäus-Passion", war ein Versprechen: drei Teile, drei Stile, drei Lesarten. Große Bilder und starke Szenen. Schließlich zerhackte ein Rasender den Bühnenboden. Das scheint zu bleiben: Zerstörung statt Verstörung.

„Provinz siegt über Kunst“, titelt nun leipzig-almanach.de und setzt „kleinkrämerischen Geist gegen die großen Weihen der Kunst“. Kritik an diesem Theater gab es gewiss nicht, weil es zu avantgardistisch war, zu anspruchsvoll. Und im Gegenteil: Inszenierungen wie Hartmanns „Pension Schöller“ waren genau genommen provinziell, sowieso im dritten Teil, in dem er die auf Gegenseitigkeit beruhenden Probleme mit Kulturbürgermeister Michael Faber auf die Bühne brachte. Faber wurde die Zuständigkeit fürs Schauspiel inzwischen entzogen. Geändert hat das freilich nichts.

Nicht Hartmann ist gescheitert. Gescheitert ist ein Toleranzprojekt. Vielleicht wären jene, die nach erster Neugier und Freude Fragen stellten, milder gewesen, hätten sie nicht zu hören bekommen, ewig gestrig zu sein. So einfach ist das nicht. Provinziell ist eher das Publikum, das Anderssehende für blind erklärt. Provinziell sind Lokalpolitiker, die den Intendanten im Regen stehen lassen, indem sie weder Ansprüche noch formulieren noch einen Rahmen abstecken, in dem er sich frei bewegen kann.

Sie wollten, wird immer wieder kolportiert, vor allem jemanden, der ihr Stadttheater ins überregionalen Feuilleton bringt. Womit? Egal. Leipziger Größenwahn. Diese Stadt hätte einen wie Hartmann durchaus aushalten können. Doch im Rathaus wurde er instrumentalisiert im Clinch der Parteien und auf der Straße zum Kompass erklärt im Nebel gesellschaftlicher Orientierungslosigkeit. Diese Verehrung gilt mehr einer Idee als deren Einlösung.

Es gab gute, weniger gute und misslungene Inszenierungen. Wie überall. Es gab viel Neues wie das Weiße Haus als eine Art Wohngebietsspielstätte und die Skala als Experimentierbühne. Es gab Irrtümer, Korrekturen, Erfolge. Warum sich viele abgewandt haben, und zwar Alte wie Junge, Spießer wie Avantgarde, Leipziger wie Gäste - darüber hätte man reden können, müssen. Doch dieser Wille blieb genauso Behauptung wie die Tat.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

kay.kloetzer

Kulturtante in Leipzig.

kay.kloetzer

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