S21 Da kommt was auf uns zu. Kostendruck führt zu Pfusch am Bau.

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Zufälle gibt es …da mach ich mir gerade einen Kopf zu den Lehren aus dem Kölner U-Bahn-Baustellen-Unglück vor knapp 3 Jahren für unsere Tunnel-Freunde in Stuttgart, da schießt es die Saarbrücker Zeitung als erste im Netz : "Bilfinger erhält ersten U-Bahn-Neuauftrag seit Stadtarchiv-Einsturz" !

www.saarbruecker-zeitung.de/nachrichten/Absatz-Auftraege-Produktion-Standardwert-Deutschland-Bau;art27574,4174128

Hat man noch jemals etwas gehört oder gelesen über Ursachen oder Verantwortlichkeiten beim Kölner Unglück ?Ich nicht.Laut einem "Zeit"-Essay vom 04.03.2011 waren bis dahin, zwei Jahre nach dem Unglück, die technischen Ursachen noch nicht geklärt ("…wohl erst 2012 zu erwarten.").

Und das, obwohl doch Deutschlands brutalst-möglicher Aufklärer seit März 2011 die Konzern-Spitze von Bilfinger & Berger (B&B) ziert : Roland Koch.

Kurze Rückblende : am 3. März 2009 stürzt die U-Bahn-Baugrube am Kölner Waidmarkt ein, 2 Menschen sterben, zwei Häuser werden total zerstört, darunter das Kölner Stadtarchiv, eines der bedeutendsten kommunalen Archive Europas mit bis zu 1000 Jahre alten Dokumenten. (Noch) ist nicht erwiesen, dass das Unglück mit dem danach aufgedeckten, von B&B zu verantwortenden kriminellen Pfusch am Bau zusammenhängt. Im Februar 2010 stellte sich nach und nach heraus, dass am Waidmarkt und mehreren anderen U-Bahnhofs-Baugruben in Köln bis zu 83 % der dort vorgesehenen Stahlbügel zur Stabilisierung der Stützwände in betrügerischer Absicht gar nicht eingebaut, sondern auf dem Schwarzmarkt verhökert worden sind. Arbeitsprotokolle wurden systematisch gefälscht, eine funktionierende Bauaufsicht gab es nicht.

www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2010-02/koeln-u-bahn-pfusch

www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/u-bahn-bau-in-koeln-pfusch-verdacht-gegen-bilfinger-weitet-sich-aus-1936740.html

www.spiegel.de/panorama/0,1518,677807,00.html

Bei den Ermittlungen zum Kölner Unglück kam durch Aussagen verantwortlicher B&B-Bauleiter heraus, dass auch bei der 2006 fertiggestellten (3 Jahre nach Plan) ICE-Hochgeschwindigkeitsstrecke Nürnberg - Ingolstadt bei dem von B&B gebauten Streckenteil von 35 km (mit zwei großen Tunnelbauwerken, vier Großbrücken, 24 kleineren Eisenbahn- 11 Straßen-Brücken ) ähnlich systematisch kriminell gepfuscht worden sein soll und jedenfalls Bauprotokolle gefälscht wurden. Die DB leitete im Februar 2010 Untersuchungen ein (sie hatte nach eigenen Angaben erst aus der Presse erfahren, dass B&B den Manipulationsvorwürfen bereits nachging), ließ die ICEs statt mit 300 nur noch mit Tempo 160 fahren, gab in der Öffentlichkeit jedoch andere Gründe dafür an, die Staatsanwaltschaft leitete Vorermittlungen ein. Seit dem war nichts mehr davon zu vernehmen.

Dafür kam im Juli 2011, nicht weit von der ICE-Trasse entfernt, ein sehr ähnlich gelagerter Fall buchstäblich ans Tageslicht : entlang der Baustelle für die neue S-Bahnstrecke Nürnberg – Bamberg wurde bei Fürth festgestellt, dass mehrere Hundert große Bohrpfähle für die Hangabstützung beidseits der Strecke vorsätzlich nicht auftragsgemäß im Boden verankert wurden. Dort wo man nichts sieht, unter der Erdoberfläche, waren alle Pfähle wesentlich dünner als vorgeschrieben und als über der Erde. Verantwortliche Baufirmen hier : Züblin und Helit-Wörner. Die bis zu 400 Bohrpfähle mussten alle wieder entfernt und ersetzt werden. Nie mehr etwas gelesen oder gehört über die Geschichte …

www.nordbayern.de/region/fuerth/db-beklagt-pfusch-beim-s-bahn-ausbau-1.1378776

www.sueddeutsche.de/politik/koelner-bauskandal-verdacht-auf-pfusch-an-ice-trasse-1.74253

www.handelsblatt.com/unternehmen/handel-dienstleister/pfusch-am-bau-neuer-aerger-droht-bilfinger-berger-von-der-bahn/3374794.html

Was das alles mit Stuttgart 21 zu tun hat ?

Leider sehr, sehr viel. Unabhängig von den vielleicht eines Tages tatsächlich noch ermittelten technischen Unglücksursachen, von unterschiedlichen lokalen Umgebungsbedingungen, geologischen Gegebenheiten, die in Stuttgart vielleicht komplett anders gelagert sind (und dass Bilfinger & Berger beim Stuttgarter Tunnelbau noch nicht zum Zuge gekommen ist) , haben diese (Beinahe-)Katastrophen einige gemeinsame Wurzeln. Allerdings organisatorischer Art, in der Art und Weise wie bei solchen Großprojekten Verantwortung ( nicht ) gehandhabt wird. Erste Parallelen kommen in Stuttgart bereits ans Tageslicht.

Was ich meine ist im folgenden Artikel in einem Statement des Frankfurter Flughafenbetreibers (und Groß-Bauauftraggebers) Fraport sehr schön auf den Punkt gebracht : 'Deutliche Kritik hat der Frankfurter Flughafenbetreiber Fraport, einer der größten Bauherren der vergangenen Jahre in Deutschland, an Qualität und Zuverlässigkeit von Baufirmen geübt. "Die Bauwirtschaft muss dringend etwas für Qualitätsmanagement und Rechtstreue tun". […] Erkennbar sei das Muster, dass Aufträge "mit Kampfpreisen quasi gekauft" würden, so Schlegel. Danach versuchten die Unternehmen möglichst viel mit Nachforderungen rauszuholen oder an der Qualität zu sparen. '

www.wiwo.de/unternehmen/bauskandal-bilfinger-berger-deutsche-bahn-laesst-ice-strecke-untersuchen/5624668.html

Ausführlicher widmet sich die "Zeit"in einem Essay vom 04.03.2011 den Zusammenhängen im Rahmen des "Kölner Lehrstücks". Und da sehe ich immer deutlicher Stuttgart 21 vor mir.

"Die politische Ursachenkette zeichnet sich jedoch ab: Sie beginnt mit der verhängnisvollen Entscheidung der Stadt, möglichst schnell eine U-Bahn-Strecke haben zu wollen, die man sich finanziell nicht leisten konnte. Sie setzt sich fort mit dem Beschluss, das Projekt auf das privat wirtschaftende Tochterunternehmen KVB auszulagern. Und sie endet im Versagen von Stadt und Land, eine funktionierende Bauaufsicht sicherzustellen.

Trotz der Sparsamkeit liefen die Kosten aus dem Ruder. 550 Millionen Euro sollte die Strecke kosten. Bereits vor dem Unglück aber hatten die Arbeiten das Doppelte verschlungen. Da fällt es schwer, die üblichen Begründungen mit Preissteigerungen und schwer kalkulierbaren Bauverfahren als alleiniger Ursache zu glauben. In gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen ist von einem weiteren Faktor zu hören: Die Kölner Nord-Süd-U-Bahn sei zu knapp kalkuliert worden – mit politischen Preisen also, die leichter durch die Parlamente gehen. Was zudem beunruhigt: Die Zuschussgeber vom Land und vom Bund sind dagegen nicht konsequent eingeschritten."

Stuttgart 21, ick hör dir trappsen!

" … Fortan rissen die Probleme an der Baustelle Waidmarkt nicht mehr ab. Das zeigen Auszüge aus den Bautagebüchern und Besprechungsprotokollen, die nach dem Unglück den Medien zugespielt wurden. Demnach strömte ständig und in großen Mengen Grundwasser ein. Vier Grundwasserbrunnen hatten sich die Bauunternehmen vorsorglich vom Umweltamt der Stadt Köln genehmigen lassen, um die Baugrube trocken zu halten. Am Ende hatten sie – ohne Genehmigung – noch 19 weitere Brunnen bohren lassen. Statt der erlaubten maximal 450 Kubikmeter Wasser pro Stunde sollen zuletzt mehr als 1300 Kubikmeter stündlich weggeschafft worden sein."

www.zeit.de/2011/10/U-Bahn-Koeln/seite-1unbedingt lesenswert !

Wenn dann der Öffentlichkeit mehrfach kühn versichert wurde, trotz der über 80% fehlenden Stahlanker bestehe keinerlei Risiko für die Stabilität, dann stimmt doch so oder so etwas nicht mit der viel gerühmten "deutschen (Bau-)Ingenieurskunst" !

Es mag aktuell noch mehr ähnliche Fälle geben, solche wo nichts an die Öffentlichkeit dringt oder nur im begrenzten lokalen Umkreis. Nach ein bis zwei aufgeregten Schlagzeilen verschwinden solche Skandale in der Regel ohnehin in der Versenkung. Und natürlich die Fälle, bei denen keiner etwas gemerkt hat, und mit viel Glück bis heute nichts passiert ist.

Zeitdruck, Kostendruck, unwillige bzw. unfähige Politiker als völlig unbrauchbare Kontrollinstanzen ( wobei nicht selten genau deren übersteigerte Selbstdarstellungs-Psychosen zusätzlich Druck aufbauen bzw. solche Prestige-Projekte überhaupt erst in die Welt setzen) ,flächendeckend der Versuch über Sub-Sub - …Untervergabe-Strukturen sich selbst aus der Verantwortung davonzustehlen und die wahren Strukturen und Verantwortlichen zu verschleiern.

Auch die Katastrophe bei der Love-Parade 2010 in Duisburg entstand aus genau diesen Zutaten. Möglicherweise wird der unverantwortliche (!) Bürgermeister Sauerland heute per Volksabstimmung aus seinem Amtssessel gehoben, den er freiwillig nie verlassen wollte.


Was hätten wir in Stuttgart von unserer politischen Klasse diesbezüglich zu erwarten ?

Die ersten Mitverursacher von S21 stehlen sich nach und nach davon (Dürr, Öttinger, Mappus & Co, Schuster, …), die SPD-Hooligans schreien sich für S21 die Kehle heiser und werden trotzdem gar nicht so recht wahrgenommen, die Grünen deren angeblich so kritische Einstellung gegenüber S21 sich immer deutlicher als reine Wahltaktik entpuppt, ... ?

Wir sollten da gar nichts erwarten.

Und eins ist klar –und jeder der damit zu tun hatte weiß es-der besondere Reiz, die besondere Herausforderung im Projektgeschäft liegt doch gerade im kreativen Umgang mit den Projektzielen, den Resourcen, der Rechenschaftslegung ans Management und an die Auftraggeber.

Von dieser besonderen Kreativität erhielten wir in Stuttgart bereits ein paar kleine (bislang noch harmlose) Kostproben :

Es ging ja schon los beim Abriß des Nordflügels 2010. Von 80% Schwarzarbeiter-Quote war die Rede nach einer sehr "erfolgreichen" Zoll-Razzia während der Zerstörungsarbeiten.

www.zughalt.de/2010/08/schwarzarbeiter-bei-nordflugel-abriss/

www.bild.de/regional/stuttgart/schwarzarbeit/razzia-auf-der-baustelle-von-stuttgart21-13649998.bild.html

BILD-Zeitung gab sich ganz aufgeregt :"Es drohen Abmahnung und Vertragskündigung."

Ach was, mit Stuttgarts 1. Bürgermeister, Michael Föll,seinerzeit noch im Beirat der betroffene Baufirma (Müller & Wolff) … ?

Zu Föll und S21 mehr unter : www.kopfbahnhof-21.de/index.php?id=562


Und um den Proporz zu wahren, gleiches auch bei der Zerstörung des Südflügels durch ein Heilbronner Abrißunternehmen.

www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.stuttgart-21-zollrazzia-am-suedfluegel.54fdf42f-2dda-4dbc-a47c-677d3d0fb26e.html

Schon klar, dass hier ja immer die bösen kleinen Sub-sub-Unternehmer erwischt werden, und die namhaften edlen Baukonzerne von nichts gewusst haben.

Noch schlimmer. Denn die Verantwortung verbleibt beim Hauptunternehmer als Vertragspartner zum Kunden.

Und nun die Aufregung um den möglichen Total-Abriß der alten Reichsbahn-Direktion.

Die DB –nein, sorry, der Bauunternehmer- muß Kosten sparen beim Anstich für den Feuerbacher Tunnel. Dieser historische, klassizistisch schöne Gebäudekomplex sticht ja ohnehin schon länger recht störend aus dem architektonischen Nachkriegs-Einheitsbrei des Stuttgarter Stadtzentrums heraus. Wird dann erst einmal die fulminante Giga-Architektur im neuen „Bahnhofsviertel“ fertiggestellt sein (nehmen wir einmal an, es kommt dazu) passt dieses Reliktendgültig nicht mehr in die neue Stadt-Landschaft.

Wurden schließlich in den letzten Jahre vollends alle Vorkriegs- und markanten Nachkriegs-Bauten aus der unteren Königstraße getilgt, um hier jeden optischen Bruch zu vermeiden. Der mögliche Verlust der Bahndirektion erscheint doch auch nur so dramatisch in der kleinlichen Einzelbetrachtung aus der Frosch-Perspektive. (Wutbürger-Blick). Wählt man stattdessen den progressiven, integrativen Ansatz, und entwickelt das Modell zielgerichtet weiter, dann gibt sich das große Ganze zu erkennen :

Ähnliche Probleme mit dem Tunnel-Anstich sind doch auch in entgegengesetzter Richtung, am Wagenburg-Tunnel zu erwarten. Und ? Mitgedacht ? Die Lösung liegt doch auf der Hand : die Verbindung zum Fildertunnel wird ein Stück südwärts verschwenkt, das alte Staatstheater wird abgerissen, jede Menge Platz für die Tunnelbaustelle. Ähnliches wird ohnehin am Tunnel-Ausgang in Feuerbach passieren, weg mit dem alten Hüttenkruscht !

Manche wollen es halt immer noch nicht begreifen,das S21-Projekt“ ist nichts mehr für kleinkarierte, rückwärtsgewandte Kleckerer ( Halbhöhen-Bewohner, Wohlstands-Pensionäre, …) sondern der Quantensprung in den Orbit der gesichtslosen Welt-Städte …

Und wenn wir gerade dabei sind, spendiere ich hier noch den ultimativen Kosten- und Projekt-Optimierungs-Vorschlag. Wenn doch zeitgenössischen Berichten zufolge beim Bau des S-Bahn-Tunnels ganze Teile des Hauptbahnhofs (Kleine Schalterhalle) einen ungeplanten Plumps von 6 cm nach unten heil überstanden haben, müsste es wohl möglich sein mit heutigen technischen Mitteln den kompletten Bonatzbau um ein paar Meter tiefer zu legen. Binden wir den Bonatz-Bhf (Tief) nur über den Feuerbacher Tunnel an, sparen uns den Fildertunnel, haben also zwei Kopfbahnhöfe, das sind zwei halbe Durchgangsbahnhöfe, ergibt in Summe einen Durchgangsbahnhof! ! !

(Patent Kombi-Bahnhof Fas-Net). Das wär doch ein echter Kracher !Helau !

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Geschrieben von

Kopfmachen21

S21 Das dümmste Großprojekt

Kopfmachen21

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