Gegen Religion, gegen Ethik

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Heute soll in Berlin in einer Volksabstimmung entschieden werden, ob künftig an den Schulen weiterhin „Ethik“ als Pflichtfach, und „Religion“ als freiwilliges Wahlfach gelehrt wird, oder aber stattdessen die Schüler / Eltern die Wahl haben sollten, ob sie als Pflichtfach entweder „Ethik“, oder „Religion“ nehmen können.

Ich schreibe diesen Text zu einem Zeitpunkt, als das Ergebnis der Abstimmung längst nicht bekannt ist, dafür aber kann ich vor der Stimmabgabe aber kaum noch jemanden von meinen Meinungen hier beeinflussen. Also kann ich sowohl auf „Besserwisserei danach“, als auch auf Propaganda-Rhetorik verzichten.

Stattdessen möchte ich mich klar für einen dritten Weg aussprechen: Gegen Religion, und gegen Ethik.
Als Unterrichtsfächer an den Schulen natürlich. Denn wie ich zur Religion stehe ist meine Privatsache, und ebenso meine ethische Überzeugungen und deren philosophische Varianten (Aristoteles? Augustinus? Spinoza? Kant?) stehen hier nicht zur Debatte.

Nein, ichbin nicht allzu sehr von dem monatelangen, plakativen und verlogenen Wahlkampf der beiden Lager („ProReli“ & „ProEthik“) so sehr genervt, dass ich nun am liebsten gegen beide stimmen würde. Auch wenn ich gerne erwähne, dass auf beiden Seiten interessanterweise propagandistisch mit wenn nicht den „falschen“, so vorgeschobenen Argumenten als Gründe für die Stimmentscheidung geworben wurde. ProReli warb mit Jauch & Co. vor allem für „Freiheit“ (d.h. die Freiheit der Bürger, sich für eines der Fächer entscheiden zu dürfen), während „ProEthik“ unter dem Slogan „Für Ethik und Religion“ für Religion warb, und mit dem Spruch „Gegen Wahl-Zwang“ (!!) gegen eine mündige Möglichkeit zur Gestaltung des Unterrichts.

Ich kenne und befürworte zwar etliche „Fürs“ beider Seiten, doch nach langen Überlegungen überwiegen bei mir eher die Gegenargumente – für beide Varianten.

Gegen Religion.
Abgesehen von den praktischen Schwierigkeiten, wie der Aufteilung einer Schulklasse in mehrere Untergruppen entsprechend der Religionszugehörigkeit und den Kosten für die dafür notwendigen Lehrer, und abgesehen von der Frage, warum denn der Staat (bzw. die Stadt) dafür bezahlen soll, bin ich der Meinung: Religion ist Privatsache und hat an den Schulen nichts zu suchen.
Gegen Religion an den Schulen spricht auch – aus der rein religiösen Perspektive – dass die Unterrichtsinhalte ohnehin vom Staat genehmigt bzw. überprüft werden würden. Das heißt, hier würde die Religion ihre Freiheit und Autonomie verlieren, denn sie müsste als eine „vom Staat reglementierte Religion“ („Staatsreligion“?) unterrichtet werden.
Klar, die Religionsgemeinschaften stört diese Vermengung von Staat und Religion kaum, denn sie hoffen, so trotzdem in die Schulen und an die Schüler heranzukommen.

Gegen Ethik.
Als erstes spricht dagegen dasselbe Argument wie gegen die Religion: Auch Ethik sollte Privatsache bleiben. Es kling vielleicht nicht sehr „gesellschafts-korrekt“, doch im Grunde kommt die Ethik vom Menschen, und am Schluß endet sie beim Menschen. Soll es wirklich die Aufgabe des Staates sein, Ethik zu lehren? Der Mensch soll an seine Ethik glauben, sie entwickeln, und nicht in Form eines Vortrags stumm in sich aufnehmen.
Der zweite Punkt ist, dass auch hier – wie bei Religion – eine Weltanschauung, eine Ideologie unterrichtet wird. Die Weltanschauung des Staates (oder: der Stadt Berlin). Nein, ich rufe hier nicht zur Missachtung des Grundgesetzes (wie auch anderer Gesetze) auf. Doch nicht nur gegenüber Religionen, auch gegenüber den Dogmen und Leitgedanken eines Staates erlaube ich mir, immer kritisch, wenn nicht skeptisch zu bleiben; auch, und vor allem, wenn ich diesen Staat schätze (was auch meine Einstellung gegenüber Religionen betrifft). Ich kann den Kritikern des Ethikunterrichts wie Wolfgang Thierse gut nachempfinden, die eine Ähnlichkeit (zum Glück/Unglück aber auch – die Nutzlosigkeit) von Ideologie- oder Gesellschaftskundeunterricht diktatorischer Staaten wie der DDR oder Polen nicht übersehen wollen.

Bin ich also ein Kritiker „um der Kritik willen“, indem ich mich hier gegen beide Ideen der Volksabstimmung einsetze? Nein, denn mit meinem doppelten „Nein“ befürworte ich einfach nur die Rückkehr zum Status quo aus den Jahren 1945 – 2005, als es an den Berliner Schulen weder Religion noch Ethik als Pflichtfach gab. In den meisten dieser Jahre war Berlin nicht weniger multikulturell und multireligiös als heute, und man darf nicht vergessen, dass die Einführung des „Ethikunterrichts“ eine panische Blitzreaktion des Berliner Senats nach einem abscheulichen Mord dreier Brüder an ihrer Schwester war (Hatun Sürücü), in dem Glauben, dass ein Ethikunterricht solchen Vorfällen vorbeugen könnte.

Den Glauben (des Senats) kann ich leider nicht teilen, auch wenn die Unterrichtsinhalte der „Ethik“ durchaus nette und praktische Sachen bieten.
Doch in meinen Augen ist es ein nächster überpädagogischer Versuch, an den Schulen noch ein Fach anzubieten, das einem „im Leben helfen soll“ in der Annahme, nur in der Schule könne man etwas lernen. Ähnlich wie Ideen über Fächer wie „Gesunde Ernährung“ oder „Wirtschaftskunde“.
Die Schule soll nicht versuchen, den Ratgeber-Abteilungen von Buchhandlungen Konkurrenz zu machen, denn vieles läßt sich leider nicht vermeiden: weder Ehrenmorde, noch Übergewicht, noch Fälle von konsumbedingter Überschuldung. Sollte man nach einem schlimmen Verkehrsunfall mit Beteiligung betrunkener Jugendlicher auch fordern, „Verkehrskunde“ und „Rauschwissenschaft“ einzuführen?
`
Ich hatte in den 80er Jahren im kommunistischen, aber sehr katholischen Polen „Gesellschafts-Wissen“ (interessanter weise, wie „Ethik“ in Berlin, auch in der 7. & 8. Schulstufe) als Fach an der staatlichen Schule, und – nach der Schule, im Pfarrhaus - „freiwilligen“ Religionsunterricht. Das erste habe ich immer im Halbschlaf verbracht, das zweite war erst interessant, dann zu kindisch, und schließlich zu demagogisch. Ich hoffe nicht, dass ich dadurch zu einem Gesellschaftskrüppel oder Verbrecher geworden bin.
Auch wenn meine Ideen noch so abwegig oder absurd anmuten sollten – die habe ich mir selber, durch Familie, Freunde, Bekannten und Reisen angeignet, kaum durch ideologischen Unterricht.

Gut an der Abstimmung finde ich jedoch, dass sie als Medium der direkten Demokratie stattfindet – und (endlich bei einer Abstimmung in Berlin!) - für den Senat auch bindend ist! Daher wäre das einzig schlechte Ergebnis aus meiner Sicht – eine zu geringe Wahlbeteiligung.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Lukasz Szopa

Balkanpole. Textverarbeiter. Denker-in-progress. Ökokonservativer Anarchist.

Lukasz Szopa

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden