Zeit für die Herabstufung der Rating-Agenturen

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Standard & Poor hat nun auch den EFSF-Rettungsfonds herabgestuft, als ob es nicht genügt hätte sich am vorigen Freitag kurz nach Börsenschluß höchst unbeliebt zu machen, indem in einem Zug die Bonitätsnoten mehrerer EURO-Länder herabgestuft wurden. Böse, böse, diese Rating-Agenturen. Sarkozy, Merkel, Monti und einige Millionen Europäer werden wohl noch schlechter schlafen.

Man kann in solchen schlaflosen Nächten Verschwörungstheorien spinnen, und meinen, es sei ein massiver, geplanter Angriffsakt des „anglo-amerikanischen“ Wirtschaftsmodels auf das europäische. Und sich schrecklich aufregen.

Ich würde nicht so weit gehen, wozu sich emotionell verausgaben. Ich würde einfach das Problem an der Wurzel packen – und den Rating-Agenturen die Macht, die sie wohl haben, entziehen. Anders gesagt:

Es ist höchste Zeit, das Rating der Agenturen selbst herabzustufen!

Dass die Arbeit und die Ratings der Agenturen für viele parteiisch, politisch, verschwörerisch, irrational oder einfach grundlos und falsch erscheinen, ist verständlich:

Es herrscht am Rating-Markt, ob in Europa oder den USA, ein Oligopol der drei mächtigsten Agenturen Standard & Poor, Moody´s, sowie Fitch Ratings. Da ist es – auch wenn diese allesamt nicht ihren Hauptsitz in den USA hätten – kein Wunder, dass man kaum von Konkurrenz und Effizienz der Meinungen sprechen kann.

Die Bewertungsmodelle, -formeln und -verfahren für die Errechnung der Bonität und der Vergabe der Ratings sind höchste Geheimsache, ähnlich der Coca-Cola-Formel oder dem Google-Algorithmus. Es ist aus der Sicht der Agenturen zwar verständlich (ist ja deren Know-How), doch – aus der Sicht der Bewerteten und der Investoren – sehr fraglich und angreifbar. Was, wenn eins der Variablen in einer der Formel doch einer falschen Annahme unterliegt? Was wenn die gesammelten Daten (Werte) falsch oder nur ungenau sind?...

Empirisch gesehen scheinen die Ratings oft genug daneben zu liegen. Ob bei Enron und Lehman Brothers, oder auch... jetzt – während der halbe EURO-Raum herabgestuft wird, hat es kaum einen negativen Einfluss auf die Aktivität der Investoren. Ähnlich wie nach der Herabstufung der USA im August 2011 scheinen die meisten Investoren (Kreditgeber der Staaten) eine eigene Meinung zu haben. Wahrscheinlich auch eine eigene – bessere? - Analyse.

Wenn die Ratings mal daneben liegen – was passiert dann? Nichts. Eine Rating-Agentur zahlt dem Investor oder dem Bewerteten nicht nur keine Entschädigung – nicht einmal das Honorar fürs Rating wird zurücküberwiesen!

Dann gibt es – siehe Enron oder Lehman Brothers – die Frage nach dem Auftraggeber. Das ist einer der heikelsten Punkte. Denn der Auftraggeber der Ratings ist nicht ein Investor, der die Bonität für mögliche Anlagen prüfen möchte – sondern der Geprüfte. Hier stellt sich die Frage nach der Objektivität der Agenturen – vor allem da sie (siehe Einwand 1) – kaum in einem freien, konkurrierenden Markt agieren.

Schließlich die Frage nach dem politischen Handeln der Agenturen. Angenommen, die Ratings sind objektiv und einfach wahr. Ich selbst würde derzeit kaum mein Geld in Griechenland oder Portugal anlegen, und selbst für deutsche Staatsanleihen wären mir 1,8% zu wenig – gemessen am möglichen Ausfallsrisiko. Doch kann es ein Zufall sein, dass Standard & Poor die Ratings mehrerer Länder zum gleichen Zeitpunkt veröffentlicht? Und dazu noch wenige Minuten nach dem Börsenschluß? Es wird mir doch keiner sagen, daß die Ergebnisse der Analysten (die regelmäßig die Länder besuchen um Informationen einzuholen) just zum gleichen Zeitpunkt aus dem Drucker kamen oder online erschienen sind! Würden die Agenturen zum Wohle der Investoren arbeiten, sollten sie doch so bald wie möglich alle Ratings veröffentlichen, und zwar ab besten während die Börse noch offen hat!

Es gibt also genügend Gründe, die Rating-Agenturen endlich herabzustufen.

Und wer soll es tun?

Diejenigen, die ihnen so viel Bedeutung gegeben haben – die (nun selbst leidenden) Staaten und Regierungen! Denn gerade deren Beschlüsse (ob in den USA in 1975*, oder in Europa das Basel-II-Abkommen von 2006) führten dazu, die Rating-Agenturen so mächtig werden zu lassen. Zum erheblichen Teil wurden gerade dadurch die meisten Finanzinvestoren, vor allem Banken, Versicherungen, Pensionsfonds gezwungen, sich bei dem Portfolio ihrer Anlagen an die Ratings zu halten.

Meiner Meinung nach sollte jede Bank, jeder Finanzinvestor selber entscheiden, wem und zu welchem Zinssatz er Geld leihen möchte. Und daher selber dafür sorgen, in Eigenregie fachkundige und möglichst realistische Analysen und Bonitätsratings zu erstellen. Aus Eigeninteresse. Denn selbstverständlich soll dieser Investor dann auch das volle Risiko tragen.

Wenn die Regierungen wieder von Abkommen wie Basel-II abrücken würden, wäre es ein schöner Anreiz für Banken & Versicherer, neue Arbeitsplätze für Finanzanalysten zu schaffen. Und nebenbei für mehr freie Meinung, Konkurrenz und Effizienz an den Finanzmärkten. Dann würde es auch kaum jemanden stören, wenn die drei großen Agenturen ihre Analysten weiterhin beschäftigen und weiterhin ihre AA+ und BB-s kund geben – als einfache Meinungen, nicht mehr.

Der andere Weg – die von vielen Politikern geforderte Schaffung einer „europäischen“ Rating-Agentur wäre ein weiterer Fehler. Wer und wie soll es denn „schaffen“? Die EU, die europäische Zentralbank? Wäre es dann eine Institution oder ein privates Unternehmen? Schon aus diesen zwei Fragen wird klar, dass es noch weniger unabhängig und objektiv als die kritisierten „großen Drei“ wäre. Und - nur weil wir eine vierte „große“ Rating-Agentur hätten, würden die o.g. Rating-Probleme keinesfalls beseitigt werden.

*) Im Juli 1975 setzte die US-Börsenaufsicht (United States Securities and Exchange Commission) fest, dass die Rating-Agenturen die einzigen sein sollten, die die gesetzliche Verpflichtung der Unternehmen erfüllen dürfen, sich bewerten zu lassen, ehe sie für den amerikanischen Kapitalmarkt zugelassen werden. Dies musste von mindestens zwei zugelassenen Rating-Agenturen geschehen. Zugelassen wurden dafür ausdrücklich nur Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch Ratings. (Wikipedia)

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Lukasz Szopa

Balkanpole. Textverarbeiter. Denker-in-progress. Ökokonservativer Anarchist.

Lukasz Szopa

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden