Pimp your brain mit happy pills

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Kontroverse Diskussion zu den Möglichkeiten und Gefahren des Neuro-Enhancement

Wenn Sie sich wundern, dass ihr langjähriger Schachpartner, bisher immer ein dankbares Opfer für die Kibitze der Caféhaus-Galerie, Sie plötzlich mit kombinatorischen Feuerwerken vom Brett fegt, könnte es daran liegen, dass er zu den Pillentestern eines neuen Zweigs der Pharmaindustrie gehört: den Herstellern von Wirkstoffen für das sogenannte Neuro-Enhancement.

Denn wenn es nach deren Vorstellungen geht, sollen in Zukunft nicht nur psychische Störungen mit der Chemiekeule angegangen werden, sondern auch die kognitive Leistungsfähigkeit und psychische Belastbarkeit von eigentlich gesunden Menschen damit gesteigert werden. Schon seit Jahren werden mit dieser Begründung ja viele Schüler mit (vermeintlicher) ADHS-Symptomatik für die Leistungsbewältigung mit Ritalin & Co gefüttert, ohne dass wissenschaftlich fundierte Langzeit-Studien zu Wirkungen und möglichen Schädigungen einer regelmäßigen Einnahme vorliegen.

http://www.coaching-kiste.de/fotos/Tabletten.jpgDie Versuche der Bewusstseinserweiterung durch psychoaktive Substanzen sind wohl so alt, wie sich die Menschen ihres Bewusstseins bewusst (und also unzufrieden) sind. Nicht selten wurde dadurch das Schicksal von Stammesverbänden, Gesellschaftsformen und, ja, der ganzen Menschheit beeinflusst - man denke an die Macht halluzinierender Schamanen oder des Orakels von Delphi, an die alkoholvernebelten Wahnentscheidungen etwa Alexanders des Großen oder Iwan des Schrecklichen (die Dunkelziffer dauerbedröhnter Politiker, Kriegsherren, Könige und Päpste dürfte unser Schätzungsvermögen übersteigen ;-)

Die biochemische Forschung hat in den letzten Jahren viele Präparate entwickelt, die den Vorratsschrank von Mutter Natur als Kleinsortiment erscheinen lassen (wobei die weise Alte im Amazonas-Dschungel wohl noch ein paar Geheimrezepte versteckt hält) und die Befürworter des Recht auf Rausch für Jedermann argumentieren, dass glücklichere Individuen die Basis für eine humanere Gesellschaft sein könnten. Dank der 'happy pills' zur Selbstoptimierung durch Leidverdrängung, Sozial- und Eigenkompetenz durch aufgespritztes Selbstbewusstsein, Leistung und Erfolg durch Synapsentuning und immerwährende Coolness - und alles mit einem empathischen Dauerlächeln dank allgegenwärtigen Oxytozin-Dufts.

Die damit verbundenen möglichen ethischen, sozialen und juristischen Implikationen werden seit einigen Jahren in dem jungen Wissenschaftszweig der Neuroethik diskutiert (auf die aktuellen medizinisch kontrollierten Versuche mit LSD haben wir hier schon mal hingewiesen) und kürzlich hatte das Wissens-Magazin "gehirn & geist" das Thema Neuro-Enhancement zur Titelstory erkoren. Dabei bezog es sich auf ein Memorandum von sieben "führenden" Wissenschaftlern aus der Neurobranche, das "einen bedeutenden Meilenstein für diese Diskussion" (Verlagsbewerbung) darstellen soll. Dieses Memorandum mit dem klargetexteten Titel "Das optimierte Gehirn" können Sie hier als PDF lesen (und auch downloaden/ ausdrucken).

Wie zu erwarten, hat sich daran sofort eine kontroverse Diskussion entzündet, für die Sie sich bei Interesse am Thema ruhig ein paar Stunden Zeit nehmen dürfen: Eine Übersicht der lesenswerten und schon reichlich kommentierten Blogartikel von verschiedenen Autoren finden Sie hier in SciLogs.

Eine meiner Ansicht nach wichtige Frage allerdings wird in dieser laufenden wissenschaftlichen und philosophischen Diskussion noch gar nicht beachtet: Könnte es sein, dass die biologisch-chemischen Eingriffe in Hirnprozesse auch epigenetische Veränderungen, etwa bei unserer allgemeinen Erkenntnis- und Leidensfähigkeit, bewirken und somit möglicherweise - im Positiven wie im Negativen - vererbbar sind?!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

oxnzeam

Notizen, Essays und Rezensionen zu Kultur, Medien, Literatur und Gegenwartsphilosophie

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