Es ist die gleiche bundesrepublikanische Öffentlichkeit, die sich gegenwärtig in Mitleidsbekundungen für die SPD ergeht, die dieselbe Partei mit denselben in Verantwortung stehenden Personen seinerzeit für die „schmerzlichen aber notwendigen“ Reformen der Agenda2010 geradezu mit Lob überschüttet hat. Aber wer hätte denn ernsthaft erwarten können, dass die mächtige Wirtschafts- und Arbeitgeberlobby dieses Landes es der SPD-Rechten auch wirklich danken würde? Dabei haben Steinmeier, Müntefering, Steinbrück & Co. sogar noch ihr Soll übererfüllt, den linken Parteiflügel machtpolitisch marginalisiert und links-progressive, sozial-ökologische Kräfte in Persona von Andrea Ypsilanti und Hermann Scheer geradezu einer öffentlichen politischen Hinrichtung aussetzen lassen. Daher auch sind Unkenrufe über die Blässe von Steinmeiers Schattenkabinett, die gerade durch die Republik hallen, keinen Deut ernst zu nehmen. Dieselbe Öffentlichkeit hätte bei einem Schattenkabinett mit tatsächlicher sozialer und ökologischer Kompetenz, in dem sich etwa Ypsilanti, Scheer, Annen oder Böhning hätten wiederfinden können, sogleich den drohenden Sozialismus und den Niedergang der deutschen Wirtschaft an die Wand gemalt. So bekommt eben die öffentlich relevante Republik, von Bild bis Spiegel, von BDA und BDI bis Illner, genau die Volksparteien und die abzusehende neue Regierung, die sie braucht, um die ewige Mär von der Privatversicherung, dem Fit machen für die globale Konkurrenz und dem enger Schnallen des Gürtels unbehelligt von ernstzunehmenden politischen Interessenvertretungen der Bevölkerung weiter erzählen zu können. Nun ist von der „Mitte“, um die sich jetzt die SPD mit nahezu allen anderen Parteien zu drängen scheint, schon lange nicht mehr genug für alle da, nun wurde und wird trotz miesgelauntem Gesicht von Steinbrück überhaupt nichts Wesentliches in den Finanzmärkten reguliert oder gar verboten, nun ist das Casino schon wieder eröffnet und die Kassen des Staates von Banken und Konzernen geplündert, nun rutscht das Land in Afghanistan in ein Kriegsdesaster – die politische Öffentlichkeit jedoch kann sich derweil beruhigt über den „Kranken Mann SPD“ und Dienstwagenaffären auslassen. Damit bleibt die Auseinandersetzung mit dem, was eigentlich nach der Wahl ansteht, tunlichst ausgeklammert. Es nicht davon auszugehen, dass die SPD-Führung nicht sehr genau wüsste, was in einer offensichtlich angestrebten Großen Koalition an Notstandsverwaltung auf sie zukommen könnte. Sie sind zwar konservativ und technokratisiert, aber nicht dumm. Die Spekulation scheint dahin zu gehen, die Zukunft der SPD ganz und gar von dem Macher-Image der Parteielite, ihrer staatstragenden Funktion und von dem altbekannten Satz: “Erst das Land, dann die Partei“, abhängig zu machen. Damit wird die schleichende Zusammenlegung der beiden Volksparteien im Übergang von einer Legislativ- zu einer Exekutivdemokratie weiter zementiert. Aber jenseits der im inneren weitestgehend entdemokratisierten Staatsverwaltungsparteien, die die beiden Volksparteien heute geworden sind, findet gerade in der Republik ein politischer Neuaufbruch statt. Es sind Themen wie das Grundeinkommen, Bürgerrechte und Netzpolitik, neue demokratische Mitbestimmungsrechte, der Widerstand gegen Atom- und Energiekonzerne oder die Ablehnung des Krieges, um die sich kleine und große zivilgesellschaftlichen Gruppen und lose Netzwerke gegenwärtig zu organisieren beginnen. Die Unfähigkeit von SPD und CDU/CSU mit ihren erstarrten Parteiapparaten und ihren bis zur politischen Unkenntlichkeit disziplinierten Bundestagsfraktionen darauf auch nur einigermaßen angemessen zu reagieren, ist nur allzu offensichtlich. Ihr massenmedial wiedergespiegeltes und damit nur auf sich selbst fokussiertes Bild von Politik beginnt zu verblassen. Bezüglich der SPD bedeutet das ihr endgültiges Ende als historisch-politisches Projekt. Dies ist der Kern ihrer Krise, nichts anderes.
Politik : Bloß kein Mitleid!
Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion
Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.