Grundeinkommen und Klimaschutz (Teil 1)

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Es war nur eine kurze Bemerkung des derzeitigen Bremer Umweltsenators Reinhard Loske in der taz im Februar 2007, die doch bald schon wieder vergessen wurde: „Das Grundeinkommen für jede und jeden könnte die Brücke sein, um übermäßigen Wachstumsdruck von der Gesellschaft zu nehmen.“(1) Im Herbst gleichen Jahres schrieb André Gorz, nach Peter Glotz „einer der einflussreichsten Sozialtheoretiker der europäischen Linken“(2) sowie Väter der politischen Ökologie:

„Die Realwirtschaft wird zu einem Anhängsel der von der Finanzindustrie unterhaltenden Spekulationsblasen. Bis zu dem unausweichlichen Moment, in dem die Blasen platzen, die Banken reihenweise Bankrot gehen, dem Weltkreditsystem der Zusammenbruch und der Realwirtschaft eine ernste und anhaltende Depression droht (...). Man mag die Spekulation der Finanzparadiese, die Undurchsichtigkeit und die fehlende Kontrolle der Finanzindustrie noch so sehr anklagen – insbesondere der Hedge-Fonds –, die Drohung einer Depression, ja des Zusammenbruchs der Weltwirtschaft ist in keiner Weise einer fehlenden Kontrolle geschuldet, sondern vielmehr der Unfähigkeit des Kapitalismus, sich zu reproduzieren. Er lebt und funktioniert einzig auf immer prekäreren Grundlagen. Die fiktiven Mehrwerte der Blasen zwangsweise umverteilen zu wollen, würde genau das beschleunigen, was die Finanzindustrie zu vermeiden sucht: die Abwertung gigantischer Massen an Finanzaktiva und den Bankrott des Bankensystems. Die ‚ökologische Umstrukturierung’ kann die Krise des Systems nur verschärfen. Es ist unmöglich, eine Klimakatastrophe zu verhindern, ohne radikal mit den Methoden und der ökonomischen Logik zu brechen, die seit hundertfünfzig Jahren zu dieser Katastrophe führen. Wenn man die derzeitige Tendenz fortschreibt, wird sich bis zum Jahr 2050 das Weltbruttoinlandsprodukt um den Faktor drei oder vier vervielfacht haben. Doch dem Bericht des UNO-Klimarats zufolge müssten bis zu diesem Datum die CO2-Emissionen um 85 Prozent sinken, will man die Klimaerwärmung auf maximal 2 Grad Celsius begrenzen. Denn über 2 Grad Celsius hinaus werden die Folgen irreversibel und nicht beherrschbar sein. Der Wachstumsrückgang ist als ein Überlebensgebot.“(3)

Nun, da Gorz’ Vorhersage eingetreten, der Interbankenverkehr endgültig tot, die ökologische Grenze erreicht, die weltweite Zerstörung gesellschaftlicher Reproduktionsgrundlagen evident und mit der jüngsten Finanzblase die bisher größte „Beatmungsmaschine des sterbenden Kapitalverhältnisses“(4) geplatzt ist, braucht es für die wie paralysiert wirkende Politik dann offensichtlich doch noch solcher Weckrufe von einem philosophischen Vordenker. „Der Weg aus dem Kapitalismus wird also auf jeden Fall stattfinden, ob auf zivilisierte oder barbarische Weise“(5), stellt Gorz lapidar fest.


Was Gorz’ Analyse mit Loskes Bemerkung und den derzeitigen Krisenphänomenen verbindet, ist, dass sich die Frage nach dem Überleben der Menschheit auf „zivilisierte Weise“ im Grunde auf eine einzige Grundfrage reduzieren lässt: auf die nach der Vergesellschaftung des Menschen in Natur (seiner eigenen wie die ihn umgebende) durch Arbeit. Die Menschheit befindet sich in einem Dilemma. Unser global gewordenes ökonomisches System kann die Vergesellschaftung des Menschen, d.h. die Reproduktion von politischen, sozialen und kulturellen Strukturen nur noch über die abstrakte, warenförmige Arbeit herstellen. Zugleich hat die dritte industrielle Revolution der Automatisierung und Computerisierung mit ihrer enormen Produktivitätssteigerung eben diese Arbeit zu einem Privileg für immer weniger Menschen gemacht.


Bereits 2005 waren in Westeuropa ca. 35 Millionen Menschen erwerbslos, weltweit 830 Millionen, fast ein Drittel der arbeitsfähigen Bevölkerung auf dem Erdball. Zählt man noch die Unterbeschäftigten hinzu, so betrug die Zahl bereits 2001 weltweit über 1 Milliarde, Tendenz steigend. Nach einer Studie der US-Firma Alliance Capital Management vom November 2003 sank die Beschäftigungsrate zwischen 1995 und 2002 in jedem Jahr und jeder Region der Erde um durchschnittlich 16 Prozent und dies bei gleichzeitigem Ansteigen der industriellen Gesamtproduktion um 30 Prozent. In den 20 größten Volkswirtschaften der Erde sind zwischen 1995 und 2002 31 Millionen Arbeitsplätze in der Produktion abgebaut worden.(6)


Die innere (ökonomische) wie auch die äußere (ökologische) Grenze des wachstumsbasierten und warenproduzierendes Systems ist erreicht. „In China wie in Indien und im Westen bereichert das postfordistische Wachstumsmodell etwa 20 Prozent der Bevölkerung, erzeugt jedoch rings um hypermoderne, postindustrielle Enklaven weite Gebiete der Armut und Verwahrlosung, wo das organisierte Verbrechen sowie Kriege zwischen Sekten und Religionen entstehen.“(7) Unsere Art der ökonomischen Produktion zerstört massiv, global und in einem bisher kaum für möglich gehaltenen Tempo die gesellschaftliche Reproduktion. „Summa summarum leben gegenwärtig zwei Milliarden Menschen in Ländern, die als unsicher, scheiternd oder gescheitert gelten.“(8) Harald Welzer spricht bezüglich dem, was auf uns zukommen könnte, bereits von einer „Kriegsökologie“(9), Gorz davon, dass „der Zusammenbruch nur mittels Restriktionen, Rationierungen, autoritären Zuteilungen von Ressourcen verhindert werden (könnte), wie sie für eine Kriegswirtschaft charakteristisch sind.“(10)


Doch gerade bei professionellen Ökologen und Umweltschützern wird die Notwendigkeit einer explizit politischen Ökologie immer weniger erkannt. Selten wird die katastrophische Entwicklung des Klimasystems ursächlich auf das vollkommen antagonistische Naturverhältnis unseres ökonomischen Systems zurückgeführt, dass seine innere erreichte Grenze der Vergesellschaftung durch abstrakte, warenförmige Arbeit dadurch zu überschreiten versucht, indem es genau jenes Wachstum zu generieren versucht, das zum Erreichen dieser Grenze geführt hat und dabei noch seine äußere ökologische Grenze selbstzerstörerisch überschreitet. Dies wird ebenso ausgeblendet, wie die durch globale Entstaatlichung zunehmend schwindenden Möglichkeiten der politischen Außensteuerung und die heraufziehende „Kriegsökologie“. Exemplarisch dafür Reimund Schwarze vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, der bereits vollends auf gigantische Notstandsmaßnahmen, wie das Düngen der Meere mit Eisen oderCO2-Verpressung in die Erde zu setzen scheint.(11)


Immer mehr wird betont, dass die derzeitigen für die Menschheit existenziellen Krisenphänomene – Klimawandel, Weltwirtschaftskrise, Ernährungskrise, Weltarmut, Staatszerfall, Migration und Weltordnungskriege – nur im Zusammenhang verstanden und gelöst werden können, zugleich wird immer zwanghafter verleugnet, dass hinter diesen Phänomenen ein Grundproblem steckt, dessen Erkenntnis so alt ist, wie unsere Ökonomie selbst, der Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Reproduktion und ökonomischer Produktion, der auf einen immanenten Systemfehler im Naturverhältnis zurückzuführen ist. In der Tat geben heute nahezu alle vorliegenden empirischen Daten Marx’ Analyse des Kapitalismus als einem grundlegend antagonistischen Verhältnis zwischen Produktionsverhältnissen und Produktivkräften recht. Ein Antagonismus in der Produktion eines abstrakten Reichtums, der aktuell seine eigenen kulturellen wie natürlichen Reproduktionsgrundlagen zerstört.


Wenn wir auf zivilisierte Art und Weise überleben wollen, müssen wir daher die Vergesellschaftungsmechanismen eines Großteils der Menschheit durch Arbeit anders definieren als bisher. Wie Peter Glotz sagte: „Inzwischen steht die ganze Sozialethik des moderne Kapitalismus zur Debatte.“(12) Der Kern dieser Sozialethik ist aber dessen Arbeitsethik und –begriff als Verhältnis des Menschen zu seiner eigenen Natur, denn, so fragt André Gorz, „wohin führt aber ein politischer Diskurs und eine Politik, die den Menschen einredet, das als für alle unentbehrlich anzusehen, was nur noch immer wenigeren zugänglich ist? Was bewirkt eine Politik, die Erwerbsarbeitsfähigkeit auf Kosten von Mußefähigkeit und Ausbildung auf Kosten von Bildung fördert, obwohl die Ökonomie immer weniger Arbeit braucht und immer mehr Zeit freisetzt?“(13) Dieser Diskurs führt genau zu dem, was wir augenblicklich weltweit erleben müssen, zum „Verfall und Entzivilisierung der Gesellschaft.“(14)

Weiter mt Teil 2

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Robert Zion

Gruenen-Politiker, Publizist

Robert Zion

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