S21: Medien. Sie können alles außer Wahrheit

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"Laut Umfrage steigende Akzeptanz von Stuttgart 21", grölte der SWR. "Die Akzeptanz für das Bahnprojekt Stuttgart 21 liegt laut einer Infratest-Umfrage inzwischen bei 88 Prozent." Die Stuttgarter Nachrichten plärrten es gerne nach.Selbst die bei S21 ansonsten seriöse Badische Zeitung betet dpa nach:"Nach der Volksabstimmung über Stuttgart 21 tragen laut einer Infratest-Umfrage nun 88 Prozent das Projekt mit."

www.swr.de/nachrichten/bw/-/id=1622/nid=1622/did=9052622/guwz9e/

www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.umfrage-zu-s21-akzeptanz-ohne-wirklichen-frieden.2dd348cb-a9d2-480c-acbd-f67999dff6b5.html

www.badische-zeitung.de/suedwest-1/zustimmung-unter-zaehneknirschen--53953395.html

Wie der erste Blick beim Kennenlernen, so sind die ersten Sätze bei einer Meldung oft entscheidend. Was danach kommt, mag man als Ausweis der Seriosität der Meldung behaupten. Ob es beim Empfänger noch angemessen ankommt, ist eine andere Frage. Aber selbst da wird die manipulative Absicht - nicht nur der zitierten Medien - noch sichtbar:

"Angesichts der verhärteten Fronten vor der Abstimmung fügt sich eine große Mehrheit, wenn auch teils zähneknirschend, in das Ergebnis", erläuterte Frank Frick von der Bertelsmann-Stiftung am Donnerstag. Die Umfrage wurde im Auftrag der Stiftung und der Universität Stuttgart erhoben.

Als "gute Demokraten" hätten die Bürger den Entscheid zwar akzeptiert, sie spürten aber immer noch ein Unbehagen bei den Aspekten Transparenz und Offenheit." (SWR siehe oben)

Wir lernen: "gute Demokraten" fügen sich zähneknirschend. Und wenn sie dies tun, dann nennt man das "Akzeptanz" oder gar "Mit-Tragen". Und wer sich nicht beugt oder duckt unter das, was ihm diktiert wird und was er/ sie für falsch hält, ist - so darf man folgern - ein schlechter Demokrat. Demokratie = Duckmäusertum.

Und damit die Gleichhung nicht aus der Balance gerät, findet man nirgendwo angegeben, was denn da überhaupt gefragt worden war. Nämlich dies:

"Soll Stuttgart 21 nach dem Ergebnis des Volksentscheids gebaut werden?"

Verschwiegen wird auch das Ergebnis auf die Frage, wie zufrieden man mit dem Ergebnis der Volksabstimmung sei. Hätte zwar die Frage nach der Akzeptanz eher beantwortet, wäre aber nicht so schön populistisch auszuwerten gewesen, denn es hätte in etwa das Ergebnis der Volksabstimmung reflektiert - also eine Zahl weit weg von 88 Prozent angeblicher Akzeptanz.

www.bertelsmann-stiftung.de/bst/de/media/xcms_bst_dms_35291_35292_2.pdf

Nun läßt die Antwort auf eine solche Frage manch spekulative Schlussfolgerung zu. Ganz gewiss aber nicht die einer steigenden Akzeptanz oder was da sonst noch zusammengelogen wurde. Viel interessanter aber ist die Frage, weshalb es eigentlich niemand für notwendig erachtete, nach den Gründen für die jeweilige Antwort zu fragen. Man darf vermuten, dass man es nicht wissen wollte. Man darf weiter vermuten, dass man zu einem ganz bestimmten Zweck fragte: es sollten die Schlagworte / -zeilen herauskommen, die dann tatsächlich herausgekommen sind.

Nachdem man nun aber nicht gefragt hat, kann man zumindest auf der Basis von Fakten spekulieren. Zum Beispiel anhand einer Umfrage im Vorfeld des Volksenstcheids. Die liegen z.B.dem SWR vor. Und da zeigt sich, dass die Ausstiegskosten zentral für die Entscheidung waren (43%). 95 Prozent wollten die Mehrheitsentscheidung akzeptieren. Die Mehrheitsentscheidung wohlgemerkt, nicht S21! Dem Projekt selbst standen lediglich 37 Prozent positiv gegenüber, bei 33 Prozent mit negativer Einstellung.

www.swr.de/nachrichten/bw/-/id=1622/cat=1/pic=4/nid=1622/did=8888500/pv=gallery/uwwve4/index.html%3Cstrong

www.swr.de/nachrichten/bw/-/id=1622/cat=1/pic=8/nid=1622/did=8888500/pv=gallery/1o09wjd/index.html

www.swr.de/nachrichten/bw/-/id=1622/cat=1/pic=1/nid=1622/did=8888500/pv=gallery/105r00j/index.html

Auch kann man sich die Wahlslogans der Befürworter anschauen. Und da konnte man z.B. lesen:

"Weiter ärgern oder fertig bauen?"

"1,5 Milliarden für den Ausstieg verschwenden?"

www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.volksabstimmung-s21-wahlplakate-verfehlen-ihren-zweck.5101bd73-fd38-4049-adb0-107a0cd91141.html

Wie aussagekräftig all dies im Zusammenhang mit der o.g. Umfrgae auch immer sein mag. Es deutet zumindest an, dass es sehr viele Gründe für die aktuelle Duldung von S21 geben kann, die mit dem Projekt selbst nichts, aber auch gar nichts zu tun haben: Resignation angesichts der Mehrheitsverhältnisse, Sehnsucht nach Ruhe und Rückkehr des Alltags, Kapitulation angesichts behaupteter Ausstiegskosten usw.

Was dümmlicher Provinzjournalismus daraus aber gemacht hat, ist - wie so oft - zum Kotzen. Und erinnert wieder einmal an totalitären Jubeljournalismus.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

seriousguy47

Anglophiler Pensionär und Flüchtlingsbetreuer aus Stuttgart.

Wehrdienst, Studium ( Anglistik, Amerikanistik, Empirische Kulturwissenschaft, Sozialpädagogik) , Praktikum ( Primärtherapie), Lehramt, Flüchtlingsbetreuung

seriousguy47

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