S21: „Sanfter“ Putschversuch der CDU-Polizei gegen Grün-Rot?

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Matthias von Herrman, Sprecher der Stuttgarter Parkschützer hatte Besuch von Polizei und Staatsanwaltschaft. Über den Lügentsunami, der sich daran anschloss, wäre eigens zu berichten. Über die Tradition, der sich die Stuttgarter Staatsanwaltschaft scheinbar verpflichtet sieht, ebenfalls. Höchste Zeit aber ist es, über die Rolle nachzudenken, die die Polizei in Stuttgart seit Mitte 2010 spielt.

Das entscheidende Datum scheint mir dabei – natürlich - der 30.09.2010 zu sein, als die PolizeiFÜHRUNG die „Stuttgarter Linie“ der Deeskalation aufgab und knallhart auf Gewalt setzte. Was Stefan Mappus dabei im Sinn hatte, scheint wenig Spekulation zu erfordern. Als Erinnerung mögen ein paar alte Zitate aus der Presse dienen:

In Beamtenkreisen heißt es, Stumpf hätte allein wegen dieses Unsicherheitsfaktors dafür sorgen müssen, dass die Schülerdemo am Donnerstag nicht genehmigt wird - was rechtlich schwierig gewesen wäre -, oder aber er hätte die Zaunaufstellaktion einige Tage verlegen müssen. "Dem standen wohl politische Wünsche entgegen", deutet ein Polizeibeamter an.“

www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.stuttgart-21-demo-polizeipraesident-in-erklaerungsnot.c4ed2f96-ddf4-4514-9577-bf113d134b12.html

In einem “Aktenvermerk” vom 20. September heißt es, dass Ministerpräsident Mappus „ein offensives Vorgehen” vorgeschlagen haben soll, um „keine Verfestigung” im Schlossgarten zuzulassen.“

gruene-gegen-stuttgart21.de/untersuchungsausschuss-viele-offene-fragen-bleiben-auch-nach-der-zeugenvernahme-von-polizeiprasident-stumpf/1131/

Auch die psychologische Einstimmung der Polizei benötigt keine weitere Interpretation:

Mal sprach Mappus von "Berufsdemonstranten", mal von dem "Fehdehandschuh", den er aufnehme. Im Rückblick erscheint die neue Tonlage wie eine Einstimmung auf den Tag X, der wohl seit Anfang September feststand.“

www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/2671211_0_9223_-umstrittener-polizeieinsatz-hilferufe-aus-dem-schlossgarten-verhallen.html

"Man hat befürchtet, dass sich auch Demonstranten außerhalb des bürgerlichen Potenzials einfinden", sagt ein Beamter. Die Polizei bereitet sich auf Randale mit dem Schwarzen Block aus Hamburg, Berlin oder Hannover vor......Doch der Schwarze Block kommt nicht. Das ist der große, verhängnisvolle Irrtum an diesem Tag. Als die ersten zwei Wasserwerfer und eine Hundertschaft Bundespolizei in den Park einrücken, steht ihnen stattdessen eine bunte Menge S-21-Demonstranten gegenüber, die bis dahin die eher nachgiebige Seite der Polizei kennengelernt hat“

www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.stuttgart-21-wasserwerfer:-ein-schwarzer-tag.a8c7e0c6-15d7-46bb-861b-17779c3b04e5.html

Hier wäre allerdings einschränkend zu fragen: „verhängnisvoller Irrtum“ oder gewolltes „Verhängnis“?

Bei der Rolle, die Polizeipräsident Stumpf spielte wären dagegen Spekulationen höchst angebracht. Dass er sich selbst zum Feindbild Nr. 1 machte, könnte nämlich nicht nur Mappus schützen, sondern auch Strukturen in der Polizei, die nach wie vor da sind und ihr Unwesen treiben. Auch hier soll die Betrachtung in der Vergangenheit ansetzen.

Wie ferngelenkt wirkte er zuweilen schon, als noch die Parole Deeskalation galt: Angeblich hätte er bei gewissen Grenzüberschreitungen gerne etwas härter eingegriffen, entschied nach dem üblichen Telefonat aber anders. "Ich kann nicht...", "Ich darf nicht...", "Ich muss... ", wird der 59-Jährige aus internen Gesprächen zitiert. "Musste" er auch, als von einem Tag auf den anderen die Strategie wechselte? Als "von Woodstock auf Wackersdorf" umgeschaltet wurde, wie ein Polizeimann es umschrieb?“

www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/2671211_0_9223_-umstrittener-polizeieinsatz-hilferufe-aus-dem-schlossgarten-verhallen.html

Stumpf und Rech erreichten derweil schon früh telefonische Hilferufe von Funktionären aus Politik und Kirche, die das Geschehen im Schlossgarten fassungslos verfolgten; sie sollten doch eingreifen. Beide gaben sich machtlos.“

www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/2671211_0_9223_-umstrittener-polizeieinsatz-hilferufe-aus-dem-schlossgarten-verhallen.html

Vom Polizeipräsidenten Stumpf, neben dem er [Innenminister Rech] um 12 Uhr bei einer Pressekonferenz im Landtag saß, will er nichts über die schwierige Lage erfahren haben; dabei hatte Stumpf gegenüber einem Dritten zuvor gesagt, im Schlossgarten gehe "die Post ab". Erst nach seiner Ankunft im Ministerium habe man ihn über die Zuspitzung informiert.

Doch Rech bekam inoffizielle Informationen aus erster Hand: von dem in den Schlossgarten geeilten Grünen-Fraktionschef Winfried Kretschmann. Der habe seine Sicht der Dinge dargestellt, er die Sicht der Polizei, fasste der Minister den Verlauf des Gesprächs zusammen; letztlich hätten sich die beiden Darstellungen nicht in Deckung bringen lassen. "Pfeif Du Deine Polizisten zurück", sei in Kurzform Kretschmanns Appell gewesen, "pfeif Du Deine Demonstranten zurück", der seine. Rechs angebliche Idee, gemeinsam mit Kretschmann in den Park zu eilen und "zur Friedfertigkeit" aufzurufen, scheiterte letztlich am Veto der Polizei: Den Minister, habe die ihm bedeutet, könne man dort nicht auch noch gebrauchen.“

www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/2756190_0_8647_-untersuchungsausschuss-schwarzer-peter-geht-an-die-polizei.html?_skip=0

Zentral aber scheint mir dieses Zitat:

Von 12 bis 12.45 Uhr musste er [Stumpf] den Einsatz bei einer Pressekonferenz der Bahn im Landtag erklären. Auch später ist der "P" phasenweise nur per Funk mit seinen Führungskräften an den Brennpunkten verbunden. "Hätte Stumpf alles mit eigenen Augen gesehen, er hätte vielleicht manches anders gemacht", meint einer, der den heute 60-jährigen Präsidenten aus der Nähe kennt.“

www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.stuttgart-21-wasserwerfer:-ein-schwarzer-tag.a8c7e0c6-15d7-46bb-861b-17779c3b04e5.html

Was kann einen erwachsenen Menschen mit so langer Berufserfahrung und in verantwortungsvoller Position in solch einer Situation dazu bringen, sich so radikal auszuklinken? Und weshalb wurde diese Frage bislang nicht oder nicht vernehmbar genug gestellt?

Eine mögliche Antwort wäre: Tut, was ihr nicht lassen wollt, aber ich will nichts damit zu tun haben. Dies widerspricht zwar all seinen späteren Einlassungen. Aber die könnten aus Beamtenloyalität und einem missverstandenen Ehrbegriff entstanden sein. Auch wusste Stumpf ja nicht, wie es mit ihm weitergehen würde. Und das Schicksal des Thomas Mohr wollte er sich vielleicht durch Loyalitätsgebalze ersparen. Zur Erinnerung:

Ende September vergangenen Jahres hat der Mannheimer Polizeioberkommissar Thomas Mohr über Baden-Württemberg hinaus Aufsehen erregt, als er - als Sprecher der Gewerkschaft der Polizei (GdP) - den massiven Einsatz des Landes gegen Stuttgart-21-Gegner im Schlossgarten kritisierte....Wie erst jetzt bekannt wurde, ist Mohr schon wenig später von weiteren Einsätzen mit der Hundertschaft der Landespolizeidirektion Karlsruhe, die aus den drei Einsatzzügen der Dienststellen Heidelberg, Karlsruhe und Mannheim besteht, ausgeschlossen worden. Im Oktober bereits habe man ihm mitgeteilt, dass er "aufgrund von Irritationen im Führungskreis" der Hundertschaft dort vorerst nicht mehr eingesetzt werden solle....Inzwischen gebe es Belege dafür, dass wegen seiner Tätigkeit als Gewerkschafter intern im Arbeitskreis Polizei der CDU Stimmung gegen ihn gemacht worden sei, erklärte er. Bestätigt werde dies auch durch Recherchen der Heidelberger "Rhein-Neckar-Zeitung". Die hatte jüngst berichtet, der Leiter der Karlsruher Einsatzhundertschaft, Thomas Karst, habe offenbar weniger als Polizist, sondern als CDU-Mann agiert. Er sei als Mitglied der CDU-Fraktion der Gemeinde Eisingen (Enzkreis) stellvertretender Bürgermeister und gehöre damit zum gleichen Kreisverband der Christdemokraten wie der Ministerpräsident Stefan Mappus.“

content.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/2868394_0_1426_-kein-platz-mehr-fuer-den-gdp-sprecher.html

www.youtube.com/watch?v=k_3cxOvNyHc

www.wdr.de/tv/monitor//sendungen/2010/1021/pdf/stuttgart.pdf

www.youtube.com/watch?v=rPCkWTpIYjc&feature=related

Der obige Antwortvorschlag hätte jedenfalls den Charme, zu erklären, was den Strategiewechsel in der Polizeiführung bewirkte: die CDU-Führungskader in Partei, Regierung UND POLIZEI. Insbesondere, der CDU-Filz in den Führungskadern der baden-württembergischen Polizei könnten im Vorfeld des Schwarzen Donnerstag gegen die Polizeiführung „geputscht“ und die Hinwendung zur nackten Gewalt bewirkt haben.

Mit dieser ersten Spekulation komme ich zur Gegenwart und der zweiten Spekulation: Diese Kader versuchen seit dem Machtwechsel, die grün-rote Regierung zu diskreditieren und vor sich her zu treiben, indem sie den Stuttgarter Widerstand durch Schikanen, Ermunterung zu Disziplinlosigkeiten und Wegschauen, wenn Einzelne ausflippen, ins Unrecht zu setzen versuchen, um die Regierung damit zu zwingen, gegen die eigenen Wähler mit Polizeigewalt vorzugehen. Das scheint mir eine mögliche Dramaturgie hinter dem zu sein, was in den letzten Wochen passierte – und auch in einzelnen Aktionen nach dem 30.09.2010 und der Schlichtung immer wieder aufblitzte.

Einsetzen möchte ich dazu am 17.06.2011, als in der Stuttgarter Zeitung ein Artikel über den CDU-Filz in der baden-württembergischen Polizei erschien.

Es ist ein offenes Geheimnis“, schreibt dort Rüdiger Bäßler, „dass es bisher schwer war, ohne CDU-Parteibuch Polizeidirektor im Land zu werden. Viele Landräte, Bürgermeister, Gerichtspräsidenten oder Wirtschaftsverbandsleute sahen es gern, wenn bei Gesprächen auf lokaler Ebene dieselbe politische Grundüberzeugung am Tisch herrschte......Viele, sehr viele Spitzenbeamte trafen und informierten sich innerhalb des CDU-Arbeitskreises Polizei Baden-Württemberg. "Sie finden fast keinen PD-Leiter, der da nicht mitgespielt hat", sagt ein Kenner, der die Mitgliederlisten kennt. Nach der Satzung wird nur aufgenommen, wer "sich zu den Grundsätzen der CDU und des Arbeitskreises ,Polizei' bekennt und bereit ist, die Aufgaben des Arbeitskreises zu fördern sowie keiner anderen Partei angehört". Nach Überzeugung von Nikolaos Sakellariou hat dieses festgefügte CDU-Parteinetzwerk an der Spitze der Polizei im ganzen Land zu einer Kultur des Schweigens und Duldens beigetragen. "Wenn politische Freunde in Leitungspositionen sind, dann ist auch der Widerspruch überschaubar", sagt der Anwalt und SPD-Landtagsabgeordnete aus Schwäbisch Hall. Es habe "Schweigen" innerhalb der Polizei geherrscht, "wo ein Aufschrei erforderlich gewesen wäre". Die Strukturen, die sich in Jahrzehnten entwickelt haben, prangert auch Rüdiger Seidenspinner an, der Landeschef der Gewerkschaft der Polizei (GdP): "Kein Teil der Verwaltung ist heute so abhängig von der Politik wie die Polizei." Und dann fällt noch ein entscheidender Satz von Nikolaos Sakellariou:"Ein CDU-Parteibuch wird bei uns kein Bonus mehr sein."

www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.sicherheit-aerger-ueber-den-cdu-club-der-polizeifuehrer.1b1b0d4c-7887-4570-a03e-1f1dd6faa587.html

Bereits am folgenden Tag gröhlte es zurück: "Sakellariou diffamiert Polizeibeamte". S21-Gegner überrascht dies nicht. Wann immer man den Herrschaften den Spiegel vorhält, gröhlt es „Diffamierung!“, als ob wir schuld seien an der Versautheit dieses ganzen Klüngels. Und dass ausgerechnet die Herrschaften, die mit Demokratie jenseits von CDU absolut nichts am Hut haben, jetzt ganz laut „Demokratie“ schreien, kann auch nicht wirklich überraschen:

"Sakellariou diffamiert Polizeibeamte, die sich in einer demokratischen Partei engagieren. Gerade der Arbeitskreis Polizei ist gegründet worden, um kritischen Polizeibeamten ein Forum zu geben (...) Wer Beamten, die in einer konkurrierenden Partei engagiert sind, droht, legt die Axt an die Wurzeln der Demokratie." Der Arbeitskreis Polizei sei in der Satzung der CDU Baden-Württemberg verankert.“

www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.polizeichefs-im-land-sakellariou-diffamiert-polizeibeamte.18f50298-65ea-47a8-9b42-a1bb95d0e429.html

Ja, und nach dieser Kabaretteinlage kam dann der 20. Juni 2011. Und mit ihm die etwas schonungslose „Baustellenbegehung“ durch Demonstranten, eigenartige Beobachtungen und viele weitere Fragen, deren Antwort lauten könnte: das war CDU-Polizei-gewollt. Mal sehen, ob und wann ich Zeit habe, mehr dazu zu schreiben. Dies stelle ich jetzt jedenfalls erst einmal etwas unfertig und unausgegoren ins Netz......

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Geschrieben von

seriousguy47

Anglophiler Pensionär und Flüchtlingsbetreuer aus Stuttgart.

Wehrdienst, Studium ( Anglistik, Amerikanistik, Empirische Kulturwissenschaft, Sozialpädagogik) , Praktikum ( Primärtherapie), Lehramt, Flüchtlingsbetreuung

seriousguy47

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