Die Piraten und ich.

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Viele Menschen haben schon einiges über die Piraten geschrieben. Ich auch. Die besten Politik-Journalisten und -Wissenschaftler - darunter an vorderster Front Markus Lanz - haben sich an dem Phänomen abgearbeitet. Eigentlich ist alles gesagt. Eigentlich. Denn zu den Piraten gehört auch, dass da jeder zu allen Themen was sagen darf (daher wäre es für die Piraten ein Segen, wenn die wirklich nur ein Thema hätten). Also erzähle ich jetzt auch noch meine Piraten-Geschichte. Eine mehr persönliche.

Von der Piratenpartei in Deutschland habe ich vor circa 2 Jahren erfahren. Und das nur, weil ein ehemaliger jetzt.de-User bei denen Mitglied wurde. Wir beide kannten uns über die Seite und fanden unseren Humor wohl gegenseitig ganz gut. Es ist immer schön einen Anker im Leben zu haben (Augenklappen, Captain Jack Sparrow, Kurs halten, Segel setzen kommen dann noch). Ein Jahr später half ich einem Kumpel einen Event für das Elektroauto von Smart zu organisieren. Da kamen hunderte Leute, die Umsonst-Catering schnorren wollten, aber kein Auge für die Autos hatten. So effektiv funktioniert moderne 360° Live-Kommunikation jenseits ausgetretener Pfade klassischer Werbung.

Hier traf ich den jetzt.de-Kumpel wieder. Wir sprachen auch über die Piraten und ich meinte zu ihm, dass die Ausrichtung auf nur ein Thema wie Internet auf Dauer zu wenig wäre. Natürlich habe ich ihm das nicht gesagt, sondern per Smartphone zwei Tische weiter auf sein Handy gesendet. Wenn schon, dann richtig. Wir beide bedienten uns reichlich an den kostenlosen Getränken, schauten an den elektrischen Kleinwagen vorbei und landeten am Schluss punktgenau um die Ecke in der Kingsize Bar. Weil ich kein Geld mehr hatte musste mir ein damals noch nicht von Staatsgeldern alimentierter Pirat die Getränke ausgeben (übrigens: kein Club Mate).

Während des Abends hatten wir über Möglichkeiten gesprochen, wie ich der Piratenpartei bei der Entwicklung einer Wahlkampfkampagne für das Abgeordnetenhaus in Berlin helfen könnte. Als langjähriger leitender Mitarbeiter in Werbeagenturen sollte ich mit meiner Expertise helfen. Wie gut das klappte konnte man ja an dem Abend sehen, als alle die Bar bewunderten und das tolle Auto ignorierten. Mutlichannel, digital, Augmented Reality, App, App, App, Bullshit Bingo saves my life.

Ich hatte das eigentlich schon wieder vergessen, als sich PiratXY (bin nicht verwechseln mit #PiratLB) bei mir meldete. Das war im Frühjahr 2011. Die Wahl in Berlin stand vor der Tür. In Hamburg hatten die Piraten die Wahlkampfkosten erstattet bekommen. Im Grund eine Enttäuschung. Denn wo trifft man den typischen Piraten-Wähler, wenn nicht in den Innenstadtbezirken der Großstädte: Männlich, nerdig, Apple-Addict, noch nie Sex gehabt,. natürlich Single, mit Club Mate statt Muttermilch aufgezogen. Trotzdem reichte es nicht.

In Berlin sollte alles anders werden. Ich meinte nur, wo sollten die Piraten über die 5% Hürde kommen, wenn nicht hier. Der Pirat XY stellt mir Liquid Feedback vor, was ich ganz interessant fand. Die Möglichkeit Initiativen einzubringen und sie zur Abstimmung frei zu geben. Die Möglichkeit der Einflussnahme für jedes Parteimitglied. Eine tolle Sache. Nach meine Studium der Politikwissenschaft, habe ich auch mal überlegt mich politisch zu engagieren, aber nach einigen Meetings bei den Grünen habe ich dann darauf verzichtet. Ich kam mir eher vor wie ein Stimmvieh oder ein Sonntagmorgen-Flyerverteiler für die, die wirklich das sagen hatten. Ich hatte nicht das Gefühl gehört zu werden. Das war mein Ausflug in die große weite Welt der Politik.

Jetzt also die Piraten. Ich versprach dem PiratXY Werbeagenturen anzusprechen, ob diese kostenlos eine Kampagne entwickeln würden. Das Feedback war niederschmetternd. Zwei Bekannte von mir, die in renommierten Agenturen arbeiteten, fragten mich im persönlichen Gespräch, was die Anfrage sollte. Sie meinten die Piraten würden sich ja nicht ganz auf dem Boden des Grundgesetzes bewegen. Fast so, als hätte ich sie gefragt, ob sie sich nicht was flottes für die NPD ausdenken könnten. Vielleicht hat sich der eine oder andere von denen nach der Wahl ziemlich geärgert. Denn da wo Erfolg ist, tummeln sich normalerweise auch andere Leute die was auf dem Kasten haben. Letztlich stand die Frage im Raum ob ich die Piraten beim Wahlkampf unterstütze. Was ich aber auch verneinte, denn als Nichtmitglied wollte ich nicht umsonst arbeiten. Und mehr als ein Abendessen war damals nicht drin. Ein Königreich für die Wahlkampfkostenerstattung!

Die Kampagne der Piraten zur Wahl war dann die beste von allen. Einfach weil sie ehrlich war. Und weil sie die richtige Mischung aus Spaß und Ernsthaftigkeit fand. Sie besetzte die Kernthemen der Partei ohne Blabla. Als ich den Typen sah, der "so lieben wollte wie ich bin" verging mir zwar die Lust auf Sex, doch es kam aufrichtig rüber. Die Ironie des "Warum hänge ich hier, ihr geht ja eh nicht wählen" traf meinen Humor. Ihr seid die mit den Antworten, wir die mit den Fragen. Das war es. Andere Parteien machten einen viel digitaleren Wahlkampf. Zum Beispiel die Grünen, die viel Geld in das Modegedöns "Augmented Reality" steckten. Der Unterschied: die Grünen ließen sich von einer Agentur sagen, wie toll das ist, es kam nicht aus der Partei selber. Die guckten Internet, das Programm kam von Werbern. Das war bei den Piraten anders. Die twittern noch selbst und nicht das Kampagnenbüro im Namen des Politikers.

Ja, ich habe die Piraten gewählt am 18. September. Es war eine Mischung aus Resignation und Aufbruch. Ich hätte nicht gewusst, welche der Altparteien ich wählen sollte. Durch die Gespräche mit den Piraten war mir zwar bewusst, dass die auf viele Themen (und da spreche ich nicht von Euro-Krise, sondern um lokale Sachen wie u.a A100 Ausbau) keine Antworten hatten. Zumindest aber waren sie so ehrlich das zu sagen. Ich weiss noch, wie ich mit meiner Frau vor der Wahlkabine stand. Die wusste auch nicht, was sie wählen sollte und entschied sich allen Ernstes für die Tierschutzpartei (wir haben eine Katze). Die Tierschützer wurden dann auch Dank meiner Frau fast so stark wie die Hotelierschutzpartei FDP. Am Wahlabend habe ich mich sehr über den Erfolg gefreut und sehe auch bis heute darin eine Chance für einen Gedankenwechsel in der Politik. Ich spreche da nicht von Transparenz, sondern eher von der Umkehrung des Frage-Antwortspiels. Der Möglichkeit der Teilhabe, der Wiedererweckung des Interesses an Politik (was nie ganz weg war in unserer Gesellschaft).

Klar bin ich auch genervt von den ganzen Kindereien. Die Piraten haben ja mehr Gates als der Frankfurter Flughafen. Manchmal geht bei den ganzen Skandälchen auch die Sachpolitik unter. Was machen die eigentlich, wenn sie sich nicht gerade auf Twitter über die Bürovergabe oder andere Dinge streiten. Bestimmt machen die was, aber was? Vielleicht Freunde in Pöstchen unterbringen oder einfach mal esoterisch einen Baum umarmen (nicht dich Andreas Baum, keine Angst) In den Talkshows wurde das auch nicht immer so klar. Die Auftritte changierten zwischen souverän und hilflos. Und natürlich interessieren sich Medien zunächst um Äußerlichkeiten wie Latzhosen (Gerald Brunner) oder hübsche Ärsche (Marina Weissband) um sich dann zu beklagen, wie wenig inhaltlich die Politik der Piraten ist. Wir leben in einer verrückten Zeit.

Heute am Ende von 2011 stehen die Piraten am Beginn eines spannenden Jahres. Was wird in Schleswig-Holstein passieren? Werden die Umfrage-Ergebnisse so gut bleiben? Wird es Richtungskämpfe wegen dem Grundeinkommen geben, von deren Finanzierung ich selbst nicht überzeugt bin. Aber ich lasse mich gerne überzeugen. Die wichtige Frage ist halt: Wenn sich in Erfolgszeiten schon so viel gestritten wird, was passiert eigentlich, wenn es nicht so gut läuft? Warten wir es einfach mal ab. Auch wenn natürlich ICH der mit den Antworten bin und IHR - liebe Piraten - euch jede Menge fragen solltet. Ohne Frage aber bleibt festzustellen: die Piraten sind das spannendste Politik-Projekt der letzten 20 Jahre.


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Geschrieben von

siegstyle

Framstags kommt das Frams.

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