Gerade erst ist die Berliner Humboldt-Universität bei dem Versuch gescheitert, sich als Elitehochschule zu qualifizieren. Da lohnt es, noch einmal die Gründe aufzählen, die für einen Erfolg gesprochen hätten. Einer von ihnen trägt den Namen Erhard Schütz.
Ausgerechnet von der Freien Universität (die sich jetzt zur Elite zählen darf) ist er in den neunziger Jahren gekommen, um mit ein paar anderen Aufbruchswilligen etwas ganz Neues zu machen. So neu war das, dass es in der Berliner Republik noch nicht zu sehen war: ein Institut für Literaturwissenschaft, in dem das Imagemarketing der Moderne und Postmoderne auf seine Erzählprinzipien hin untersucht wird.
Die Uni im Osten der Stadt war dafür der richtige Ort. Für den 1946 geboren
den 1946 geborenen Schütz ist sie es immer noch. "Rettet den Osten" kann man an der Innenseite der Tür lesen, wenn man sein Büro verlässt. Und direkt daneben hängt ein Hinweis, der anzeigt, in welcher Liga ein Professor spielt, der nicht nur in Wisconsin und Dublin, sondern eben auch in Duisburg und Essen gelehrt hat: "Arbeit, Arbeit, Arbeit, es gibt nichts als steinharte Arbeit. Das ist die letzte Form der Subversion."Kennt man Schütz lang genug, dann weiß man: Diese Anweisung wird von ihm mit solchem Betriebsernst und solcher Publikationswucht umgesetzt, dass selbst dem handfestesten Universitätsmalocher Spucke und Tinte wegbleiben. Richtig ernst nimmt er die Anweisung aber eigentlich nur als Sammelstück für sein persönliches Archiv der Medienkultur. Dieses Archiv hat er nicht nur für die letzten drei Jahrhunderte eingerichtet. Er füllt es mit immer neuen Fundstücken und Analysen als Chronist des Literaturbetriebs auch für die Jetztzeit auf.In dieser Archivarbeit steckt als Energiekern die Ideologiekritik. Mit ihr hat Schütz in den siebziger Jahren die journalistischen und dokumentarischen Schreibweisen durchleuchtet. Für die Germanistik hat er dabei die operative Literatur und das Feuilleton als Labor für Wirklichkeitsbeschreibungen entdeckt. Moderne Literatur ist mit diesen Entdeckungen nicht einmal mehr im Ansatz als autonomes Arrangement zu verstehen. Sie gehört zur Medienkultur. Und die ist nicht von der Heiligkeit der Kunst, sondern der Eiligkeit Presse bestimmt, vom Radio, vom Kino, vom Fernsehen und schließlich vom Computer und seinen Netzen.Aus dieser Perspektive sehen traditionelle Germanisten nur noch wie brave Messdiener aus. Der Literaturwissenschaftler, wie Schütz ihn versteht, muss dagegen raus aus der Kirche. Er muss die Medienlandschaften und ihre Aufmerksamkeitsökonomien studieren. Kein Format ist zu banal, kein Thema zu trivial, als dass man es übersehen dürfte. Schlichtweg alles kann zum Gegenstand einer Untersuchung werden, mit der kulturelle Konjunkturzyklen vermessen werden.So hat sich Schütz, lange bevor das Wort in Mode war, in einen Cross-Over-Spezialisten verwandelt. Hochkultur wird im Handumdrehen mit der populären Medienkultur zusammengebracht. Literatur meets Marketing. Die Nazi-Ästhetik arbeitet sich an den Prämissen der Moderne ab. Und immer wieder fahren die Autos und fliegen die Flugzeuge durch die Texte. Elektrische Geräte schalten sich an und aus und lassen die Stimmen der Autoren bis zur Kenntlichkeit verzerrt klingen. Literaturwissenschaft ist hier als Verknüpfungswissenschaft auf den Punkt gebracht. Wer allein die Titelliste der unglaublichen Masse von Büchern liest, die Schütz in den letzten zehn Jahren für den Freitag rezensiert hat, bekommt einen Eindruck davon, was Cross-Over bedeuten kann, wenn sich Enzyklopädie und Flanerie auf lustvolle Weise verbinden.Das alles führt zu einer Gegenwärtigkeit des Nachdenkens über Literatur, die in der Wissenschaft so gut wie nie zu finden ist und in den Kulturteilen der Zeitungen nur selten so fundiert erscheint. Nicht zuletzt führt es zu dem Bewusstsein, dass der Literaturwissenschaftler immer auch Teil des Kultur- und Wissenschaftsbetriebs seiner Gegenwart ist. Wer mit Schütz zusammenarbeitet, kann das unmittelbar erfahren: wie rund um ihn herum ein Wirbel des Machens, Entwerfens und Ausprobierens entsteht, von dem man nur mitgerissen werden kann. Die einzige Bedingung: Das Arbeitsgebot, das den Besucher an der Bürotür verabschiedet, ist absolut ernst zu nehmen und zugleich als kulturelle Zwangsformel zu ironisieren. Das ist nicht leicht. Aber es ist einer der Tricks, die diesen Mann als Kraftwerk am Laufen halten. Heute übrigens auf den Tag genau seit sechzig Jahren.Stephan Porombka, von 1998-2003 Assistent von Erhard Schütz, ist heute Juniorprofessor für Kulturjournalismus und Literaturwissenschaft an der Universität Hildesheim