Flashmob sei Dank

Ton und Text Nummer Eins der britischen Single-Charts ist ein alter Song von Rage Against the Machine. Was lernen wir daraus?

Rage Against The Machine sind also zu Weihnachten die Nummer Eins der (im Popweltbewusstsein immer noch wirkmächtigsten, nämlich) britischen Single-Charts. Das ist insofern erstaunlich, weil der Song, der die letzten Charts der Dekade anführt, weder neu, noch „re-released“ oder sonst aus irgendeinem Anlass aktuell ist – wenn man denn mal außen vor lässt, dass „Killing In The Name“ seit dem Erscheinen 1992 zur erste Garde des Protestsong-Establishments gehört und somit natürlich immer irgendwie passend ist.

Nicht auf Eins ist in diesem Jahr demzufolge Joe McElderry. Diesen Namen muss man sich nicht merken, schon gar nicht seinen Titel „The Climb“ – eine Coverversion von einem Song, der kürzlich erst durch Kinderstar Miley Cyrus und die Anwesenheit im Kinder-Schmarrn „Hannah Montana: The Movie“ auf Platz Elf der UK-Charts gelandet war. McElderry jedenfalls ist Gewinner der diesjährigen „X-Factor“-Staffel, also der englische „Superstar“ und damit eigentlich auf die „Weihnachts-Eins“ abonniert. Bis er einem Facebook-Flashmob zum Opfer fiel.

Viele Mitglieder fehlen der Facebook-Gruppe Rage Against The Machine For Christmas No. 1 nicht zur Million. Ins Leben gerufen wurde sie von einem Jon Morter (muss man sich auch nicht unbedingt merken), um eben die gewohnte „X-Factor“-Dominanz zum Jahreswechsel zu brechen, gerade, weil die letzten Charts der Dekade ja besonders historisch anmuten. So viele Leute wie möglich sollten also pünktlich „Killing In The Name“ per Download kaufen. „This historic people’s campaign“ nennt Bandgitarrist Tom Morello das denn etwas übereuphorisiert (und etwas daneben) prompt und lässt sich auch sonst nicht lumpen: „Spread the word! Knock on doors! Host downloading parties! Knock over ladies buying X-Factor!“ Es hat erstaunlicherweise geklappt. Und?

Es gibt den Begriff der „symbolischen Politik“ und es mag einem gerade kein besseres Beispiel einfallen zur Erklärung. Denn natürlich kann es einem aufgeklärten Popmusikkonsumenten völlig egal sein, wer wann die Nummer eins in einem Chartsystem ist, das angesichts der musikgeschäftlichen Realitäten nicht nur absurd gestrig anmutet, sondern eigentlich so ziemlich genau das Feindbild für jemanden abgeben müsste, der „Alternative“ hört. Rage Against The Machine sind der Inbegriff für „Alternative“, in einschlägigen Studentenclubs zählen RATM-Shirts (gleichauf mit denen von Nirvana) seit Jahr und Tag zur dominierenden Kleiderordnung.

Ins richtige Leben hinein wirkt die Aktion trotzdem: Es wird Sony – einer der vier übriggebliebenen großen Popmusikkonzerne und Label von RATM – freuen, dass unverhofft noch ein Weihnachtsbonus anfällt. (McElderry wird übrigens ebenfalls von Sony veröffentlicht. Man kann davon ausgehen, dass die Aktion auch dort noch einiges an Mehrverkäufen beschert hat.) Eine Obdachlosenhilfeorganisation erhält immerhin einen nicht unbedeutenden Scheck von der Band (eine Alternative hat sie nicht wirklich, alles andere wäre schwer vermittelbar). Und zum Dank schon versprochen ist ein Free Concert in England. So gesehen war nicht alles umsonst.

Wirklich wichtig ist es natürlich nicht. Die Musikwelt wird sich nicht schlagartig bessern wegen dieser Nummer Eins. Kein Mensch weniger wird Castingshows schauen oder Retortenpop aufs Handy laden. Auch das Wort „Fuck“ – es kommt 17 mal vor im sonst nicht eben abwechslungsreichen Text von „Killing In The Name“ – wird in diesbezüglich sehr engstirnigen englischen Medien keine plötzliche Überpräsenz entwickeln, genauso wenig, wie der Song an sich. Es braucht darüber hinaus keine tiefgründige Textanalyse, um einen gewissen Widerspruch der inhaltlichen Botschaft („And now you do what they told ya, now you‘re under control / Fuck you, I won‘t do what you tell me!“) und dem Befolgen eines Kaufaufrufs auszumachen.

Aber das sehen wir vielleicht lieber nicht zu eng zur Weihnachtszeit. Wir haben hierzulande gewissermaßen gut lachen in diesem Jahr. Denn Hunde mögen viele Talente haben – das Veröffentlichen von Musik gehört in der Regel nicht dazu. Das ist ja auch so etwas ein Geschenk.

Dieser Artikel ist in Kooperation mit entstanden.www.motor.de

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