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101 Gründe, Cannabis zu lieben

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Michael Carus und Dr. med. Franjo Grotenhermen

Softcover (farbig illustriert)

240 Seiten

24,80 €

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Copa 71

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Großbritannien 2023

Dokumentarfilm

91 Minuten

Ab 26. Juni im Kino!

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Screen Time. Videokunst in Leipzig seit 1990

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vom 12. Juni bis zum 31. August

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Kultur : Für Zuschauer unter 18 Jahren nicht geeignet

Das Ende des Musikfernsehens ist der Anfang eines neuen Umgangs mit extremen Musikvideos – über Rammstein hinaus

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Das allgemeine Wehklagen über die Abwendung des Musikfernsehens vom eigentlichen Daseinszweck – der Ausstrahlung von Musikclips – hat sich weitgehend gelegt. Inzwischen darf man sogar dafür dankbar sein, dass MTV und Co als relevanter Veröffentlichungskanal weitgehend ausgedient haben. Denn abgesehen von den gemeinhin enormen Kosten eines in den wöchentlichen Scharfrichter-Konferenzen als MTV-tauglich erachteten Clips und der damit verbundenen Ent-Demokratisierung der Bildschirm-Präsenz, gilt es vor allem rigide inhaltliche Richtlinien zu beachten, die über einen hierzulande als normal angesehenen Jugendschutz weit hinausgehen.

Rüde Ausdrucksweise, antireligiöse Symbolik, Suizid-Darstellungen, Drogengenuss, simple Nacktheit, Gewalt, Blut, Gedärme und Sex – ist etwas davon auch nur annähernd im Bereich realistischer Darstellung angesiedelt, geht der Daumen praktisch automatisch nach unten. (Oder es werden absurd anmutende Ausnahmen für schwer zu ignorierende Megaseller geschaffen, wie im Falle von Jay-Z, dessen „99 Problems“ damit endet, dass der Rapper niedergeschossen wird. Der Star selbst durfte dann dem Publikum erläutern, dass er nicht wirklich sondern nur metaphorisch tot sei.)

Natürlich haben sich immer Musiker weit an die Grenzen des bei Zeitgeist und MTV Erlaubten herangewagt, Clips von Madonna, The Prodigy und N.E.R.D. sind auch deshalb legendär. Wer sich ohnehin als Extremmusiker – à la Nine Inch Nails (nicht für Jugendliche geeignet!) – oder unkorrumpierbarer Künstler – wie Add N To (X) oder Aphex Twin – begreift, schert sich sowieso wenig ums Massenformat. Die einschlägigen Fantasiewelten etlicher namhafter HipHop-Prolls finden sich zudem schon lange in den hinteren Videotheken-Regalen.

Neu ist heutzutage, dass es inzwischen aber eigentlich sowieso egal ist, was die Moralgremien der Musiksender meinen, deren rapider Bedeutungsverlust vor allem auch neue Freiheiten mit sich bringt. Denn die Schere im Kopf erübrigt sich. Wer seine Bilder zeigen will, findet einen Kanal, auch abseits der gängigen, nicht selten ebenso rigiden YouTube-Policy und kann sich Bedenken außerhalb der eigenen künstlerischen Ambition sparen.

Hypnotische Wirkung

Wie sich das – ist man nur bekannt und konsequent genug – weidlich ausnutzen lässt, haben Rammstein mit ihrem „Pussy“-Video bewiesen, das die Band in diesem Jahr sprunghaft in den Aufmerksamkeits-Fokus zurück brachte. Komplett vorbei an den üblichen Musikvideo-Distributionskanälen wurde der künstlerisch eher wenig wertvolle (nichtsdestotrotz im Rammstein-Kontext einigermaßen schlüssige) Clip von vornherein als Tabubruch inszeniert. Das Kalkül ging auf, Rammstein waren in aller Munde, am Ende ging der Promotion-Strategie sogar die Bundesprüfstelle mit einer (sachlich lächerlichen) Indizierung des zugehörigen Albums auf den Leim.

Der billigen Provokation unverdächtig sind die Bristol-Heroen Massive Attack. Aber auch sie profitieren derzeit vom Nachrichtenwert eines Pornoclips und schlagen überdies zwei Fliegen mit einer Klappe. Richtig teuer war das Video zu „Paradise City“ nicht, besteht es doch zu großen Teilen aus Original-Ausschnitten des 36 Jahre alten Pornoklassikers „The Devil In Miss Jones“– der wie einige andere Genrefilme der Ära noch aus heutiger Sicht geradezu progressiv anmutet – und einem Nahaufnahme-Porträt der heute über 70-jährigen Hauptdarstellerin Georgina Spelvin, die freimütig über ihre Faszination für die laufende Kamera berichtet.

Sehr explizit ist das naturgemäß, der schleppende Massive Attack-Sound und die elfengleiche Stimme von Gastsängerin Hope Sandoval verpassen dem Bildreigen eine enorm hypnotische Wirkung. Soll heißen: Massive Attack präsentieren eine stark ästhetisierte Sichtweise auf Porno, die abseits oberflächlicher Moralapostelei zum Diskurs geradezu auffordert. Denn natürlich müssen sich gerade pornografische Musikvideos nicht nur am musikalischen und ästhetischen Gehalt messen lassen, sondern sind automatisch Bestandteil eines nicht nur aus feministischer Sicht noch lange nicht abgeschlossenen Streits zum Thema PorNo oder -Yes. Massive Attack zumindest haben mit diesem Video und einer durchaus beeindruckenden Grande Dame des emanzipatorischen Porno diesbezüglich ordentlich vorgelegt.

Dieser Artikel ist in Kooperation mit entstandenmotor.de

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