Viva Hate!

Musikpreis Der letzte verbliebene freie TV-Kanal für Pop tötet in einer Stunde mehr Hirnzellen als jeder Alkohol, den man in dieser Zeit trinken könnte

Der SMS-Guru hat sich schonmal windelweich festgelegt: „Culcha Candela ist Favorit und kann sich auf eine breite Fanbase stützen. Ich+Ich ist harter Konkurrent und mit Fanta 4 ist auch immer zu rechnen.“ Knapp vier Euro kostet diese Erkenntnis, man muss zur Sicherheit natürlich zwei Mal fragen und tatsächlich: die Tendenz beider Antworten ist gleich. Keine Chance haben demzufolge also Monrose – klar, wer interessiert sich für die schon noch? – und die Beatsteaks.

Das wiederum lässt zweifeln, denn auch bei – sagen wir mal – etwas popmusikalisch unbeleckterer Betrachtung der aktuellen Zeitgeschichte, lässt sich kaum ignorieren, dass es im Reigen der Genannten eigentlich die Beatsteaks sind, die im Moment alle Aufmerksamkeit und Begeisterung auf sich bündeln, vor allem auch in den jüngeren Zielgruppen. Aber wahrscheinlich schauen sogar die nicht mehr VIVA. Ob jetzt Zweifel an der Kompetenz des Gurus oder an der des Viva-Publikums angebracht sind, wird sich jedenfalls am 27. Mai offenbaren. Dann findet der Comet statt, auf dem wie jedes Jahr auch die „Beste Band“ gekürt wird.

Der Comet ist der Musikpreis des Musiksenders Viva, in Stellung gebracht wurde er 1995, zwei Jahre nach Gründung des Senders, um dem englischsprachigen und -zentrierten MTV ein wenig nationalen Glamour und Teenie-Zentrierung entgegenzusetzen. Also den Verkauf der deutschen Musikindustrie anzukurbeln. Nur deutsche Künstler wurden demzufolge zur Wahl gestellt. Es war ein weiterer früher Baustein in der Konkurrenzkampf-Abwärtsspirale des Musikfernsehens. Deren Folgen sind bekannt: drastischer Kosten- und Niveau-Unterbietungswettkampf, Übernahme von Viva durch MTV, Programm-Gleichschaltung, Verzicht von MTV auf freie Ausstrahlung seit 2011.

Jetzt ist also VIVA der einzig frei empfangbare verbliebene Sender für „Pop und Fun“, wie es so schön selbstdargestellt heißt, und vier Monate später lässt sich konstatieren, dass es keine Überraschungen gibt. VIVA etwas länger anzuschauen, tötet zweifelsfrei mehr Gehirnzellen als der Alkohol, den man in derselben Zeit schaffen würde. Statt der sprichwörtlichen Klingelton- gibts jetzt Handyspielwerbung, dominiert wird das Spektrum allerdings durch Schuh- und Kosmetika-Spots. (Über deren gesamtheitlich vermitteltes Frauenbild, ließe sich auch trefflich lästern. Wobei sich TV-Trash-Connaisseure sicher daran erfreuen können, dass Schwartzkopf seine aktuelle Färbung im Umfeld gerade mit dem Attribut „Perfekt grauabdeckend“ bewirbt).

Brutal willkürliche Nominierungen

Wie irrelevant Viva in Hinsicht auf „Pop“ wirklich geworden ist, lässt sich am „Comet“ deutlich ablesen. Um Musik im engeren Sinne geht es – analog zum Programm – nur noch nebenbei. So etwas wie ein Gradmesser für aktuelle Popkünstler-Wertigkeiten lässt sich weder aus den brutal willkürlichen Nominierungen noch aus dem Ergebnis ablesen. Nahezu alle Preise werden per Internet-Voting vergeben, behauptet wird dann immer, dass so die die wahren Fans zum Zuge kämen, was wiederum gern in Danksagungen der Gewinner aufgegriffen wird. Nicht erwähnt wird selbstredend, dass man einerseits seine Fan-Gemeinde im Sinne des Viva-Klicks aktivieren muss, eine schon für das Online-Geschäft schlüssige Strategie. Oder dass Manipulationen so Tür und Tor geöffnet werden, sei es durch Fan-Aktionen oder gleich hinter den Kulissen.

Denn wer wirklich auf sich hält, dürfte sowieso kaum bereit sein, sich von Knallchargen-Laudatoren wie – so die Ankündigung – „Star-Entertainer Oliver Pocher, Sänger Jay Khan, Tanz-Guru Detlef D! Soost, Topmodel-Coach Jorge Gonzalez und DSDS-Jurorin Fernanda Brandao“ einen Preis überreichen zu lassen. Die alte Faustregel „Wer nicht kommt, bekommt keinen Preis“ gilt aber bekanntermaßen nicht nur beim – fast ebenso scheußlichen, nur grauhaariger wirkenden – Echo, sondern selbstredend auch beim Comet. (Was natürlich kein Veranstaltender jemals offiziell bestätigen wird.)

Die eigentlich interessante Frage ist also nicht, wer hier „Beste Band“ oder „Bester Liveact“ wird, sondern wer bereit ist, sich vielleicht doch soweit zu prostituieren, um den Preis in Empfang nehmen zu können und vielleicht doch noch einmal mehr in irgendwelchen Boulevard-Medien oder eben bei Viva Erwähnung zu finden. Vorausgesetzt, es gibt einen guten Ruf, versteht sich. Daniela Katzenberger wird ganz sicher da sein. Sie könnte „Bester Durchstarter“ werden. Den SMS-Guru kann man übrigens jeden Morgen ab zehn befragen. Es ist eine der Sendungen, die auf Viva jetzt halt so laufen.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden