Bettwäsche bitte von Pratesi, aber Vorsicht, Protzen ist nicht angesagt. Zwei Bücher von Alexander Marguier und Christina Rickens für und über die deutsche Oberschicht
Man stelle sich einen Mann vor, der sich jeden Roman eigens drucken lässt, bloß keine Massenware. Der sich eine Schildkröte hält, deren Panzer mit Edelsteinen besetzt ist, farblich auf den Teppich abgestimmt. Der sich im November künstlichen Frühling schaffen lässt. Was für ein Geprotze! Der Mann, ein Herzog, heißt Jean Floressas Des Esseintes, lebt in der Pampa weit vor Paris und ist der Held in Joris Karl Huysmans’ Fin-de-Siècle-Roman Au Rebours; Ur-Vater aller dekadenten Dandys. Warum sich Des Esseintes diese artifizielle Para-Realität schuf, schnurrt auf einen Grund zusammen: weil er es konnte.
Heute, gut 100 Jahre später, hätte Alexander Marguier wohl nur drei Worte für derlei Edel-Allüren übrig: R
en übrig: „kindisch, albern und peinlich“. In seinem nun in aktualisierter Fassung erschienenen Luxus-Lexikon zählt er „das Beste“ auf, „was für Geld zu haben ist“: Der Autor leitete bis vor Kurzem das Gesellschafts-Ressort der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und kennt somit die Ansprüche der gutbetuchten Klientel aus dem Effeff. Des Esseintes’ Geschmack würde er wohl glatt einem statusorientierten Vermögenden zuschreiben, in Sinus-Milieu-Begriffen gesprochen. Neureich eben. „Kenner der Materie“, schreibt der Ex-FASler und stellvertretende Cicero-Chefredakteur naserümpfend, seien sich einig: Eine „handelsübliche Rolex“ sei wirklich kaum „renommiertauglich“. Für solche ist seine „Luxuswarenkunde“ nicht gedacht, schließlich sei „Stil“ die „Voraussetzung jeglichen Luxusbewusstseins“, findet Marguier. „Reine Verschwendung um ihrer selbst willen erscheint uns sogar in höchstem Maße primitiv und auf abstoßende Weise dekadent.“Marguiers Buch ist eine von zwei Neuerscheinungen, die sich der Para-Realität unserer finanziellen Oberschicht widmen – und der Frage, was der Geldadel heute mit seinem Vermögen macht, auf welche Weise er seinen Reichtum zu demonstrieren oder zu kaschieren sucht. Während sich Das Luxus-Lexikon ausschließlich mit den Symptomen von Reichtum – also allem, was man dafür kaufen möchte – befasst, nähert sich das andere Buch jenen „Ganz oben“ quasi ethnografisch: Erstaunt ob der Tatsache, dass Millionäre im Vergleich zu Hartz-IV-Empfängern unerforschte Wesen sind, machte sich der Manager Magazin-Redakteur Christian Rickens auf, herauszufinden, „Wie Deutschlands Millionäre wirklich leben“, laut Untertitel. Es habe „politische Relevanz“, erklärt Rickens, die „realen Machtverhältnisse in unserem Land“ offenzulegen.Massenware? PffRickens besucht Pionierunternehmer, Firmenerben und alten Adel, er zeigt, dass reich nicht gleich reich ist. Vermögende und Möchtegern-Vermögende klassifiziert er Facette für Facette, je nach Eigenheit und Motivation, leistet damit Aufklärung im besten Sinne. Marguier dagegen will mit seiner Wohlstandsbibel die Spreu vom Weizen trennen – und hat nur die einen, die vermeintlich wahren Kenner, im Blick. Die Welt der edlen Dinge ist für ihn ein binäres System: guter Luxus, schlechter Luxus. Luxus sei der „Feind der Gleichheit“, befindet Rickens abschätzig. Für Marguier ist die Sehnsucht nach Luxus ein „höchst zivilisatorischer Akt“, das Verlangen nach Distinktionsgewinn, nach „Höherem“, nach Maßanzügen ein löblicher Impuls. Massenware? Pff.„Sollten wir denn tatsächlich die Fesseln der Ständegesellschaft abgeschüttelt haben, um uns ausgerechnet mit solchen Ritterrüstungen aus Stoff zu bekleiden?“, schreibt Marguier etwa über Anzüge von der Stange, oder: „Wir sagen es hier ausdrücklich: 600 Euro für ein paar Highheels sind gut angelegtes Schmerzensgeld“, und eine „Lotos“-Sonnenbrille gebe es „schon für 3.000 Euro“: Sein Lexikon gönnt sich den Luxus eines arrogant-augenzwinkernden Sounds, der allerdings nur für die In-Crowd wirklich attraktiv sein dürfe.Dennoch kann sich seine „Luxuswarenkunde“ sehen lassen, zumindest was die Fleißarbeit in Klischees angeht: 80 kurze Kapitel, jedes ist einem Ding gewidmet, das man reflexartig als „Luxusprodukt“ einordnet. Er erklärt die Güte von Brillanten und Butlern, Dessous, Hummer und Inseln, gefolgt von Jachten, Limousinen, Stopfleber und Trüffeln bis hin zur Zigarre. Und, zugegeben, man lernt punktuell dazu, etwa, wie man mit bloßem Fingerstreich erkennt, welches Briefpapier, welche Visitenkarte wie bedruckt wurde. Wann Kaspischer Stör gefangen und wie ihm der Fischrogen entrungen wird. Ob man das wissen muss, ist ein anderes Thema.Post-Crash-ÄraWas man dem Buch jedoch auch entnimmt, ist eine Liebe zu den „niederen Ständen“, um dem Duktus des Autors treu zu bleiben. Konkret: zum Handwerk. Diese liegt allerdings auch – man denke an den Erfolg von Richard Sennetts gleichnamigem Buch – im Trend. Damit verbunden ist die bedingungslose Bereitschaft, für analoge, schweißtreibende Arbeit auch richtig Geld in die Hand zu nehmen. Es wird zwar nirgends explizit thematisiert, doch dahinter versteckt sich in gewisser Weise ein Plädoyer gegen Sweatshops in armen Ländern und für einigermaßen lokale Handarbeit. Der Hang zu Luxusartikeln geht also überraschenderweise einher mit nachhaltigem Konsum. Ok, sofern man die Sache mit den Privatjets ausblendet oder die Idee, sich „die“ Pratesi-Bettwäsche aus Italien in die USA einfliegen zu lassen. Aber ansonsten: Das Buch ist der beste Beweis, dass man es mit Detailversessenheit aus reinem Distinktionsgewinn grandios übertreiben kann.Auch wenn diese Produktauswahl es kaum vermuten lässt: Bei beiden Texten schimmert durch, dass es offensichtlich einen europäischen Typus des Millionärs gibt: Ihm geht es stets um Understatement. Bloß nicht rumprotzen. Bloß nicht drüber reden. Und wenn das Bling-Bling doch einmal auf ein Foto gerät, wie im Falle von Ex-Siemens-Chef Klaus Kleinfeld, dann lässt man es eben wegretuschieren. Aus dem gleichen Grund wird das Eine-Million-Euro-teure Edel-Wohnmobil außen an poplige Reisebusse angeglichen.LackmustestChristian Rickens blättert dagegen ein ganzes Panorama unterschiedlicher Typen auf und hebt auf diese Weise deren unterschiedliche Haltung zu ihrem Vermögen hervor: Die einen wollen neureich demonstrieren, was sie haben, die Erbengeneration agiert eher philanthropisch. Doch es gibt so etwas wie einen Lackmustest, an dem alle Gruppen gemessen werden: Artikel 14 des Grundgesetzes, „Eigentum verpflichtet“. Auch wenn er den politischen Movens seines Buchs am Ende noch einmal kleinredet, liest sich sein Streifzug entlang der „upper crust“ wie ein Plädoyer dafür, aus Verantwortung der Gesellschaft gegenüber eine Vermögenssteuer wieder einzuführen, den Spitzensteuersatz wieder anzuheben, das habe es „zu Zeiten Kohls“ schließlich alles schon einmal gegeben. Die deutsche Angst vor Kapitalflucht erscheint Rickens am Ende seiner Recherche geradezu hysterisch: „Die Definitionsmacht“ darüber, was mit Steuergeldern passiere, „darf ein demokratischer Staat nicht den Millionären überlassen“, ist Rickens’ Fazit.Natürlich sind beide Bücher Texte ihrer Zeit. Sie spiegeln unübersehbar die globalisierte Post-Crash-Ära aufs Trefflichste. Rickens zieht Bilanz, entwirft anhand der Millionärslandschaft ein neues gesellschaftliches Finanzierungsmodell. Das Luxuslexikon zeigt symptomatisch den Impuls der Besitzstandwahrung: Im Kampf gegen das Durchschnittsvermögen zählt nur Überkandideltes. Und so schrumpft alles zusammen auf den Begriff des Accessoires, also auf – dem Wortursprung nach – „Hinzugefügtes“, um nicht zu sagen, Überflüssiges. In diesem Sinne ist Marguiers Buch eben das: ein Accessoire.