Blaues Auge statt Kopf ab

Medientagebuch Im Deutschlandfunk klärt Wolf Biermann ein für alle mal die Sache mit der Mauer und den Äußerungen diverser Linkspartei-Politiker

Puh. Die Feierlichkeiten zum 50. Geburtstag der Mauer sind gut über die Bühne gegangen. Bei Helmut Kohl im Garten steht jetzt ein schmuckes Mauersegment, das ihm die Bild-Zeitung geschickt hat. Und auch sonst hat die mediale Großlogistik trotz einigen Hin-und-Hers funktioniert. Für das Her sorgte vor allem die Linkspartei-Vorsitzende Gesine Lötzsch, die mit ihrer geschichtslosen Behauptung, die deutsche Teilung stünde in einem Zusammenhang mit dem verlorenen Krieg, Kritik auf sich gezogen hatte. Der Journalist Gerwald Herter machte daraufhin im Deutschlandfunk einen Vorschlag zur Güte im Interview mit dem Linkspartei-Politiker Dietmar Bartsch: „Herr Bartsch, macht es Sie misstrauisch, wenn Politiker historische Zusammenhänge erklären? Mir, offen gesagt, sind Interpretationen von Historikern lieber.“

Dem kann man sich nur anschließen, was Dietmar Bartsch auch umgehend tat, und weil vermutlich noch nie jemand so recht gehabt hatte wie Gerwald Herter mit diesem Satz, rief der Deutschlandfunk am nächsten Morgen den bekennenden Historiker Wolf Biermann an, um ein für allemal die Sache mit der Mauer, Frau Lötzsch und so zu klären. Und weil einem nach Biermanns konziser, nüchterner und bei aller Schwere des Themas doch nicht bierernster Interpretation tatsächlich die Worte fehlen, weil dem einfach nichts mehr hinzuzufügen ist, wollen wir sie wenigstens auszugsweise hier dokumentieren:

Nur sich selbst findet man nicht

„Dann geht mir ein Gefühl der Scham durch die Seele, weil ich damals – das muss aber unter uns bleiben, deswegen sage ich es ja auch im Radio – zu denen gehörte, die für den Bau der Mauer waren... Und deswegen war ich der Meinung, dass diese Mauer für uns eine Niederlage ist, aus der wir schmerzhafte Lehren ziehen sollen. Und mit dieser Haltung war ich, wie Sie schon dunkel ahnen, nicht auf der Parteilinie...
Dann fangen wir doch mal beim 30-jährigen Krieg an und bei Adam und Eva. Das ist so die Geschichtssicht von geschichtslosen Menschen, die irgendetwas verdecken und verschleiern und beschönigen wollen und jeden Schuldigen in der Weltgeschichte suchen, aber den wichtigsten, den sie finden sollten, finden sie nicht, nämlich sich selbst. Und diese Gesine Lötzsch ist natürlich eine politische Erbin der Kräfte, die schuld waren am Bau der Mauer.
Das ist ja das Erbe dieses alten stalinistischen Packs. Auch ohne Stalin und auch ohne Ulbricht und auch ohne Honecker sind sie aus meiner Sicht Reaktionäre, dumme Leute, die für die Entwicklung der Menschheit und des eigenen Volkes keine gute Rolle spielen...
Sich selbst mit ihrer Partei aus der Schuld herauszulügen, die geschichtlich auf diesen Leuten lastet. Das sind ja die Erben der DDR-Nomenklatura, und zwar finanziell und politisch und moralisch, genauer gesagt, unmoralisch. Es ist dieses verkommene Pack, das uns jahrzehntelang in der DDR unterdrückt hat, und natürlich tun die alles, um ein Geschichtsbild zu basteln, wo sie mit blauem Auge davonkommen und nicht mit Kopf ab...
Diese Achtundsechziger wollten sich von ihrer schuldverstrickten Generation der Eltern absetzen, gegen sie Stellung nehmen, den Antifaschismus endlich tapfer vertreten – und dann kippen sie in die Arme der neuen, der zweiten Diktatur, wie Ralph Giordano es richtig nannte, und legen sich mit denen ins Bett und kommen sozusagen von einem Elend und einer Lüge in das nächste Elend. Das ist leider oft so in der Geschichte.“

Bitte ausdrucken und gut aufbewahren. Dann müssen wir uns 2014, beim nächsten Jubiläum, nicht die Mühe machen, das noch mal aufzuschreiben.

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