In Sachen Bildung erweisen sich die meisten Angehörigen der links-grün eingestellten Mittelschichten als waschechte Pharisäer. Politisch korrekt, egalitär und multikulti eingestellt, würde ihnen kaum je ein rassistisches Wort über die Lippen kommen. Wenn es aber an die Beschulung des Nachwuchses geht, gelten andere Maßstäbe. Dem eigenen Kind soll verständlicherweise nur das Beste zukommen, und daher sucht man eine Einrichtung mit geringerem Ausländeranteil, verteidigt das Gymnasium oder weicht auf Waldorf- und Privatschulen aus.
In Bildungspanik erklärt Heinz Bude, wie das ehemals hehre humanistische Ideal der Bildung zu einem hart umkämpften Konkurrenzgut werden konnte. Schon in seinem Essay Die Ausgeschlossenen (2008) ging es ihm
n (2008) ging es ihm um die Dynamik sozialer Exklusion und Inklusion. Nun beschreibt Bude für den Bereich Bildung jenen Prozess, in dem sich die Mitte der Gesellschaft immer mehr abschottet, während sich die Lage an den Rändern verschärft. Die Bildungsverlierer von heute sind schon lange nicht mehr katholische Mädchen und vom Land, sondern die „migrantischen Jungen der Großstadt“, die Hauptschüler und Schulabbrecher, die als hoffnungslose Fälle zurückgelassen werden.Den Grund für die Verschärfung der Situation sieht Bude vor allem in der Angst einer neuen Mittelschicht, die einmal gewonnenes Terrain für ihre Kinder sichern möchte. Während nämlich das alte Großbürgertum seine Macht durch Besitz und Vermögen herstellte, konnte die neue Mittelschicht ihren Aufstieg nur durch Bildung und Wissen erreichen. Diese Werte sind sehr fragil und angstbesetzt, weil man nicht weiß, ob sie sich wirklich auszahlen. Gerade deshalb werden sie mit Klauen und Zähnen verteidigt, die „Gewinner der letzten Bildungsexpansion wollen mit Blick auf die Zukunft ihrer Kinder nicht als Verlierer der jetzigen Bildungsreformen dastehen“.Die durch Statusangst getriebene Mittelschicht werde immer einen Weg finden, staatliche Bildungsplanung – und damit auch Konzepte von Gesamtschulen – zu unterlaufen, meint Bude und zieht einen interessanten Vergleich zu Japan. Hier existiert zwar ein relativ homogenes öffentliches Schulsystem, doch daneben hat sich eine zweite Bildungsindustrie mit Ergänzungsschulen, den sogenannten Juku, entwickelt. In diesem „überhitzten Bildungssystem“ verschulden sich die Eltern, um die Ausbildung zu bezahlen, während sich die Kinder in Doppelbeschulung verschleißen.Löwen und FüchseGegen Überhitzung hilft Abkühlung. Bude will kein harsches Entweder-Oder. Es helfe nicht, entweder die Ängste der Mittelschicht zu ignorieren oder Ressentiments gegen die herausgefallenen Bildungsverweigerer zu schüren. Eine dritte Position müsse her. Budes Strategie besteht darin, sowohl das Ideal der Bildung als auch das der absoluten Egalität zu relativieren. Bildung sollte weder im Sinne der deutschen humanistischen Tradition als überzogenes Weltverbesserungsinstrument noch als milieuspezifisches „Mittel für Selbstdurchsetzung“ begriffen werden. Gleichzeitig bricht Bude eine Lanze für die altbekannte „offene Gesellschaft“, die Unterschiede braucht und damit auch verschiedene Bildungskarrieren eher zulässt als ausschließt. Manche, so Bude, seien eben leistungsorientierte Löwen und andere erfolgshungrige Füchse. Für die Letzteren habe die Schule wenig zu bieten, doch das müsse gar nicht schlecht sein. Der Unterschichtjunge mit Migrationshintergrund, „der lieber im Handyladen seines Onkels anfängt, als noch einen mittleren Schulabschluss zu erwerben“ verhält sich klug und durchaus angepasst.Der Essay fängt stark an und beschreibt die Dynamik der Bildungsspirale und ihre Paradoxien eindrücklich. Je mehr Menschen nach akademischer Ausbildung streben, desto mehr entwerten sich die erlangten Zertifikate, desto unsicherer wird der Gewinn, desto schärfer der Konkurrenzkampf. „Wenn im Stadion alle aufstehen, um eine bessere Sicht zu haben, sieht niemand besser“ ist das nicht ganz sympathische Bild für die Situation. Sollen und müssen wirklich alle im gleichen Maße am Bildungssystem teilnehmen?Demografie rettet alleWelcher Bildungsbegriff ist angemessen? Das wären echte Fragen, wenn Bude es sich mit den Antworten nicht so unverschämt einfach machen würde. Die Lösungen, die er anbietet, sind ärgerlich flapsig. Es reicht nicht, mit dem Märchen von Löwen und Füchsen die Bildungsverlierer in Wirtschaftsgewinner umzumünzen und als Kaninchen dann auch noch die Demografie aus dem Zauberhut zu ziehen. „Die Demografie rettet alle“, schreibt Bude wohlgemut am Schluss seines Essays, das Verhältnis von Geburtenaufkommen und Stellenverfügbarkeit werde sich so günstig entwickeln, dass Panik gar nicht nötig sei. Es ist ja Platz für alle. Bei den Berechnungen, die Bude zum Beleg anstellt, fällt auf, dass die heute 30- bis 50-Jährigen leider den Kürzeren ziehen, und dass alles auch nur funktioniert, wenn wir weiter die Konjunktur ankurbeln. „Es darf nicht passieren, dass Junge wie Alte anfangen zu sparen und zu horten, weil sie dem Gang der Dinge misstrauen und heute lieber kürzer treten, um morgen nicht blank dazustehen.“ Das klingt, als hätte der Hanser-Verlag beim Autor unbedingt ein Happy End bestellt.Zu einfach macht Bude es sich auch mit der Dramaturgie seines Buches. Anfangs überhöht er die Angst der Mittelschichten, deren Psychologie er hervorragend versteht, um dann am Schluss als Heilmittel Entspannung aufs Rezept zu schreiben: Macht euch mal locker. Das ist banal und trägt einen zynischen Unterton. Vielleicht möchte Bude mit seiner spielerischen Segelschuh-Gelassenheit einfach einen Distinktionsgewinn gegenüber der kleinbürgerlichen Bildungsbeflissenheit einstreichen? Die Oberschichten, von deren Privatschulen im Buch nicht die Rede ist, agieren souverän und haben wenig Angst vor Ansteckung durch die migrantischen Unterschichten. Vor allem sehen sie keinen Grund zur Panik. Genauso wenig wie Bude.Bildungspanik. Was unsere Gesellschaft spaltet Heinz Bude, Hanser 2011, 142 S., 14,90 €
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