Der Filmkritiker und gelernte Buchdrucker Helmut Färber hat einen wunderbar feinfühligen Band über Jean Renoir und dessen Film „Partie de Campagne“ geschrieben
Er gehörte zu den herausragenden Autoren der Zeitschrift Filmkritik: Helmut Färber, dem es gelang, als Kritiker ein höchst eigenes Profil und eine unverwechselbare Sprache zu entwickeln. Am Ende der 1950er Jahre von einem Kreis junger Intellektueller gegründet, wurde die Filmkritik stil- und geschmacksbildend in einer Zeit, als Westdeutschland von der in jeder Hinsicht provinziellen und reaktionären Kulturpolitik eines Kanzlers Konrad Adenauer geprägt war.
Dagegen schrieb die Zeitschrift an, war Vorreiter in der Vermittlung des internationalen Autorenfilms, stellte sich auch auf die Seite der umstrittenen französischen Nouvelle Vague um die Regisseure Godard, Truffaut, Rivette und damit auf die Seite eines neuen, seine Geschichte und seine Mittel reflektie
Geschichte und seine Mittel reflektierenden Kinos. Entsprechend erachtet auch Helmut Färber das filmkritische Schreiben als Erinnerungsarbeit, als Bewusstmachung des Gespräches, das alle Filme über die Zeiten hinweg miteinander führen.Im Jahre 1984 musste die Filmkritik ihr Erscheinen einstellen. Unterdessen gab Helmut Färber Seminare an den Filmhochschulen von Berlin und München, und er brachte Bücher heraus. Allerdings selten, was mit Färbers höchst eigener Arbeitsweise zu tun hat. Die spürt schon, wer einen seiner Bände nur in die Hand nimmt: Wie bis vor kurzem in Frankreich noch üblich, finden sich keine aufdringlichen Illustrationen auf dem Umschlag, bloß Titel und Autorname – so wird auf die Würde der Worte verwiesen, ihrer Ausdruckskraft vertraut. Färber ist gelernter Buchdrucker, für ihn gehört nicht allein der Text, sondern auch die Güte des Papiers oder des Schriftspiegels zu dem Geist, den ein Buch transportiert.Wie ein GedichtSo gingen und gehen in die Gestaltung der Bände stets derart viel Arbeit und Gewissenhaftigkeit ein, dass die Verlage abwinken und der Filmforscher seine Bücher in kleiner Auflage im Selbstverlag edieren muss. Traurig stimmt, dass unsere Öffentlichkeit eine solch eigenwillige und intelligente, jedoch leise, nicht ins Rampenlicht drängende Kulturarbeit wie die Färbers kaum mehr zu würdigen weiß.Nun also sein Buch über Partie de Campagne, einen 1937 entstandenen Kurzfilm Jean Renoirs. Das Buch ist ein sich öffnendes Tor in die Vergangenheit. Der erste Teil erzählt Renoirs Film Einstellung um Einstellung, Dialogsatz um Dialogsatz nach; dazu sind zahlreiche Abbildungen von den Einstellungen abgedruckt. In dieser Weise lässt Färber Renoirs Film für sich selbst sprechen. Er hilft so, die Künste des Regisseurs, aber eben auch die der Schauspieler, des Kameramanns, des Drehbuchschreibers, ja sogar der Beleuchter, besser zu sehen. Wobei sich des Filmforschers eigene Kunst zeigt. Färber ist präzise, aber nicht pedantisch, stets wahrt er Abstand, lässt einen Freiraum, wissend, dass letztendlich keine erklärende Darstellung erschöpfend beschreiben kann, was die Anziehungskraft eines Kunstwerkes ausmacht. Dazu noch ist seine Sprache von Schnitten durchsetzt, rhythmisch, so dass dieses Filmbuch bisweilen wirkt wie ein Gedicht, das Lebens- und Kinoerfahrungen des Lesers aufrührt.Zu den reichlichen Informationen über die Umstände und die Beteiligten der Produktion von Partie de Campagne gehören auch solche über die Hauptdarstellerin: Sylvia Bataille, Ehefrau des Soziologen Georges Bataille, nach dessen Tod sie den Psychoanalytiker Jacques Lacan heiratete. Färber hebt ihre enorme Klugheit und ihr – bei aller freundschaftlichen Verbundenheit zu ihm – kritisches Urteil über Renoirs Arbeitsweise hervor. Wie außergewöhnlich allein diese Buchpassagen sind, wird deutlich, wenn man sich fragt, wann man denn das letzte Mal etwas über die Intellektualität einer Schauspielerin oder deren Verankerung im Geistesleben ihrer Zeit lesen durfte.Erfüllt von ZärtlichkeitSpät, genau genommen erst nach dem Ende des Buches über Partie de Campagne, findet sich etwas Allgemeines über Renoirs Biografie und Gesamtwerk. Erstaunt liest man, wie sehr dieser Innovator der Filmkunst dem Theater verbunden blieb, fasziniert war von der Bühne als einem Ort, wo die Vorstellungskraft des Menschen sich entfalten kann. „Ich hasse alle Natürlichkeit“, diesen Satz Renoirs hat Färber seinem Buch als Motto vorangestellt. Gleichzeitig haben Renoirs Spielfilme eine ausgeprägt dokumentarische Seite, sind ganz der Anschauung des Irdischen, von konkret vor Augen stehenden Landschaften verhaftet. So ist Partie de Campagne erfüllt von einer großen Zärtlichkeit Renoirs für das Gras, das Wasser, die Bäume, das Naturleben der ländlichen Region an den Ufern des Flusses Loing.Was macht einen Film von 1937 für uns Heutige relevant? Um diese Frage zu beantworten, scheint es ratsam, dessen Inhalt näher zu beleuchten. Partie beruht auf einer Novelle Guy De Maupassants und handelt vom Sonntagsausflug einer Pariser Kaufmannsfamilie im Jahr 1860. In der freien Natur werden Mutter und Tochter von zwei Urlaubern diskret umworben. Henriette, die Tochter, hat ein schüchternes, doch wunderschönes Erlebnis mit Henri, das ihr nachgeht. Die Schlussszene von Partie de Campagne zeigt, wie Henriette und Henri sich Jahre später, beide sind längst anderweitig verheiratet, die Gesichter vom bürgerlichen Alltag gezeichnet, wieder begegnen und gemeinsam zurückblicken. Der Film ist die Erinnerung an eine verlorene Zeit.Kulturindustrielle KonfektionswareEine solche Erzählung ist durchaus keine Fiktion. Das zeigt beispielsweise Jean Renoirs künstlerischer Werdegang. Als Frankreich 1940 von den Nazis besetzt wurde, emigrierte er in die USA. Sein dort gedrehter Film Swamp Water ist, wie Färber mitfühlend berichtet, von zahllosen Eingriffen des Produzenten Daryl F. Zanuck gezeichnet, Konfektionsware. Wie anders dagegen der französische Renoir, der, wie Partie de Campagne eindrucksvoll demonstriert, zu einem eigenen gestalterischen Ausdruck gefunden hatte, und für den Dreharbeiten ein schöpferisches Miteinander von Freunden waren, was seinen Werken Antrieb und Zauber verlieh. Die Ursache für die vergleichsweise konventionelle Gestalt von Swamp Water erkennt Färber in dem an Orten wie Hollywood regierenden buchhalterischen Denken, das Künste und Künstler mit dem alleinigen Ziel hernimmt, den Profit zu maximieren. Stets, so Färber, mache die Buchhaltung Vorschriften, halte sich das letzte Wort vor, und vermöge sich nicht einmal vorzustellen, dass es Dinge gibt, die über ihren Verstand hinausgehen.Man spürt: hier dreht es sich insgeheim auch um die Situation des Filmforschers selbst, genauer: um die Generation der Färber angehört, die in den frühen 1960er Jahren aufbegehrte, andere Formen von Zusammenleben und -arbeiten im Sinn, als das Funktionieren nach Maßgabe bürgerlich-kapitalistischen Buchhaltungsdenkens. Die Hoffnung, bei einem solchen Aufbruch das Kino als Partner für sich zu gewinnen – das ist es wohl, was Färber mit Jean Renoir verbindet, einem Regisseur, dem es gelungen ist, eben diese Hoffnung in der Arbeit an und in Gestalt von Filmen wie Partie de Campagne Wirklichkeit hat werden zu lassen.Renoir liebte das Theater von Beaumarchais und die Opern von Mozart, Kunstformen des 18. Jahrhunderts also, in welchen die Hierarchien zwischen tragisch und komisch aufgehoben und alle existierenden Künste miteinander verbunden sind. Mehr noch: Renoir konnte mit der das bürgerliche Zeitalter dominierenden melodramatischen Kunst nichts anfangen, sah sich als einen Angehörigen des 18. Jahrhunderts in der Moderne. Helmut Färber kann man als einen Angehörigen der möglichkeits- und reflektionsfreudigen 1960er Jahre sehen, der in unsere Zeit ragt. Wie Renoirs Film den Betrachter, so beseelt Färbers Buch den Leser, überträgt die Lust der Arbeit an einem solchen Werk in unsere Gegenwart.