Georg Kreisler ist mit 89 Jahren gestorben. Sein schwarzer Humor wurzelte in seiner Persönlichkeit und seinen biographischen Erfahrungen. Erinnerung an eine Begegnung
Es gibt Gespräche, bei denen man bereits vorher weiß, dass die Zeit bei Weitem nicht ausreichen wird, um den Interviewpartner gerecht zu werden – bei Georg Kreisler war das von vornherein klar. Zu lebensfroh, zu abgründig, zu ereignisreich, zu vollgepackt mit Wendungen und Brüchen war sein langes Leben, als dass man all dies in eine knappe Stunde Gespräch pressen könnte. Das Erste, was mir auffiel, als ich bei ihm anrief, um ihn im Mai dieses Jahres um ein Interview zu bitten: Georg Kreisler hatte keinen Assistenten, keine PR-Frau, die für ihn die Kontakte mit der Presse regelte – nichts von all dem, mit dem andere Künstler sich oft ihrer eigenen Wichtigkeit versichern. Kreisler brauchte niemanden.
Sein Verlag hatte eine kurze E-Mail mit s
Mail mit seiner Salzburger Telefonnummer geschickt, man solle ihn einfach anrufen. Bereits Ende der 90er Jahre hatte er seinen Abschied von der Bühne angekündigt, war dann aber doch immer wieder auf Tournee gegangen. Nun sollten nach einigen Lesungen in mittelgroßen Städten endgültig Schluss sein. Die "letzten Termine seiner allerletzten Tournee" seien es, schrieb der Verlag. Zusammen mit seiner Frau Barbara Peters las Kreisler seine Gedichte, erzählte Anekdoten von früher und rezitierte einige seiner "Everblacks", schwarzhumorige Lieder, die ihn unsterblich gemacht hatten. Vor dem zweiten Auftritt in Weimar könne man sich gern unterhalten, sagte er am Telefon. Auf meine besorgte Nachfrage, ob denn die Zeit ausreiche oder er dann gleich in die Maske verschwinden würde, antwortete er: "Meine Frau schminkt sich immer sehr lang. Da ist genug Zeit."Wir trafen uns in der Lobby eines Business-Hotels, Klimaanlagen-gekühlt. Vor den Panoramafenstern liefen Touristen durch die Sommerhitze Weimars. Kreisler bereitete das Gehen mühe, ein paar Schritte zu einem Tisch in der Hotelbar kosteten ihn sichtlich Kraft. Um so konzentrierter wirkte er im Gespräch. Er hörte genau zu, antwortete präzise, erinnerte sich auf Nachfragen an Szenen aus seiner Jugend mit einer Anschaulichkeit, die mich beeindruckte.Der große RissWir sprachen über seine Jugend in Wien – und über den großen Riss in Kreislers Leben. Wie nach 1938 durch den "Anschluss" Österreichs aus dem alltäglichen Antisemitismus in seiner Heimatstadt staatlich sanktionierte Hetze gegen Juden wurde, diese Erfahrung hatte ihn geprägt. Die Szene, wie er aus seiner bisherigen Schule zusammen mit anderen jüdischen Mitschülern hinausgeworfen wurde, konnte er beschreiben, als sei es gestern passiert. "So etwas vergisst man nicht", sagte er knapp. Kreisler konnte noch 1938 mit seinen Eltern in die USA ausreisen, er war einer der Davongekommenen. Und dieses Bewusstsein des Davongekommen-Seins begleitete ihn den Rest seines Lebens. Als Soldat der amerikanischen Armee kehrte er nach Europa zurück. Er sei in einer Einheit mit lauter Historikern und Politologen gelandet, die hochrangige Nazis verhörten. erzählte er. Er habe mit seiner Musik in der Einheit für Unterhaltung und Zerstreuung sorgen sollen. Und manchmal habe er sogenannte Vor-Verhöre geführt. Er erinnerte sich an Hermann Göring und an Julius Streicher, den Chef des NS-Hetzblattes Stürmer, der nun nur noch Volksschullehrer gewesen sein wollte.Er sei nicht gern Soldat gewesen, erzählte Kreisler. Deswegen schlug er das Angebot aus, als Übersetzer bei den Nürnberger Prozessen zu arbeiten. Er bat um seine Entlassung und kehrte nach Amerika zurück. Dort schlug er sich als Entertainer in Nachtbars und als Musiker in Hollywood durch, meist allerdings mehr schlecht als recht. Für eine dauerhafte Rückkehr nach Europa war die Zeit noch nicht reif. Erst 1955 ging Kreisler nach Wien zurück und begann dort, die schwarzhumorigen Lieder zu schreiben, die ihn berühmt machten. "Tauben vergiften im Park", sein mit Abstand bekanntestes Lied, sei den Zeitungsmeldungen über tatsächlich vergiftete Tauben entsprungen. Wien versuchte damals, mit Gift einer Taubenplage Herr zu werden. Mit der Erinnerung an Auschwitz – wie in einigen Kreisler-Porträts zu lesen war – habe der Text gar nichts zu tun, sagte er.Auf die Nähe von Text und Musik zu Tom Lehrers "Poisoning Pigeons in the Park" wurde oft hingewiesen. Kreisler bestritt in seiner Autobiografie alle Plagiatsvorwürfe. Aber die Ähnlichkeit, auch bei zwei weiteren Kreisler-Liedern und entsprechenden Titeln Lehrers, ist doch groß.Gerühmt und zensiertKreisler wurde gerühmt für seine abgründigen Texte – und er wurde zensiert und ignoriert. Die Lieder erregten Anstoß, sie passten nicht in das wohlige War-was-Gefühl der fünfziger und sechziger Jahre. Kreisler trug die Texte über Mord, Zynismus und menschliche Niedertracht mit einem breiten Lächeln vor. Er entwarf raffinierte Sprachspielereien, unglaublich überdrehte Albernheiten und immer politisch werdendere Texte. Er sei bekennender Anarchist, sagte Kreisler mal in einem Interview. Und so richtete er sich in seinen Liedern auch gegen die Verlogenheit und den Zynismus der Mächtigen.Bei unserem Gespräch in der Hotelbar betonte Kreisler aber vor allem die Bedeutung seines übrigen Werks. Er sei nicht nur Liederschreiber, das sei alles ja schon sehr lange her. In der Zwischenzeit habe er Theaterstücke, Romane, Opern und Gedichte veröffentlicht. Leider aber dafür nicht die Anerkennung bekommen, die er verdiene.So klagt fast jeder Künstler. Kreisler hatte in früheren Interviews und autobiografischen Schriften aber oft einen latenten Antisemitismus dafür verantwortlich gemacht, dass seine Opern schnell wieder abgesetzt wurden, seine Stücke nicht lange gespielt wurden. In unserem Gespräch zeigte er sich skeptisch, ob er selbst nicht manchmal zu schnell zu dieser Erklärung gegriffen habe. Es lasse sich meist nicht eindeutig sagen, was der Grund für einen Misserfolge gewesen sei, sagte er. Aber dass Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit in Österreich und Deutschland weiter schwelten, dessen war er sich sicher.Auswegslose SituationIn seinem Gedichtband Zufällig in San Francisco von 2010 schrieb Kreisler über auswegslose Situationen, die man nicht mehr ändern könne, sondern einfach hinnehmen müsse. Als ein Beispiel nannte er Kinder, die man großgezogen habe, und die als Erwachsene nichts mehr mit ihrem Vater zu tun haben wollten. Ja, sagte er in der Hotelbar, das kenne er aus eigener Erfahrung. Zu seinen drei Kindern habe er keinen Kontakt mehr. Die Entfremdung könne er sich nicht erklären. Für einen Moment ahnte man den Abgrund hinter diesen Sätzen. Da war ein Spalt, über den auch kein Humor mehr hinwegtrug.Er war ganz ruhig, etwas kühl und ernst, als er sagte, dass er keine Hoffnung mehr habe, dass sich die Beziehung zu seinen Kindern noch einmal ändere: "Es gibt Dinge, über die kein Gras wächst."Georg Kreisler ist am 22. November in Salzburg im Alter von 89 Jahren gestorben.