Die einen nennen es Krieg …

Rhetorik Die anderen sprechen lieber vom Rettungsschirm. Der öffentliche Diskurs über die Wirtschaftsprobleme der Eurozone bedient sich einer nicht sehr friedlichen Metaphorik

Man könnte sich gut „Rettungsschirm” vorstellen, wenn demnächst das Unwort des Jahres gewählt wird. Allerdings wurde der „Euro-Rettungsschirm“ in Österreich schon zum Wort des Jahres gewählt. In der Begründung war zu lesen, dass so ein Schirm zentral sei für „unsere Währung und für alles andere, was in der Wirtschaft und in der Gesellschaft passiere“. Kurzum: ein „äußerst würdiges Wort des Jahres“. Als würde allein das Wort die Probleme lösen. Dabei sind Sprachbilder primär verführerisch einfache Vehikel komplexer Verhältnisse.

Wissen Sie, was ein Schirm ist? Ein Schirm ist ein großflächiger, meist dünner Gegenstand, dessen Hauptfunktion darin besteht, Räume in zwei Teile zu teilen. Ein Regenschirm teilt den Raum in einen trockenen und in einen feuchten Teil, ein Sonnenschirm teilt den Raum in einen hellen und in einen dunklen. Was aber teilt ein Rettungsschirm?

Die Eurozone befindet sich in freiem Fall. Was für einen Schirm benötigt man im Falle des Fallens? Einen Fallschirm? Ein Fallschirm ist dazu da, den Fall zu verlangsamen und eine unbeschadete Landung auf dem harten Boden der Tatsachen zu ermöglichen. Ist das der Sinn des Euro-Rettungsschirms? Soll der Euro sanft zu Boden segeln? Kann man einen Fallschirm aufspannen, den man noch gar nicht bei sich hatte, als man ins Fallen geriet? Oder ist der Euro-Rettungsschirm vielleicht doch kein Fallschirm, sondern eine Art militärischer Schutzschirm? Ein Schirm zu dem Zwecke, sich voller Angst unter oder hinter ihm zu verkriechen, bis die Krise vorüber ist? Soll der Schirm, wie in Sci-Fi-Filmen, dazu dienen, feindliche Kräfte abzuwehren, gleichsam als Schutz vor den Laserkanonen der bösen Ratingagenturen? Warum dann nicht lieber einen Euro-Schutzbunker errichten, oder gar einen eisernen Euro-Vorhang?

Derzeit sind kriegerische Metaphern unbestreitbar auf dem – pardon – Vormarsch. Immer wieder wird Angela Merkel in EU-Ländern als Hitler dargestellt. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht der Frieden in Europa an den Erfolg des Euros geknüpft wird. Der Euro ist unter Beschuss geraten. Spekulanten führen Krieg gegen den Euro. Ist die letzte Schlacht bereits geschlagen? Camerons Veto gegen die deutsch-französische Allianz hat wie eine Bombe eingeschlagen. Die Fronten sind verhärtet. Occupy!

Aus dem Bild der Krise ist im öffentlichen Diskurs in den letzten Monaten mehr oder weniger unbemerkt das Bild des Krieges erwachsen. Dies mag ein Anzeichen dafür sein, wie dramatisch die Lage ist. Die Metaphorik wird in den Medien jedoch nicht nur aufgegriffen, sondern zugleich spielerisch fortgesetzt.

Dies alles wäre belanglose Sprachspielerei, wenn es nicht einen entscheidenden Haken gäbe: Man pflegt zu über­sehen, in welchem Maße der politische Diskurs den gesellschaftlichen Kurs bestimmt – und wie sehr es da an alternativem Denken mangelt. Die Macht der Bilder lässt sich rasch illustrieren, wenn man sie durch andere ersetzt: Wäre es nicht viel beruhigender, wenn man den Rettungsschirm durch einen Euro-Schutzdeich ersetzte, um den europäischen Binnenmarkt vor den windgepeitschten Wogen auf dem Meer der ­Rating-Piraten zu bewahren, mit Brüssel als Leuchtturm der Korruptionsbekämpfung? Wer sich die kriegerischen Sprachbilder zu eigen macht, geht denjenigen auf den Leim, die meinen, die vor­geschlagenen Lösungen seien ohne zivile Alternative, und er bleibt gefangen im starren Korsett der Metaphern.

Peter Kruschwitz ist klassischer Philologe und lehrt an der University of Reading

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden