Genau 20 Jahre nach der Unabhängigkeit Simbabwes lassen die Medien derzeit wenig Gutes an dem südafrikanischen Land - schon gar nicht an Präsident Mugabe. Er habe die Landbesetzungen gefördert, denen weiße Farmer zum Opfer gefallen sind. Indem er den Rassenhass schüre, wolle er von einer extremen sozialen Misere ablenken, in die er das Land geführt habe - Bilder einer aufgebrachten, brutal gegen weiße Farmer vorgehenden schwarzen Landbevölkerung untermalen diese Analysen.
Tatsächlich ist die Situation in Simbabwe durch eine lange Misswirtschaft geprägt, die nicht zuletzt Mugabe zu verantworten hat. Tatsächlich auch zeichnet sich seine Führung durch eine ausufernde Korruption aus - viele der wenigen Begünstigten einer sich
einer sich nur schleppend bewegenden Landumverteilung sind Kader der Staatspartei ZANU. Und tatsächlich hat der Präsident die Landbevölkerung gegen "die Weißen" aufgewiegelt, denn erstmals ist sein politisches Überleben ernsthaft bedroht. Jenseits der berechtigten Kritik und Empörung zeugen die Reaktionen in Europa jedoch von erschreckender Ignoranz. Wie inzwischen häufig in der Dritte-Welt-Berichterstattung wird auch im Fall Simbabwe allein die Regierung für Krisenerscheinungen verantwortlich gemacht, weil diese sich nicht an die westlichen Spielregeln des Good Governance gehalten habe. Das weltwirtschaftliche Umfeld wird ignoriert, die Landfrage in Simbabwe lediglich als lokale soziale Krise dargestellt. Dabei geht es doch nicht zuletzt um das Verhältnis von weißen und schwarzen Staatsbürgern in einer postkolonialen Gesellschaft, denn die Wurzeln der jetzt zu beobachtenden Dynamik reichen weit in die Geschichte zurück - und das verbietet es, Simbabwes Problem auf die Figur eines machtversessenen Präsidenten und seiner Clique zu reduzieren. So wird eine ganze Kolonialgeschichte nebst ihren Langzeitfolgen entsorgt - und das mit rassistischem Unterton. Dargestellt werden die Landbesetzer nämlich meist in schlechtester kolonialistischer Tradition als wütende, fanatisierte Kinder, die nicht begreifen, dass sie lediglich instrumentalisiert werden. Um so "aufgehetzt" zu werden, bedarf es jedoch nicht nur eines Robert Mugabe, sondern Menschen mit einer Geschichte, mit Überzeugungen und der Bereitschaft, dafür aktiv zu werden. Sie oder ihre Eltern waren es, die bis vor 20 Jahren unter menschenverachtender Diskriminierung durch den Siedler-Kolionialismus zu leiden hatten und dagegen kämpften. Mit dem Befreiungskrieg und der Unabhängigkeit von 1980 hatten sich für sie Hoffnungen auf ein Leben in Würde und materieller Sicherheit verbunden. Nachdem das Land aber in den achtziger Jahren noch als Modell galt - unter anderem auch für einen Weg aus dem südafrikanischen Apartheidregime - waren die vergangenen Jahre durch eine rapide Verelendung großer Bevölkerungsteile geprägt, während eine kleine - schwarze und weiße - Elite im Land die Pfründe unter sich aufteilt. Jetzt reißt vielen der Geduldsfaden.Das entschuldigt nicht die teils brutalen Übergriffe oder die Verschwörungstheorien gegen "die Weißen" im Land, gegen die ehemalige Kolonialmacht Großbritannien und gegen die Opposition. Ebensowenig rechtfertigt es den positiv gefärbten Bezug auf den deutschen Faschismus als quasi stellvertretenden mächtigen Gegner Englands und Frankreichs, der in vielen einst kolonisierten Dritte-Welt-Staaten verbreitet ist und jetzt darin gipfelt, dass sich einer der Führer der Landbesetzer den womöglich noch aus den Tagen des Befreiungskrieges stammenden Kampfnamen "Hitler" zulegt, wie das von der deutschen Presse wiederholt aufgegriffen wurde.In Wirklichkeit offenbart sich dabei vor allem eines: das Trauma einer beinahe 100 Jahre währenden Kolonialherrschaft ist nicht überwunden ist. Wie sollte es auch. - Mit Simbabwe steht einmal mehr die Geschichte der Dekolonisierung auf der Tagesordnung. Für die Gewährung der Unabhängigkeit hatten die meist eher zermürbten als militärisch besiegten Kolonialstaaten weitgehende Konzessionen von den neuen Staaten verlangt. Dazu zählte häufig die Garantie, Angehörige der Besatzungsmacht, von denen mittlerweile viele im Land geboren waren, nicht zu verfolgen oder zu enteignen. Ein charakteristisches Beispiel für die damals geführte Debatte um die koloniale Hinterlassenschaft war der Disput zwischen Albert Camus und Jean Paul Sartre um das Schicksal der französisch-algerischen Siedler nach dem Befreiungskrieg: Camus, selbst in Algerien aufgewachsen, wandte sich gegen eine Trennung der Menschen nach nationaler Identitätszuschreibung, während Sartre darauf bestand, alle "Franzosen" müssten Algerien verlassen. Schwer (schon damals), sich eindeutig auf eine Seite zu schlagen. Meist blieb jedenfalls ein großer Teil der "einheimischen Weißen" - und mit ihnen die krasse Ungleichheit besonders bei der Landverteilung. Jüngstes Beispiel für diesen Weg des Kompromisses ist Südafrika.Aus dieser grob erzählten Geschichte ergibt sich keine Lösung für die komplexe und belastete Situation in Simbabwe. Ihre Betrachtung lässt aber innehalten bei der schnellen Be- und Verurteilung. Denn bemerkenswerter als die Landbesetzungen selbst ist eigentlich, dass sie bisher so selten vorkamen. Auch lässt sich vor dem Hintergrund der Kolonialgeschichte erst erkennen, wie unerträglich selbstgerecht und vermessen die Reaktion in den ehemaligen Kolonialstaaten und ihren Medien daherkommt, wenn aus diesem Munde jetzt moderates, rationales Verhalten eingefordert wird. Es lässt erschauern, wenn der britische Afrika-Staatssekretär Peter Hain Robert Mugabe als "unzivilisiert" beschimpft. Als wäre nie etwas gewesen.Eine ausführlichere Fassung dieses Artikels kann in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift iz3w nachgelesen werden.