In unserer Debatte über die Zukunft des Sozialstaates hatte Ex-Juso-Vorsitzender Benjamin Mikfeld (Freitag 32/07) gefragt, wie es dem "postfordistischen Kapitalismus" gelungen sei, mehrheitsfähig zu werden. WASG-Mitbegründer Joachim Bischoff nannte "eine defensive Politik der reinen Verteidigung des Sozialstaates" unrealistisch und setzte sich für dessen Erneuerung dank "reformierter verteilungspolitischer Grundlagen", indirekter Wirtschaftssteuerung und eines demokratischen Aufbruchs ein. In dieser Ausgabe äußern sich Juso-Chef Björn Böhning und Benjamin Hoff (LINKE), Staatssekretär für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz im Berliner Senat, mit einem gemeinsamen Text sowie der Journalist Wolfgang Storz.
Wie kann eine Debatte weitergef
n eine Debatte weitergeführt werden, die in wichtigen Teilen darin besteht, den jeweils anderen vorzuführen und die Missverständnisse wieder auszuräumen, die kurz zuvor produziert worden sind? Eine Möglichkeit soll hier erprobt werden: nach den Gemeinsamkeiten schauen. Und die sind so groß, dass es den Beteiligten vermutlich schon peinlich ist.Der erste Punkt: Mikfeld und Müller sind beide für eine Wirtschaftspolitik, welche die Nachfrage fördert, aber auch das Angebot, also die Kapitalseite. Es handelt sich dennoch nicht um ein Entweder-Oder, nicht um die Frage, "ob die Linke eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik betreibt, sondern welche" (Mikfeld). Vermutlich sind beide schnell dafür zu gewinnen, dass a) vorrangig klein- und mittelständische Unternehmen und keine Großkonzerne gefördert werden sollen und dass b) der Staat, wenn er die Nachfrage- oder Angebotsseite fördert, kein Interesse mehr daran haben kann, ein Wachstum um jeden Preis zu fördern, das im Zweifel Natur und Umwelt schadet.Der zweite Punkt: der Streit über die Vergangenheit. Mikfeld wird Müller sicher nicht widersprechen, wenn dieser auf die Erfolge staatlicher Nachfrage-Politik in den siebziger Jahren verweist. Diese Erfolge gab es - heute ist die Frage: Lassen sich mit den Methoden von damals auch die damaligen Erfolge wiederholen? Mikfeld sagt nein. Auch Müller wird heute nicht behaupten, dass allgemeine Maßnahmen, um die Massenkaufkraft zu stärken, viel bewirken. Denn sein Parade-Beispiel, das damals nachweislich Erfolg hatte und auch heute haben kann, ist kein teures Konjunktur-Programm, sondern das Ende der Siebziger von der Regierung Schmidt aufgelegte Zukunfts-Investitions-Programm (ZIP), mit dem der Staat systematisch indirekt und direkt Investitionen finanzierte.Der dritte Punkt: der Streit um den Sozialstaat. Vorsorge, Umbau - ist das alles per se neoliberal? Ein wesentliches Element dieses Konzepts: Menschen sollen umfassender als heute die Chance haben, sich zu bilden und weiterzubilden. Sie sollen durch Bildung in die Lage versetzt werden, sich selbst besser orientieren und behaupten zu können. Was ist an diesem Teil des Konzeptes neoliberal? Den Sozialstaat in diese Richtung umzubauen, das nimmt eine Kritik auf, die von links stammt. Jürgen Habermas hat bereits in den achtziger Jahren neben den großen Erfolgen des Sozialstaates auch auf seinen "Fehlschlag" hingewiesen: Er habe, in dem Bemühen Menschen zu helfen, rechtlich-administrative Mittel hervorgebracht, die zu Bürokratie und eingeschränkter persönlicher Freiheit geführt hätten. Ein Punkt, den Mikfeld anspricht und den Joachim Bischoff in seiner Replik ausdrücklich anerkennt, wenn er sagt: "Gewiss, der Rückzug auf eine defensive Politik der reinen Verteidigung des Sozialstaates wäre unrealistisch. Das hieße nicht nur, seine immanenten Widersprüche, sondern auch die Entwicklung von Individualität sowie des Anspruchs auf Selbstbestimmung und Partizipation zu ignorieren."Übrigens, der Streit ist so spannend, der braucht keine Papp-Kameraden. Der saarländische SPD-Chef Heiko Maas behauptet etwa, Oskar Lafontaine wolle im Energiesektor alles verstaatlichen, und Mikfeld referiert, Lafontaine wolle "zurück zu Staatsmonopolen in netzgebundenen Wirtschaftszweigen". Doch will Lafontaine große Teile der Energieversorgung kommunalisieren. Etwas völlig anderes als Verstaatlichung und sehr sinnvoll.Die bisherige Freitag-Debatte wäre noch spannender, würden die Fragen ernst genommen, die der jeweils andere anspricht. Es könnte politisch ertragreich sein, wenn die SPD-Linke (Albrecht Müller und Benjamin Mikfeld) untereinander und die fortschrittlichen Teile der LINKEN und anderer Parteien das Gemeinsame beachten und zwei, drei Themen heraus destillieren, die sie gemeinsam gesellschaftlich "durchsetzen". So wie es ver.di mit einer intelligenten und hartnäckigen Kampagne gelungen ist, den momentan Regierenden das Thema Mindestlohn nicht zu schenken.Vorschlag: Alle machen sich das Thema Bahn AG zu eigen. Eine gesellschaftliche Bewegung gegen den Versuch, die Bahn zu privatisieren. Versuchen, am Beispiel dieses Privatisierungs-Vorhabens ein Denken zu brechen, das volkswirtschaftliche Vernunft zurückstellt, statt dessen rein betriebswirtschaftlichen Kriterien Vorfahrt einräumt und zwangsläufig in diesem Privatisierungs-Wahn endet. Das Beispiel Bahn bietet sich an: Es gibt auf der einen Seite das Fiasko mit der privatisierten Bahn in England, auf der anderen die geradezu vorbildlich öffentlich organisierte Bahn in der Schweiz. Es geht um einen Kernbereich an öffentlicher Infrastruktur und die Frage, ob erneut öffentliches Eigentum verschleudert werden soll. Und es handelt sich um einen Präzedenzfall: Kann Privatisierungspolitik an dieser entscheidenden Stelle gestoppt werden? Und: Es geht in diesem Fall um einen Kampf, der Erfolg haben kann und nicht von vornherein mit einer politische Depression verbreitenden Niederlage zu enden droht.Ein solches Projekt wäre ganz anders als ein weiterer Schlagabtausch mit Vorwürfen im Schlepptau, die sich erst nach mühevoller Kommunikation als Missverständnisse entpuppen und trotzdem persönliche Verletzungen zurücklassen, aber dieses Projekt ließe sich vorzüglich mit dem einen wie dem anderen kombinieren.
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