„Die Rainbow People wandern in einem unsicheren Traum umher, der jeden Moment zu einem Albtraum explodieren könnte.“ So beschreibt der populäre südafrikanische Romanautor, Theaterschriftsteller und Dramaturg Zakes Mda die innere, die seelische Verfassung Südafrikas, der Nation, die er liebt und an der er leidet. Für viele – vor allem weiße – Südafrikaner, aber auch für so manchen europäischen Diplomaten oder Wirtschaftsvertreter ist Südfafrika mit der Wahl des ANC-Chefs Jacob Zuma zum künftigen Staatspräsidenten am vergangenen Mittwoch dem Albtraum ein Stück näher gekommen. Zuma ist zweifellos eine schillernde Figur: In einem von Juristen als zweifelhaft bezeichneten Verfahren wurde ein Prozess ge
Politik : Mr Zumas Gespür für Stimmungen
Die Wahlen in Südafrika zeigen ein nach wie vor zerrissenes Land. Jacob Zuma muss nun beweisen, ob er nur ein weiterer afrikanischer Despot oder ein kluger Integrator ist
gegen ihn wegen Korruption, Betrug, Steuerhinterziehung und Geldwäsche kurz vor der Wahl von der Staatanwaltschaft zurückgezogen. Von der Anklage der Vergewaltigung ist er 2006 wegen Mangel an Beweisen freigesprochen worden. Er ist bekennender Polygamist. Seine Gegner nennen ihn Monster, vergleichen ihn mit Simbabwes Diktator Robert Mugabe und sprechen ihm rundweg die moralischen Qualitäten ab, das wirtschaftlich stärkste und politisch stabilste Land Afrikas in den kommenden fünf Jahren zu führen. Mit Brachialgewalt hat er seit seiner Wahl zum Chef der Regierungspartei ANC im Dezember 2007 die politische Landschaft Südafrikas verändert.Doch es gibt auch diesen anderen Zuma, den Mann, dessen tief aus dem Bauch aufsteigendes Lachen einfach mitreisst. Der jeden in seinen Bann zieht, wenn er den Raum betritt. Ein warmherziger, humorvoller Mann, der sofort den richtigen Ton trifft, bei den Bankern und Bossen beim Weltwirtschaftsforum in Davos ebenso wie bei den Ärmsten der Armen in den Townships Südafrikas. Ein Charismatiker mit dem unwiderstehlichen Charme eines Bill Clinton.Nur ein weiterer "Big Man"?Es ist leicht und einfach, Jacob Zuma in eine Schublade zu stecken: Ein neuer „Big Man“ in Afrika, einer von denen, die das Image des schwarzen Kontinents immer wieder so unrühmlich geprägt haben. Dessen Erkennungsmelodie die alte Hymne der Befreiungsbewegung geworden ist: „Bringt mir mein Maschinengewehr“.Können wir Europäer diesen Mann wirklich so schnell und leichtfertig abstempeln? Haben wir nicht einen Berlusconi? Hatten wir Deutschen nicht einen Kanzler der schwarzen Kassen? Hat der Verfassungsminister unseres Landes in der Spendenaffäre nicht das Parlament belogen? Was war mit dem affärenbelasteten Franz Josef Strauß? Und wirken bayerische Ministerpräsidenten in ihren Lederhosen, Trachtenjankern und Gamsbarthut aus afrikanischer Sicht vielleicht ebenso exotisch wie ein Zuma im Leopardenfell auf uns?Über 65 Prozent der Wähler haben diesem Jacob Zuma ihr Vertrauen geschenkt. Die Demokratische Allianz (DA), die größte Oppositionspartei Südafrikas, hatte dem „Tzumani“ im Wahlkampfendspurt nichts anderes entgegenzusetzen als den Aufschrei „Stoppt Zuma“. Mit ihrer Angstkampagne steigerte sie ihren Stimmenanteil immerhin von knapp 13 auf fast 17 Prozent und nahm dem ANC die Macht im Westkap ab, wo sie künftig mit absoluter Mehrheit regieren kann. Doch Mark Gevisser, scharfzüngiger Mbeki-Biograf und Analytiker, nennt die „offizielle“ Opposition Südafrikas „das schrille Bollwerk weißer und farbiger Minderheitsinteressen“. Nach ersten Wahlanalysen hat die DA ihre Stimmen in der Tat vor allem in den weißen Vororten und den Vierteln der Farbigen (d.h. Gegenden mit überwiegend indischstämmiger Bevölkerung) eingefahren.Südafrika ist immer noch ein zerrissenes LandDas Wahlergebnis zeigt insofern nicht nur die demokratische Stabilität Südafrikas, sondern vor allem die immer noch tiefe Zerrissenheit des Landes, die immer noch nicht überwundene Trennung der Rassen – 15 Jahre nach dem Ende der Apartheid. Denn Jacob Zuma hat seine Wahl ins höchste Staatsamt ausschließlich der Mehrheit der schwarzen Bevölkerung zu verdanken. Er muss nun alles tun, um nicht zum Präsidenten der Schwarzen zu werden. Südafrika muss seine Gräben schließen, die Mauern in den Köpfen abbauen. Gerade wir Deutschen sollten wissen, wie schwer das sein kann. Der Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz Südafrikas, der Johannesburger Erzbischof Buti Tlhagale, beschwor Zuma am Tag nach der Wahl denn auch in einem Offenen Brief: „Ich hoffe, dass das Zusammenschweissen unserer Nation ihre oberste Priorität sein wird – um unsere narbenbedeckten Seelen zu heilen.“Zuma, der Stimmungen wie kaum ein anderer südafrikanischer Politiker erspürt, scheint das verstanden zu haben. In seiner ersten Botschaft nach der Wahl machte er der gespaltenen Nation das Angebot, aufeinander zuzugehen: „Nachdem der Wahlkampf vorüber ist, müssen wir Misstrauen, Verunsicherung, Schmerz und Spannung beerdigen und ein neues Kapitel der Harmonie und Zusammenarbeit aufschlagen. Südafrika (muss) seine Stellung und sein Image als prosperierende Nation wiedergewinnen, die mit ihren Schwierigkeiten fertig werden kann und die dazu fähig ist, das Land über die politischen Interessen von Einzelnen oder politischen Parteien zu stellen.“Zuma knüpft damit geschickt an eine Mahnung an, die Südafrikas Freiheitsikone Nelson Mandela an seinem 90. Geburtstag an die damals noch in ihren zerstörerischen Machtkampf verstrickten Rivalen Jacob Zuma und Thabo Mbeki gerichtet hatte.Die Opposition muss sich neu strukturierenNachdem dieser erbarmungslose Kampf durch die Wahl nun endgültig zugunsten Zumas entschieden ist, hat die innenpolitische Szene Südafrikas sich allerdings merklich verändert: Der ANC musste zum ersten Mal seit 1994 Stimmverluste hinnehmen. Das Western Cape ging als einzige der neun Provinzen verloren. Und mit dem „Congress of the People“ (Cope) hat sich eine neue Partei etabliert und zumindest einen Achtungsserfolg errungen. Die anderen Oppositionsparteien sind mehr oder weniger marginalisiert worden. Südafrikas Opposition muss sich neu strukturieren. Die Verschiebungen in den Wählerstrukturen, die sich in dieser Wahl abgezeichnet haben, könnten ein Indikator sein, dass das Ende des de facto Ein-Parteien-Staats Südafrika denkbar geworden ist.An den Problemen des Landes hat die Wahl nichts geändert: Armut, Arbeitslosigkeit, AIDS, ein mangelhaftes Erziehungssystem, bei dem Kinder in den Townships immer noch Schulgeld zahlen müssen, ein überfordertes Gesundheitssystem, Kriminalität, Korruption. Zudem steht Südafrika nach 15 fetten Jahren erstmals vor einer Rezession als Folge der globalen Krise. Der Kapstädter Wirtschaftsjournalist Brendan Boyle stellt fest, dass bei Zumas Amtsantritt – anders als bei seinen Vorgängern – „alle wirtschaftlichen Indikatoren nach unten“ zeigen. Und es bleibt das unaufgearbeitete Kapitel des skandalumwitterten Waffen-Deals von 1999, bei dem die junge Nation Fregatten und U-Boote kaufte, statt die Milliarden in die Erziehung der Kinder zu stecken. Wie schnell ein solches Gebräu explodieren und Träume zerstören kann, haben die xenophobischen Pogrome im vergangenen Jahr so schrecklich demonstriert.Nicht nur die Fußball-Fans werden sich im kommenden Jahr davon überzeugen können, ob Zuma ein „nation builder“ oder ein Zerstörer ist. Ob er – wie der Kabarettist Pieter-Dirk Uys, eine Art südafrikanischer Dieter Hildebrandt, sagt – das Zeug hat, „nicht nur ein guter, sondern ein großer Präsident“ zu werden. Bei der Fußball-WM 2010 werden die Augen der Welt auf dieses Land gerichtet sein und vielleicht erkennen können, ob die Nation weiter ihren Traum vom Regenbogen lebt.