Jade-Weser-Port: Weil Wilhelmshaven Arbeitsplätze braucht, ist der Stadt jedes Industrieprojekt recht. Selbst die Umweltverbände tun sich da mit dem Naturschutz schwer
Angebrochene Backsteine, zerborstenes Holz – nichts ist ganz geblieben, als damals der Bagger kam. Der Mann, dem der Haufen aus Bauschrott, Brombeersträuchern und Erde einmal gehörte, ist jetzt über 70 und im Ruhestand. Der Trümmerhaufen war einst sein landwirtschaftlicher Betrieb. Allein das Sprechen über das, was vor über 30 Jahren im Norden von Wilhelmshaven passiert ist, fällt ihm schwer. Er möchte nicht mit Namen genannt werden und schon gar nicht die Überreste seines alten Lebens sehen. Es musste einer Ölraffinerie weichen.
Der Landwirt steht nicht allein da mit seinem Schicksal. Die Natur kommt nach dem Menschen und der Mensch nach der Wirtschaft. „In Wilhelmshaven hat die Großindustrie Vorrang, da wird auch ein UNESC
ein UNESCO-Titel nicht helfen“, sagt Peter Hopp vom Ortsverband des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Selbst die Naturschützer tun sich in Wilhelmshaven schwer mit dem Naturschutz. Man schielt hier auf Arbeitsplätze, denn die sind rar. „Wir brauchen die Industrie. Wilhelmshaven hat etwa 14 Prozent Arbeitslose, die jungen Leute wandern ab. Und da sind 2.000 neue Stellen durch den Jade-Weser-Port wichtig“, sagt Peter Soko–lowski von den Wilhelmshavener Grünen.Industrieromantik zwischen Wattenmeer und Strand Die Skyline von Wilhelmshaven ist gezeichnet von zwei Raffinerieschornsteinen und einem Kohlekraftwerk der Firma Eon. Derzeit baut die Firma GDF Suez ein zweites, Eon würde gerne erweitern. Außerdem reiht sich die Chemiefabrik Ineos in die Küstenlinie der Stadt ein. Es sollen in den nächsten Jahren noch mehr Schornsteine, große Frachtschiffe und Betonbauten hinzukommen, wenn es nach Oberbürgermeister Eberhard Menzel (SPD) geht. Die schmalen Betonschornsteine einer Raffinerie ragen wie Leuchttürme in den Himmel, nur schmaler und farbloser. Blau-gelb leuchtet immer wieder die Fackel an der Spitze einer der Betonsäulen auf, wo Gas verbrannt wird. Industrieromantik zwischen Marschland, Wattenmeer und Strand.Dabei will man doch Ende Juni den Titel „UNESCO-Weltnaturerbe“ erhalten. Denn das Wattenmeer vor der Küste von Wilhelmshaven ist weltweit in dieser Ausdehnung einzigartig. Das Watt ist eines der größten Feuchtgebiete der Welt, das viele Zugvögel anzieht und vielen bedrohten Tier- und Pflanzenarten einen einmaligen Lebensraum bietet. Der UNESCO-Titel könnte die Autorität sein, die den Spagat zwischen Industrie und Naturschutz beendet und einen Schlusspunkt unter Kompromisse und Ausnahmen setzt. Doch solange die Grünen für den Bau des Tiefwasserhafens Jade-Weser-Port sind und Wilhelm Kaufmann vom örtlichen Naturschutzbund NABU erst Bauchschmerzen bekommt, wenn ein drittes Kohlekraftwerk am Ufer des Wattenmeers gebaut wird, ist wenig Hoffnung für die Natur in Sicht.Kraftloser NaturschutzEnde 2011 soll das erste Schiff am Jade-Weser-Port festmachen. Durch die besonders tiefe Fahrrinne in Wilhelmshaven können auch die größten Frachtschiffe anlegen. Damit wird der Jade-Weser-Port Deutschlands einziger Tiefseehafen. Der Preis dafür ist hoch. Durch den Bau werden Brutstätten bedrohter Vogelarten zerstört, dem Wattenmeer wird weitere Fläche genommen, und die Ausbaggerungen am Meeresgrund greifen ständig in den Lebensraum der Tiere und Pflanzen ein. Nicht nur der Jade-Weser-Port bedroht die Umwelt. „Wilhelmshaven ist der Mülleimer der Nation, hier werden all die Dreckschleudern gebaut, die sonst keine Region haben will“, sagt Peter Hopp vom BUND.„Wenn ich das Gesetz für Naturschutz durchlese, sehe ich genau, warum ich hier nichts wirklich schützen kann“, verteidigt sich Ralf Kohlwes, Umweltverträglichkeitsprüfer bei der Stadt Wilhelmshaven. Er liest aus dem Gesetzbuch vor: „Paragraph 34… Ausnahmen dann, wenn es aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses, einschließlich sozialer oder wirtschaftlicher Gründe, notwendig ist.“ Damit könne quasi alles zur Ausnahme gemacht werden, erklärt er. „Es geht nicht darum, Wirtschaftsentwicklungen zu verhindern, sondern gute Lösungen zu finden“, sagt Kohlwes und zeigt an, dass auch er für Kompromisse steht. Wieder kein Umweltschutz ohne Bedingungen.Joachim Tjaden sitzt im Stadtrat und gehört der Wählergruppe Bildung Arbeit Soziales Umwelt (BASU) an. Jeder Kompromiss, der Wilhelmshaven einen neuen Schornstein bringt, ist für ihn eine Niederlage. „Leider sind die Initiativen hier zu klein, da macht man sich schnell lächerlich, wenn man zu zehnt vor der Rathaustür steht und deutlich macht: Wir sind dagegen!“ Also lässt er es lieber bleiben.Gewöhnlich macht jede der kleinen Umwelt-Initiativen in Wilhelmshaven ihre eigenen Aktionen, es gibt wenig Austausch. Kürzlich haben sie sich das erste Mal gemeinsam an einen Tisch gesetzt. Eine E-Mail wird herumgeschickt und jede Initiative soll eine geplante Resolution überarbeiten. Die 48-jährige Imke Zwoch, Mitglied beim BUND und mit Abstand die Jüngste in der Runde fragt: „Kennen Sie die Überarbeitungsfunktion bei Word?“ Unwissende Gesichter, ein Scherz, und dann weiß man: Naturschutz ist in Wilhelmshaven eine zähe Sache und kann nicht mit dem Tempo der Großprojekte mithalten.Die Naturschützer sind noch im Schreibmaschinen-Zeitalter der Olympia-Werke geblieben. Der Schreibmaschinenhersteller Olympia, einst Arbeitgeber in Wilhelmshaven für mehr als 10.000 Menschen, hat die Tore längst geschlossen, hatte nicht umgerüstet und die Zukunft ignoriert. Der Bankrott riss die Stadt mit in den Abgrund. Nun hoffen die Naturschützer auf einige tausend Arbeitsplätze durch den Jade-Weser-Port und das neue Kohlekraftwerk – und setzen damit auf das falsche Zukunftspferd, sagt Joachim Tjaden von der BASU: „Das Kraftwerk wird maximal 50 Arbeitsplätze bringen, der Hafen höchstens 1.000, aber das wird ausreichen, um das Wattenmeer und den Naturraum um Wilhelmshaven wieder einmal hintenanzustellen.“