Beim Kampf gegen Kinderpornografie solle man lieber "Täter verfolgen, statt Grundrechte beugen", fordern Online-Aktivisten und haben eine E-Petition initiiert
"Wir fordern, daß der Deutsche Bundestag die Änderung des Telemediengesetzes nach dem Gesetzentwurf des Bundeskabinetts vom 22.4.09 ablehnt. Wir halten das geplante Vorgehen, Internetseiten vom BKA indizieren von den Providern sperren zu lassen, für undurchsichtig unkontrollierbar, da die "Sperrlisten" weder einsehbar sind noch genau festgelegt ist, nach welchen Kriterien Webseiten auf die Liste gesetzt werden. Wir sehen darin eine Gefährdung des Grundrechtes auf Informationsfreiheit." So lautet der Text der E-Petition gegen die Netzsperrungen, der zur Zeit auf vielen Mailinglisten und in Foren beworben wird.
In den letzten Tagen ist die Zahl der Mitzeichner stark angestiegen, was von einigen als großer Erfolg angesehen wird. Doch wenn man die E-Petition und die Anz
tzeichner stark angestiegen, was von einigen als großer Erfolg angesehen wird. Doch wenn man die E-Petition und die Anzahl der Mitzeichner näher analysiert, dann ist dieser Erfolg eher marginal.Am 6. Mai 2009, 13.08 Uhr, betrug die offizielle Anzahl der Mitzeichner 32.500. Gemessen an der Anzahl derjenigen, die in Deutschland das Internet tagtäglich nutzen, ist dies eine niedrige Zahl. Dazu kommt, dass eine Vielzahl der Mitzeichner im Anschluss an Meldungen von beispielsweise Heise Online ihre Unterstützung schriftlich niederlegte. Dies ist nicht schlecht, doch handelt es sich bei Heise Online um einen Dienst, der sich an eher technikaffine Menschen richtet, welche schon seit langem verstanden haben, warum die Sperrpläne, dezent ausgedrückt, nicht nur unsinnig, sondern gerade auch für die Informations- und Rezipientenfreiheit im Sinne des Artikels 5 Grundgesetz gefährlich sind. Die Anzahl der Mitzeichner zeigt in diesem Fall deutlich, dass die Problematik bei einer Vielzahl von Menschen eben nicht angekommen ist, dass vielmehr Frau von der Leyens stetes Mantra der "gequälten und doppelt missbrauchten Kinder" Erfolg hat.Unterhaltungen mit Internetnutzern, die sich nicht für technische Belange interessieren bzw. derartige Foren/Newsticker oder Mailinglisten frequentieren, sind größtenteils auf dem Standpunkt "Wenn es auch nur einem Kind hilft..." stehengeblieben und unterstützen die Sperrpläne. Interessant hierbei ist, dass diese Meinung nicht mit einem grenzenlosen Vertrauen in Bundeskriminalamt und Politik einhergeht, sondern ganz gezielt hier den Verlautbarungen geglaubt wird, so dass das "Argument", dass die armen Kinder doppelt missbraucht werden, anstandslos übernommen wird. Bei diesen Nutzern ist weder das Wissen um die Frage, was Kinder- und Jugendpornografie eigentlich ist bzw. weshalb diese Formulierungen in der heutigen Zeit schlichtweg völlig verwässert sind, vorhanden, noch ist ihnen klar, dass Frau von der Leyen mit völlig aus der Luft gegriffenen Zahlen und Angaben hantiert. Selbst wenn Analysen, Gegendarstellungen und Richtigstellungen veröffentlicht werden, so werden diese lediglich für die "üblichen Verdächtigen" interessant. Die Taktik der Politik, durch Luftzahlen ihre Thesen zu untermauern, wird hierbei gestützt durch Medien, die diese Zahlen anstandslos übernehmen.Ähnlich wie bei der einst als politischen Talkshow verklärten Sendung mit Sabine Christiansen, in der der ehemalige Minister Clement Fantasiezahlen über die Anzahl derjenigen, die Sozialhilfemissbrauch betreiben, verbreiteten durfte, ohne dass von Seiten der Moderation nur einmal nachgehakt wurde, werden auch die Aussagen der Bundesfamilienministerin größtenteils unwidersprochen kommuniziert. Vor den geistigen Augen vieler Internetnutzer hat sich längst das Bild von weltweit und mafiös agierenden Banden, die (kleine) Kinder sexuell missbrauchen um davon Bilder und Videos herzustellen, welche dann im "Milliardengeschäft Kinderpornografie" für Umsatz sorgen. Dass es für derlei Aussagen keinerlei Beweise gibt und selbst Landeskriminalämter der These vom Milliardengeschäft widersprechen, geht im emotionalen Rauschen rund um die armen Kinder unter."Zensursula" von der Leyen setzt auf EmotionalisierungGeschickt hat es die Bundesfamilienministerin bisher vermieden, auch nur irgendwelche Zahlen mit Fakten zu untermauern, setzt stattdessen erfolgreich auf die Emotionalität. Wer sie in Interviews hört, merkt schnell, dass hier keienswegs planlos agiert wird. Im Gegenteil – Frau von der Leyen beherrscht die Methode der Rabulistik perfekt. Voneinander unabhängige Zahlen ergeben bei der Bundesfamilienministerin, durch geschickte Interviewsätze verbunden, einen völlig neuen Sinn, suggerieren Dinge, die nicht da sind.Ein Paradebeispiel hierfür zeigte sich im Interview mit Radio Eins, in dem Frau von der Leyen, die sich mittlerweile den Spitznamen "Zensursula" redlich verdient hat, zunächst von dem Geschäft (also dem "Geschäft mit der Kinderpornografie") sprach, dann meinte, dass 80% der Kunden ganz normale Internetnutzer sind, um dann nahtlos dazu überzugehen, dass diejenigen, die wissen, wie die Sperren umgangen werden können, eben die anderen 20% sind, zum Teil "schwerst pädokriminell" (ein Kunstwort, welches zuerst in Kreisen von "Kinderschutzhardlinern" auftauchte und schlichtweg in Bezug auf Kinderpornografie die Problematik des sexuellen Missbrauchs verzerrt, indem es suggeriert, bei Kinderpornografie und sexueller Gewalt gegen Kinder würde es sich um Dinge handeln, die automatisch auf Pädophilie zurückzuführen sind. Dies ist nicht der Fall, vielmehr geschieht ein Großteil der sexuellen Gewalt aus Macht- und Dominanzideen heraus. Nicht von ungefähr kommt es, dass in manchen Kulturen die sexuelle Gewalt noch als Strafinstrument dient.)Indem Frau von der Leyen erst von den Kunden im Kinderpornografiegeschäft spricht, dann aber in einen Mischmasch von "20% der Kunden" sowie "den Leuten, die man kennt, die die Sperre umgehen können" endet, wird deutlich und geschickt suggeriert, diejenigen, die die Netzsperren umgehen können bzw. wollen, hätten automatisch auch Interesse an Kinderpornographie. So funktioniert Beeinflussung der Massen sowie die Vorverurteilung von Kritikern, allerdings auf hohem Niveau, so geschickt eingeflochten, dass sie sich der Strafbarkeit, z.B. wegen Verleumdung, entzieht.Eben diese Taktiken führen dazu, dass eine Vielzahl von Internetnutzern in den Sperrplänen ein Mittel sieht, dass "Milliardengeschäft" einzudämmen und die vielen vielen Kinder, die dafür sexuell missbraucht wird, zu retten, indem die "Nachfrage eingedämmt wird". Diese Internetnutzer erreicht die Petition nicht, so wie auch die diversen Artikel sie nicht erreichen. Die großen Medienformen, die diese Menschen erreichen könnten, Tageszeitungen, Wochenzeitungen, Sendungen der öffentlich-rechtlichen wie "Tagesschau-/themen", Panorama, Report usw., die aber schweigen zu dem Thema größtenteils oder gönnen ihm höchstens eine Randnotiz, so sie nicht einseitig belastet gleich die Argumentation der Frau von der Leyen übernehmen.Der neu gegründete AK Zensur hat eine schwere Aufgabe vor sich, wenn er gerade diese Zielgruppe erreichen will, die des "ganz normalen Internetnutzers". Es ist ihm zu wünschen, dass es gelingt, doch hierzu müssten auch einmal die Medien aufwachen. Darauf aber wartet man seit Jahren, nicht nur beim Thema Netzsperren, vergeblich.Keine Frage - die Petition sollte (auch wenn dies durch diverse technische Unzulänglichkeiten und eine unsägliche Zwangsoutingregelung unattraktiv gestaltet wurde) jeder unterzeichnen, der dem BKA keine Blankovollmacht übergeben möchte, der sich gegen eine Netzsperre ohne Sinn und Verstand aussprechen will. Doch dass es ausreicht, hier auf den Petitionsausschuss zu hoffen, ist ein Trugschluss.