Klischee vom gewalttätigen Wilden

Chile Das Land sollte ihnen gegenüber eine historische Schuld begleichen und einst geraubtes Land zurückgeben, fordert Chiles indigene Mapuche-Minderheit

„Dem Staat, Holzunternehmen, Großagrariern, Politikern der Rechten und der Regierung sowie den Desinformierten möchte ich sagen, dass ich kein Terrorist bin: Ich habe niemanden gefoltert oder umgebracht“, verteidigt sich Jaime Parileo, Angehöriger der rund eine Million Menschen zählenden Minderheit chilenischer Mapuche-Indigenen. 2003 wurde der 33jährige Bauer zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Mit Gleichgesinnten hatte er zwei Jahre zuvor 100 Hektar einer Pinien- und Eukalyptusplantage des Agrarmultis Mininco – Tochter des lateinamerikanischen Zellulose-Giganten-AG IMPC – in Brand gesteckt. „Als sozialer Kämpfer nehme ich allein mein Recht wahr, gegen den Wassermangel, das Aussterben einheimischer Bäume und medizinischer Heilpflanzen zu protestieren und für die Wiederaneignung von Land zu streiten, damit mein Volk wieder aufleben kann“, verschaffte sich Parileo im Namen der erstarkten Mapuche-Protestbewegung Gehör, die das südamerikanische Land zwischen Pazifik und Anden derzeit in Atem hält. Die in mehreren Instanzen bestätigte Haftstrafe für den Familienvater ist drakonisch, aber gesetzeskonform. Noch immer dient ein unsägliches „Anti-Terror-Gesetz“ aus Zeiten der Pinochet-Diktatur dazu, Politaktivisten einer radikalen Opposition als „Feinde der Nation“ zu kriminalisieren.



Concertación

Doch haben die Erfolge von Indigenen-Bewegungen im Nachbarland Bolivien oder in Ecuador den marginalisierten Mapuche Mut gemacht. Mit “einer repressiven Haltung und der Forderung nach noch mehr Polizeipräsenz, noch mehr Gewalt, noch mehr Härte” werde der Konflikt nicht zu lösten sein, mahnt Manuel Camilo Vial, Präsident der Stiftung Institut Indígena, der zugleich Bischof von Temuco ist, vor einer drohenden Eskalation. Nicht nur dieser Geistliche und außerparlamentarisch organisierte Bewegungen verlangen nun die Begleichung der „historischen Schuld Chiles“ gegenüber seiner indigenen Bevölkerung und die Rückgabe des einst geraubten Bodens.

Viel steht auf dem Spiel. Die Massenmedien stellen die Mapuche-Minderheit (acht Prozent der Bevölkerung) mit Vorliebe als „faule Eingeborene“ dar, die als primitive Störer den „sozialen Frieden und die Ruhe“ gefährden. Bestens ins Bild vom gewaltbereiten Wilden passte da der „Überfall“ auf einen Überlandbus, den Vermummte vor einigen Wochen mit Steinen angegriffen hatten. „Es gibt viele fingierte Anschläge, damit unser Volk als brutal erscheint“, meint Juan Carlos Curinao, traditioneller Führer der Mapuche, und kündigt die „unbefristete Mobilisierung“ an. Nur direkte Verhandlungen mit Präsidentin Bachelet würden zu einem Stopp von Besetzungen und Protestaktionen führen. Gleichzeitig wirft er der Polizei Menschenrechtsverletzungen vor.

Spiel auf Zeit

Tatsächlich sollen von Helikoptern herab Tränengas, Gummigeschosse und Schrotkugeln auf Demonstranten der Mapuche gefeuert worden sein. Am 13. August wurde der 24-jährige Jaime Mendoza von Spezialkräften der Polizei mit mehreren Schüssen in den Rücken getötet. „Der Staat beantwortet unsere Forderungen mit Schüssen. Es ist doch kein Akt der Gewalt, ein Stück Land zu besetzen“, beklagt Curinao. Wenig geholfen hat bisher die jüngst erfolgte Ernennung eines Ministers für die „Koordinierung indigener Angelegenheiten.“ Doch wurde für José Antonio Viera-Gallo ein Besuch in La Araucanía zum Fiasko, er musste bei einem Meeting unter Steinwürfen die Flucht antreten, nachdem in der Nähe besetztes Land zeitgleich durch ein massives Polizeiaufgebot geräumt wurde. Es scheint, als hofft Chiles Regierung den Konflikt durch ein Spiel auf Zeit sowie Zuckerbrot und Peitsche ins Leere laufen lassen. Ein Risiko – auf jeden Fall soll es keine Eskalation wie in Peru mit vielen Toten geben.

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