Die Akte Becker

RAF Die Festnahme eines früheren RAF-Mitgliedes soll Licht in den Fall Buback bringen. Eine mögliche Verwicklung der Geheimdienste bleibt wohl weiterhin im Dunkeln

Als vor ein paar Tagen ein Bild-Reporter Verena Becker in Berlin aufspürte, antwortete das frühere RAF-Mitglied auf die Frage, ob sie im Frühjahr 1977 den Generalbundesanwalt Siegfried Buback erschossen habe: „Nein, das wissen sie doch.“ Inzwischen ist die 57-Jährige festgenommen worden und sitzt nun in Untersuchungshaft. Dass Becker seinerzeit die tödlichen Schüsse abgab, glaubt nicht einmal die Bundesanwaltschaft. Ihre „mittäterschaftlichen Beteiligung“ erstreckt sich mutmaßlich auf die Abfertigung der damals versandten Bekennerschreiben der RAF. Becker habe die Briefmarken beleckt, sagt der ehemalige BKA-Abteilungspräsident Wolfgang Steinke, der maßgeblich an den Ermittlungen gegen die Gruppe beteiligt war. „Aber das bedeutet doch nicht, dass sie die Tat begangen hat.“

Juristisch betrachtet spielt ohnehin anderes eine Rolle. Verena Becker ist der obersten Ermittlungsbehörde „dringend verdächtig, gemeinschaftlich mit anderen“ das Attentat auf Buback verübt zu haben – von neuen Indizien über die in den Medien viel diskutierte „Schützenfrage“ ist in Karlsruhe nicht die Rede. Am Gründonnerstag 1977 waren Buback und zwei Begleiter erschossen worden – der Auftakt der "Offensive 77", mit der die RAF die inhaftierten Gründungsmitglieder um Andreas Baader befreien wollten. Der Fortgang der Geschichte ist bekannt: Becker wurde bald verhaftet, dabei fanden die Fahnder jene Waffe, mit der einer der Begleiter Bubacks getötet worden war. Bei ihrer Verurteilung im Dezember 1977 spielte aber nur die Schießerei während der Festnahme eine Rolle - sie erhielt lebenslänglich. Das gegen sie geführte Verfahren wegen der Beteiligung am Buback-Attentat wurde 1980 „trotz eines verbleibenden Tatverdachts“ eingestellt. 1989 kam Verena Becker nach ihrer Begnadigung durch den Bundespräsidenten aus der Haft frei.

Vor zwei Jahren wurde enthüllt, dass sich Becker Anfang der achtziger Jahre im Gefängnis dem Verfassungsschutz anvertraut hat. Die damals entstandene Unterlagen – eine Fallakte und einen Auswerterbericht von 1982 – sind 25 Jahre lang geheim geblieben und im Januar 2008 für immer gesperrt erklärt worden. Unter Berufung auf die Strafprozessordnung, nach der eine Weitergabe von Material dann nicht gefordert werden könne, wenn „das Bekanntwerden des Inhalts dieser Akten oder Schriftstücke dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde“. Nicht einmal die Bundesanwaltschaft kam an die Papiere. Seither fragen sich viele, was denn in den Unterlagen so Staatsgefährdendes stehen mag. Und was der Verfassungsschutz möglicherweise zu verbergen hat.

Immerhin ist eine Verwicklung der Geheimdienste keinesfalls so abwegig. „Verbindungen bundesdeutscher Nachrichtendienste mit Terroristen gab es mehr, als man dachte“, meint der Rundfunkjournalist Thomas Moser. In den Hinterlassenschaften des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit fand sich vor einiger Zeit ein Vermerk der Spionageabteilung HA II von 1978, nach dem Erich Mielkes Mitarbeitern „zuverlässige Informationen“ vorgelegen hätten, „wonach die B. seit 1972 von westdeutschen Abwehrorganen wegen der Zugehörigkeit zu terroristischen Gruppierungen bearbeitet bzw. unter Kontrolle gehalten wird“. Das frühere Mitglied der „Bewegung 2. Juni“, Bommi Baumann, der Becker nach eigenen Angaben für die Gruppe rekrutiert hatte, ließ in einem Interview durchblicken, er könne sich „vorstellen, dass sie während ihrer ersten Gefängnisstrafe 1974 umgedreht wurde“. Und der Sohn von Siegfried Buback, Michael, warf in einem vergangenes Jahr erschienenen Buch die Frage auf, ob es womöglich schon vor dem Gründonnerstag von 1977 ein Zusammenwirken gegeben hat. „Man kann somit nicht ausschließen, dass es Kontakte zwischen Terroristen und Geheimdiensten schon vor dem Attentat gab“, so Michael Buback.

Alles nur konstruiert? Es ist nicht zu erwarten, dass die Behörden auf eine Klärung dieser Frage drängen. Im Gegenteil: Vielleicht ist die jetzt erfolgte Festnahme Beckers auch eine Maßnahme, um genau das zu verhindern. Eine „Reihe von verdeckten Ermittlungsmaßnahmen“ hatten unlängst zu einer Hausdurchsuchung bei Becker geführt. In den Medien wird berichtet, aus abgehörten Telefonaten und gefundenen Aufzeichnungen gehe hervor, dass Becker ihre Erinnerungen an das damalige Geschehen habe niederschreiben wollen. Möglich, dass dann mehr ans Licht gekommen wäre, als ein paar neue Details zum Hergang des RAF-Attentats auf Siegfried Buback.


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