Ein guter Tag für „Lebensschützer“

Abtreibung Das Bundesverfassungsgericht erlaubt einem Abtreibungsgegner seine Protestaktionen. Dieser darf jetzt wieder Patientinnen eines ihm missliebigen Arztes belästigen

Ein christlich motivierter, radikaler Abtreibungsgegner hat am Dienstag, 29. Juni 2010 vor dem Bundesverfassungsgericht Recht bekommen. Darüber jubeln die selbst ernannten „Lebensschützer“. Sie dürfen ab sofort wieder vor Frauenarztpraxen und Kliniken demonstrieren oder selbst erfundene „Straßenberatungen“ durchführen, mit denen sie schwangere Frauen zur „Umkehr“ bewegen wollen. Denn die Richter in Karlsruhe haben das Verbot gegen den religiösen Eiferer und seine „Protestaktionen“ aufgehoben, der nach einem Urteil des Landgerichts München innerhalb einer „Bannmeile“ von einem Kilometer keine PassantInnen belästigen durfte. Er hatte sich in der Nähe einer Arztpraxis auf der Straße aufgestellt und mit Plakaten und Flugblättern versucht, diejenigen, die er für Patientinnen des Arztes hielt, einzuschüchtern. „Als engagiertem Christen sei es ihm darum zu tun, sich mit verschiedenen Aktionen gegen die Durchführung von Abtreibungen zu wenden, auch wenn diese der geltenden Rechtslage entsprächen“, heißt es im Urteil. Ein strafrechtlich relevantes Verhalten konnte das Bundesverfassungsgericht dem selbsternannten „Lebensschützer“ nicht nachweisen. Das Landgericht München wurde gar belehrt, dass es zu Gunsten der selbst ernannten „Lebensschützer“ künftig in der Rechtssprechung berücksichtigen müsse, dass „der Schwangerschaftsabbruch ein Gegenstand von wesentlichem öffentlichem Interesse“ sei. Das Nachsehen werden die Frauen haben, die weiterhin dem „Spießrutenlaufen“ und den unerträglichen Belästigungen ausgesetzt sind. Und nicht nur das – die immer aggressiver werdenden anti-choice Organisationen gewinnen an Macht und Durchsetzungsvermögen.

Längst nicht mehr nur in den USA

Schon lange nicht mehr nur in den USA, wo radikale Abtreibungsgegner mehrere Ärzte, die Abtreibungen vornahmen, erschossen haben, sondern auch in Deutschland müssen Menschen, die für sexuelle und reproduktive Rechte und die Selbstbestimmung der Frauen eintreten, sich immer wieder mit den Vorgehensweisen christlicher Fundamentalisten auseinandersetzen. Auch hier werden Frauen, die sich für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden, verunglimpft und als Mörderinnen bezeichnet. Denn die „Lebensschützer“ bedienen sich einer aufhetzenden Rhetorik und ignorieren die grundgesetzlich verbriefte Würde der Frau, ihr Recht auf reproduktive Autonomie, auf selbstbestimmte Sexualität, Kontrolle über ihren eigenen Körper und die von ihr gewählte Lebensform. Sie verleumden Organisationen und Personen, die sich für die Rechte von Frauen und Homosexuellen einsetzen und attackieren sie. Mit „Lebensschutz“ hat das ebenso wenig zu tun, wie die von ihnen beliebte Gleichsetzung von Abtreibungen mit dem Völkermord der Nazis.

Die selbsternannten „Lebensschützer“ sind keine einzelnen „Wirrköpfe“. Sie sind mitten in der Gesellschaft angekommen, unterhalten Beratungsstellen, haben eine Juristinnenvereinigung und eine Ärzteaktion, und sie haben seit Bestehen des § 218 (seit dem Jahre 1871) wesentlichen Einfluss auf die Gesetzgebung ausgeübt. Es ist an der Zeit, dass die demokratischen Kräfte in unserer Gesellschaft den reaktionären Weltanschauungen von christlichen Fundamentalisten und selbst ernannten „Lebensschützern“ entgegentreten, anstatt sie zu bestärken. Selbsternannte Lebensschützer schützen kein Leben, sondern gefährden Leben indem sie Psychoterror ausüben und versuchen, Frauen in ihrem Grundrecht auf Selbstbestimmung für oder gegen ein (eigenes) Kind zu verunsichern sowie das Recht auf Schwangerschaftsabbruch insgesamt zu verschärfen.

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