Die letzte Revolution hat im Winter stattgefunden. Jetzt, als am Freitag den 8. Juli wieder Abertausende auf den Tahrir-Platz strömen, herrschen in Kairo über 40 Grad. Die ganze Nacht haben Aktivisten und Aktivistinnen an einem gigantischen Sonnensegel aus weißen Stoffbahnen gebastelt, das sich nun bei jedem leichten Windstoß hebt und senkt. Die Menschen – Männer, Frauen, Familien mit Kindern – halten Zeitungen oder Sonnenschirme über die Köpfe. Die fliegenden Händler, schweißüberströmt, schenken Glas um Glas Mangosaft aus. Mittags um zwölf scheppert der Gebetsruf aus den Boxen der Bühnen und der Tahrir-Platz verwandelt sich einmal mehr in ein Meer von Rücken, als sich Tausende zum Beten niederknien. Die Hitz
Politik : "Wir bleiben!"
Eine zweite Protestwelle rollt durch Ägypten und seit Freitag ist der Tharir-Platz wieder besetzt. Die Regierung ist überfordert. Ein Bericht aus Kairo
itze hängt wie ein silberner Schleier über dem Platz. Krankenwagen bringen mit Blaulicht die ersten Hitzeopfer weg. Und trotz durchschwitzer Klamotten und Staub in den Lungen: Die Stimmung ist entspannt, die Demonstranten begrüßen sich herzlich, scherzen, finden sich spontan zu Gruppen zusammen, die Lieder und Slogans gegen das Militär anstimmen.Von Polizei oder Militär ist nichts zu sehen. Das hätte noch am Tag zuvor fast niemand erwartet. Die Großdemonstrationen am 8. Juli finden in einem höchst angespannten Klima statt. Manchen der Aktivisten, die schon die Nacht zuvor auf dem Platz übernachtet haben und im Inneren des Platzes und auf den Wiesen am Rand die Camps abgesperrt, Zelt um Zelt aufgebaut haben, baumelten am Morgen noch Gasmasken um den Hals. „Bis Mitternacht ist es sicher“, sagt die Aktivistin Rana. „Dann, wer weiß?“ Sie ist vorsichtig – kein Wunder, tragen doch viele noch die Verbände an Kopf, Händen oder Beinen von den Straßenschlachten der letzten Woche. Über 1500 Menschen wurden Ärzten zufolge verletzt, als es in Kairo am vergangenen Mittwoch spontan zu Protesten kam und die Polizei über 20 Stunden Gas, Gummigeschosse und Steine in die Menge schoss, ehe sie aufgab und aus der Kairoer Innenstadt floh. An jenem Tag hatte sich, eine Woche vor der lang geplanten Demonstration, spontan der Frust entladen, der sich über den vergangenen Wochen bei den Ägyptern angestaut hatte. Zwar machen die jungen Prostestierenden und die unabhängigen Gewerkschaften schon seit einigen Monaten gegen das Militär mobil, das seit Mubaraks Rücktritt im Februar herrscht, das mit Folter, willkürlichen Verurteilungen und scharfen Schüssen gegen die Protestbewegung und streikende Arbeiter und Arbeiterinnen vorgeht. In den vergangenen Wochen jedoch hat sich der Unmut auch wieder in breitere Bevölkerungsschichten ausgebreitet: Das Verschleppen der Prozesse gegen Mitglieder des alten Regimes, etwa gegen Ex-Innenminister Habib Al-Adly, der für Hunderte Tote verantwortlich ist oder gar deren Freilassung, wie kürzlich dreier Ex-Minister, nährt die Mutmaßung, das neue Regime mache mit dem alten gemeinsame Sache.Für Wut sorgt auch die Tatsache, dass die Polizei weiterhin foltert und tötet und noch immer kein Polizist für alte oder neue Verbrechen belangt worden ist. Die Ausschreitungen am 28. Juni waren wie ein Startschuss: Innerhalb weniger Tage stand Äypten wieder in Flammen. An der Küste und in Kairoer Vororten stürmten wütende Bürger die Polizeistationen, in Suez blockierten die Familien der in der Revolution Getöteten die Hauptroute nach Kairo, die streikenden Hafen- und Fabrikarbeiter schlossen sich den Protesten an.Als am 8. Juli in fast allen Städten des Landes die Demonstrationen starteten, waren in Suez, Alexandria und Kairo die zentralen Plätze der Städte schon wieder seit Tagen besetzt – und die neue Protestwelle rollte so mächtig, dass sich alle politischen Akteure gezwungen sahen aufzuspringen, wollten sie ihre Glaubwürdigkeit nicht verlieren. Die Muslimbrüder kündigten einen Tag vor der Demonstration an, nun auch teilzunehmen, auch wenn sie mit dem herrschenden Militärrat durchaus gute Kontakte pflegen. Und Amr Moussa, konservativer Präsidentschaftskandidat und Vertrauter Mubaraks, kam gar selbst zum Platz. Die Regierung hingegen ist überfordert, wie sich schon an ihren Reaktionen auf die Proteste letzte Woche zeigte: Polizeieinsatz mit voller Brutalität, dann vollkommener Rückzug aus der ganzen Innenstadt. Die panische Ankündigung des Premierministers, sieben Minister zu entlassen, dann die Erklärung des Militärrates, dass er dies nicht akzeptiere.Am heutigen Morgen kriechen die Protestierenden auf dem Tahrir-Platz aus den Zelten, die sich in der Sonne schon wieder aufheizen, Freiwillige sammeln den Müll der letzten Nacht ein, verteilen Wasser, kochen Tee. Der Platz ist noch immer voller Menschen, die Straßen rundherum sind gesperrt. Der Aktivist Ramy Ghannem schaut strahlend über das Camp. „Wir bleiben“, sagt er. „Wir haben es mit Reden versucht, manchmal hat man uns zugehört – aber passiert ist nichts. Wir müssen die Forderungen der Revolution selbst durchsetzen.“ Ob die Polizei das Camp räumen wird oder bezahlte Schläger, wie schon einmal? Er zuckt mit den Schultern. „Vielleicht warten sie auch einfach eine Weile ab. Bis weniger Menschen auf dem Platz sind und die Öffentlichkeit nachlässt.“Über die Lautsprecher werden Neuigkeiten aus den anderen Städten verlesen: In Alexandria sind die Protestierenden in den Hungerstreik getreten. Suez hat sich von der Militärherrschaft unabhängig erklärt und zivilen Ungehorsam angekündigt, sollte das Militär oder die Regierung keine Erklärung abgeben. Doch die lassen kein Wort von sich hören. Die alte Riege der Politiker weiß auch nach fünf Monaten noch nicht, wie sie mit einer äußerst selbstbewussten und politisierten Bevölkerung umgehen soll, die einmal die Erfahrung gemacht hat, dass sie alles erreichen kann, wenn sie nur will. „Hau ab, General“, heißt es auf einem Plakat über General Tantawi, den Obersten des herrschenden Militärrates. „Du kannst Mubarak folgen. Merkt Ihr es endlich: Wir lassen uns nicht mehr verarschen!“