Kultur : Schöner wohnen

Kronleuchter und Stuckrosetten: Die Konzeptkünstlerin Miriam Kilali hat ein Heim für obdachlose Alkoho­liker in ein Luxusdomizil verwandelt. Ein Hausbesuch

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Der Boden ist mit Terrakotta-Fliesen gekachelt, an der Decke glitzert ein Kronleuchter, auf einer Holztreppe führt roter Teppich in die oberen Stock­werke. Alles hier erinnert an das Foyer eines gehobenen Hotels, nichts an den Eingang eines Obdachlosenheims. „Der Bruch mit der Erwartung ist Absicht“, sagt Miriam Kilali. Die Konzeptkünstlerin hat das Haus Schöneweide, ein Heim für alkoholkranke, obdachlose Männer im Osten Berlins, zu einem Kunstprojekt umgestaltet und mit Nobelaccessoires ausgestattet. „Reichtum 2“ hat sie das Projekt genannt.

„Ich will zeigen, dass wir die Welt verändern können, dass die Ärmsten nicht zwingend in Armut leben müssen“, sagt Kilali. Kein geringer Anspruch. Aufgekratzt erzählt die 43-Jährige von der Renovierung. Der Eingangsbereich habe früher an ein Schlachthaus erinnert, graublaue Kacheln an den Wänden. Jetzt strahlen sie weiß, die Terrakotta-Fliesen sind frisch gewischt. Beim Umbau haben die Bewohner, so gut sie können, mitgeholfen.

20 Männer leben im Haus Schöneweide, viele seit mehreren Jahren, alle sind schwer alkoholkrank. Das Trinken und die Jahre auf der Straße haben ihre Blicke stumpf werden lassen. Sie bewegen sich meist lang­sam über die Flure. Einige riechen nach Bier. Anders als in vielen Sozialeinrichtungen sind hier drei Flaschen am Tag erlaubt, ganz ohne Alkohol geht es nicht. „Austherapiert“ werden die Männer in der Fachsprache der professionellen Helfer genannt. Die Ärzte haben aufgegeben, sie vom Alkohol wegzubekommen.

Recht auf Luxus

Kilali hat Stuckrosetten an die Zimmer­decken geklebt, die alten Lampen gegen Kronleuchter ausgetauscht, ein goldgerahmtes Schildchen mit dem Namen des Bewohners vor jedem Zimmer aufgehängt. „Diese Menschen haben seit vielen Jahren keine Aufmerksamkeit mehr bekommen“, sagt sie. „Es bedeutet ihnen sehr viel, wenn jemand sagt: ‚Ihr habt das gleiche Recht auf Luxus wie alle anderen auch.‘“

Sie läuft die Treppe hinauf, immer an einer Goldbordüre entlang. Das Band an der Wand begrenzt auf Hüfthöhe eine rote Strukturtapete. Die Goldbordüre zieht sich durch das ganze Haus, durch sämtliche Zimmer der Bewohner, nur die Farbe der Strukturtapete wechselt. Jeder Flügel des Hauses, jede Etage hat eine eigene Farbe.

Kilali zitiert einen Satz von Dostojewski: „Schönheit rettet die Welt.“ Es klingt irgendwie zu groß für aufgeklebte Stuckrosetten. Machen Kronleuchter im Zimmer wirklich einen solchen Unterschied?

Wolfgang Binder wohnt im ersten Stock, Zimmer 15. Er ist ein kleiner Mann, 55 Jahre alt, zum Gehen braucht er einen Stock. Er sagt, er zeige gern sein renoviertes Zimmer. Für die Schmutzspuren auf dem Überwurf des weißen Sessels entschuldigt er sich förmlich. Die neuen Möbel hat Ikea gespendet, alles ist weiß – das Bett, der Fernsehtisch, die Kommode.

Der Raum wirkt hell und modern, aber auch unpersönlich, wie ein Hotelzimmer, in dem Wolfgang Binder nur zu Gast ist. Seit acht Jahren lebt er im Haus Schöneweide. Zu seinen wenigen persönlichen Sachen in dem Zimmer gehört ein kleines Aquarium. Das Wasser ist trüb, der Filter müsste mal wieder gewechselt werden. Er will sich darum kümmern, sagt Binder. Er vergisst es nur immer wieder. Auf dem Tisch steht ein halbvolles Glas Schwarzbier.

Obdachlose sollen ein Gesicht bekommen

Manchmal, sagt Binder, wird er traurig, wenn er die Fische anschaut. Sie erinnern ihn an das große Aquarium, das er früher zusammen mit seiner Frau hatte – vor der Trennung, dem Alkohol, dem Absturz.

In den letzten Monaten hat er vielen Menschen sein Zimmer gezeigt. „Reichtum 2“ hat seit seiner Vorstellung im November viel Aufmerksamkeit bekommen. Die Besucher schauten kurz in das Zimmer. Einige Journalisten schrieben, dass Wolfgang Binder jetzt glücklich sei, weil er nun eine hellblaue Tapete an der Wand habe. Das passe so gut zu seinem Aquarium.

Dem Vorwurf, die Bewohner für ihr Projekt zu instrumentalisieren, widerspricht Kilali. „Wir achten darauf, dass es mit den Journalisten nicht überhandnimmt. Aber das Interesse der Medien gehört zum Konzept.“ Ein Kunstwerk brauche Öffentlichkeit, um Wirkung zu entfalten. „Und die Menschen hier erhalten eine Aufmerksamkeit, die sie sonst nie hätten. Obdachlose bekommen in den Medien ein Gesicht.“

In Moskau hat Kilali vor vier Jahren bereits ein Obdachlosenasyl zum Luxus-Kunstobjekt umgestaltet: „Reichtum 1“. Die Idee stammt noch aus der Zeit ihres Kunststudiums, damals arbeitete sie bei einer Obdachlosenhilfe in Berlin-Kreuzberg. Die Hoffnungslosigkeit, die sie dort erlebte, habe sie geprägt, sagt sie.

Kilalis Sätze ecken nirgends an

Knapp 100.000 Euro hat der Umbau im Haus Schöneweide gekostet, finanziert von Spendern – der evangelischen Kirche, einem Krankenhaus, Ikea, Privatpersonen.

Aber ist es nicht zynisch, den Bewohnern zu suggerieren, sie lebten mit Kronleuchtern und Goldbordüre nun im Reichtum? „Diese Kritik geht an der Grundidee vorbei“, sagt Kilali. „Es geht nicht um den materiellen Wert der Dinge, sondern um den symbolischen – die Einrichtung soll den Reichtum des Lebens symbolisieren.“ Durch die veränderte Umgebung will sie den Männern neuen Lebensmut geben, ihnen auch ganz konkret eine neue Perspektive zeigen. Und das Projekt wirke, davon ist Kilali überzeugt. Die Hausleiterin Edeltraud Hörnschemeyer stimmt zu. Die Bewohner seien stolz auf ihr Haus, sie würden sorgsamer mit der Einrichtung umgehen.

„Wir haben hier in die Hände gespuckt und uns ein kleines Palais geschaffen“, sagt Kilali. „Das können alle Menschen.“ Man müsse nur gute Ideen haben. Kilalis Sätze ecken nirgends an, sie stellt keine gesellschaftspolitischen Forderungen, die über ein bisschen Heimwerker-Einsatz hinausgehen.

Seit dem Umbau hat jeder Bewohner ein großes Foto in seinem Zimmer hängen. Es sind Bilder aus Amerika – Züge, Trucks, Wolkenkratzer. Kilali hat sie fotografiert. Es ist ihr Projekt, deswegen soll auch jeder Bewohner ein von ihr gemachtes Bild in seinem Zimmer haben. „Ich habe am Anfang jeden individuell gefragt, welche Möbel er sich für sein Zimmer wünscht.“ Die Gesamtkonzeption des Hauses gestaltete aber sie. Schließlich mache das Zusammenspiel der Einrichtungsgegenstände den Kunstcharakter aus, betont Kilali.

Ein Zimmer ohne Ikea-Möbel

Heinz Brudek wohnt im zweiten Stock, Zimmer 37. Er hat lange, graue Bartstoppel, trägt eine dicke Brille. Sein Kleiderschrank ist nicht von Ikea. Er hat seinen alten behalten, ein breites Monster aus dunklem Holz, an einigen Stellen abgewetzt.

Brudek ist 63 Jahre alt, seit sieben Jahren lebt er im Haus Schöneweide. Die Hänge­regale in seinem Zimmer sind vollgestellt mit Holzbasteleien – Windmühlen, Flugzeuge, Ritter, Fantasie-Gesichter mit grotesk großen Nasen und Ohren. Es sieht aus wie in einem versponnenen Spielzeug­laden. Goldbordüre und Strukturtapete des Reichtum-Projekts sind hinter den vielen Figuren verdeckt, als habe Brudek sich mit den Basteleien die Individualität seines Zimmers zurückerobert.

Bereitwillig erzählt er von den Jahren, in denen er gar nichts hatte, in denen er trank und immer weiter trank, bis er ganz unten angekommen war. „Ich hatte einen richtigen Blackout. Mir war alles egal, auch dass ich aus der Wohnung flog.“ Ein Jahr lebte er auf der Straße, seine Besitztümer passten in ein paar Plastiktüten. Beiläufig lässt er Sätze fallen, die seinen Abstieg drastisch zeigen: „Auf der Straße war es mit der Hygiene nicht so toll, eine Zeitlang hatte ich Maden unter den Füßen.“

Was bedeutet jemandem mit solchen Erfahrungen eine Strukturtapete, was symbolischer Reichtum? „Nicht so viel“, sagt Brudek. „Wenn ich weiß, dass ich nachts mein eigenes Bett habe – das ist für mich Luxus.“

Gesichter der Armut

Zahlreiche Kunst-Projekte beschäftigen sich mit dem Leben obdachloser Menschen. Für viel Aufsehen sorgte 1997 in Hamburg Die Mission, heute ein selbstverwalteter Kulturverein, der nach einer Aktion des Theater- und Filmregisseurs Christoph Schlingensief gegründet wurde. Schlingensief inszenierte im April 1997 am Schauspielhaus Hamburg ein Stück, bei dem er nach kurzer Zeit mit den Schauspielern das Theater verließ, um in einer ehemaligen Polizeiwache sieben Tage lang zusammen mit Obdachlosen und Drogenabhängigen zu leben und Theater zu spielen. Daraus hervor ging der Kulturverein, der seitdem mit künstlerischen Maßnahmen gegen die Kälte kämpft.

In die Unterwelt von Las Vegas führt Journalist und Buchautor Matthew OBrien. Er leitet für professionelle Helfer und Interessierte Touren in die Kanalisation der Spieler-Metropole. Dort leben mehrere Hundert Obdachlose in Tunneln, die bei Regen schnell volllaufen und zur Todesfalle werden können. Seit knapp sechs Jahren erforscht OBrien diese Parallelwelt, einige Tunnelbewohner kennt er mittlerweile ganz gut. Beneath the Neon heißt ein Buch, das er über die Menschen in der Kanalisation geschrieben hat.


Im Internet gibt es verschiedene Versuche, mehr Aufmerksamkeit für die Probleme von Obdachlosen zu schaffen. Umstritten ist die Webseite Pimp this Bum (auf Deutsch etwa: Motz diesen Penner auf). Dort lernt man in You-Tube- Filmchen den 37-jährigen Tim Edwards kennen, der seit mehr als vier Jahren als Obdachloser unter einer Brücke am Highway 6 in Houston, Texas, lebt. Mit trockenem Humor erzählt Edwards vom Leben ganz unten. Man erfährt, dass er manchmal Strafzettel fürs Betteln bekommt, dass die Autofahrer am Wochenende an der Highway-Kreuzung besonders spendierfreudig sind und dass er lieber geheim hält, wo er seinen Schlafsack ausrollt, weil sonst Verrückte vorbeikommen könnten. Auf der Webseite wird auch um Geldspenden für Edwards geworben. Hinter dem Projekt stehen zwei Marketingspezialisten, die ursprünglich eine neue Art von Werbekampagnen testen wollten. Kritiker werfen ihnen vor, dass sie das Schicksal eines Obdachlosen in Unterhaltung verwandelt haben.

In Hamburg gibt es ein ähnliches Projekt: Aktion Uwe. Auf der dazugehörigen Webseite wird der 44-jährige Obdachlose Uwe vorgestellt und es werden Spenden per Online-Bezahlsystem Paypal gesammelt. Der Student Ole Seidenberg, der die Seite eingerichtet hat, möchte mit Aktion Uwe untersuchen, wie sich das Netz für soziales Engagement nutzen lässt. Er schreibt zur Zeit seine Diplomarbeit über Online-Fundraising.