Vom Saal Salieri im 13. Stock des Internationalen Handelszentrum am Berliner Bahnhof Friedrichstraße aus hat man einen prächtigen Blick über die Stadt: in der Ferne der Teufelsberg, im Süden die Hochhäuser vom Potsdamer Platz, im Norden die Charité, vor allem aber vis-a-vis der Reichstag. Der Reichstag reicht selbst mit Kuppel nicht in die Höhen des Saal Salieri, und das lädt, wenn in diesem Saal an einem Freitagmorgen über Glanz und Elend des Lobbyismus geredet werden soll, zu Metaphern ein.
Mit Metaphern aber sollte man vorsichtig sein. Kurz nach 10 Uhr tritt Dr. Daniel Dettling an das Rednerpult, um die von ihm und seiner „unabhängigen und eigenverantwortlichen Denkfabrik“ (Selbstauskunft) Berlinpolis organisierte Podiumsdisku
diumsdiskussion "In der Grauzone. Politik und Kommunikation zwischen Transparenz, Angst und Alarmismus" zu eröffnen. Dr. Dettling meint: „Salieri ist als Metapher interessant“, und begründet das mit dem Hinweis darauf, dass Salieri als Plagiator bei Mozart abgeschrieben habe. Unabhängig davon, ob dies den höchsten Stand musikwissenschaftlicher Forschung abbildet, fragt man sich doch, wo der Zusammenhang ist zwischen einem Plagiator und der verdeckten PR-Arbeit für Unternehmen.Der „Skandallobbyist“Denn Dr. Dettling gehört nicht nur „zu den 100 wichtigsten jungen Deutschen (Neon) und zu den 40 einflussreichsten Männern in Deutschland unter 40 (GQ)“, wie auf der Homepage seines Vaters Warnfried Dettling zu lesen ist, der in Politikberatung macht. Von der Initiative Lobbycontrol wird Dr. Daniel Dettling auch „Skandallobbyist“ genannt, weil er etwa als scheinbar unabhängiger Experte Kommentare für die Privatisierung der Bahn geschrieben hat, obwohl Berlinpolis gleichzeitig von der Bahn Geld erhielt.Dieses Dilemma hat Dr. Dettling mittlerweile erkannt, was ihm beim Reden anzumerken ist. Er dribbelt hinter dem Pult wie ein Fußballspieler vor dem Anstoß unruhig hin und her. Seine Rede eröffnet er mit der Anmerkung, dass er noch nicht erkältet sei, und nicht nur in diesem Moment denkt man an Menschen, die Rhetorik für eine Kunst halten und hofft inständig, dass die anderen 99 wichtigsten jungen Deutschen (Neon) beziehungsweise die restlichen 39 einflussreichsten Männer in Deutschland unter 40 (GQ) etwas mehr Glanz versprühen, weil man sich sonst um den Nachwuchs der so genannten Eliten dieses Landes doch einige Sorgen machen müsste.Nach Dr. Dettlings Rede erheben sich sechs Männer aus dem 40 Menschen, darunter sechs Frauen, zählenden Publikum, und nehmen die Plätze am Podium ein. Unter den Diskussionsteilnehmern befinden sich nicht nur Menschen wie der Rechtsanwalt Dr. Wolfram Hertel von der Kanzlei Hogan Hartson Raue, die damit prahlen können, selbst schon einmal Lobbyarbeit gemacht zu haben.Auf dem Podium sitzt auch Ulrich Müller von Lobbycontrol, ein junger Mann, in dessen Stimme ein Echo jenes immer leicht klagend wirkenden Tonfalls des SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach zu hören ist, der ihn als einen Menschen ausweist, der seine Arbeit mit Ernsthaftigkeit versieht. Müller zögert nicht, Dr. Dettling persönlich anzusprechen und ihm zu sagen, dass er zwar die Einsicht in Fehler, die Dr. Dettling geäußert hat, begrüßt, das Problem von Berlinpolis aber nicht als erledigt betrachtet.Der Spaß hat seine GrenzenDr. Dettling, der sich an den Rand der ersten Reihe gesetzt hat, wirkt in diesem Moment wie ein Grundschüler, der etwas ausgefressen hat, dann hoffte, dass es keiner merkt, und sich nun, da die Sache aufgeflogen ist, tapfer und verzagt der Schulversammlung stellt. Aus dem Publikum melden sich im Laufe der Veranstaltung auch Betroffene, ein Tagesspiegel-Redakteur und ein Abgeordnetenmitarbeiter aus dem Bundestag, die Dr. Dettlings Täuschungen aufgesessen sind.Wozu die Veranstaltung nun da ist, lässt sich nicht so recht sagen.Das liegt vor allem an dem so genannten Moderator, der irritierenderweise auch als Diskussionsteilnehmer seine Meinung zum Besten gibt. Er heißt Hans-Jürgen Arlt und erklärt auf die Frage, wer er sei: „Sagen wir, ich sei Gewerkschaftsfunktionär.“ Arlt wird so zum Sinnbild des Problems, das Dr. Dettling mit dieser Veranstaltung doch lösen wollte: Er gibt den Moderator und redet zugleich in einem Auftrag, den keiner kennt. Arlt hat eine Grafik mitgebracht (Bild unten), die aber in der Diskussion keine Rolle spielt. Wie auch die Argumente: Immer, wenn eine Diskussion in Gang zu kommen droht, würgt Arlt sie ab mit dem Hinweis auf die Tagesordnung („der klassische Dreisprung: Problembeschreibung, Analyse, Lösungsvorschläge“).Die Ernsthaftigkeit von Kritikern wie Müller kontert nicht nur Arlt mit scheinbarem Humor („Die berühmteste Zone nach der DDR ist die Grauzone, gefolgt von der erogenen Zone“). Nachdem Rechtsanwalt Hertel zum dritten Mal mit seiner erfolgreichen Lobbyarbeit angegeben hat, drängt das Publikum auf Namen, und der Anwalt, der sich durch seine Schweigepflicht geschützt sah, muss kleinlaut die rot-grüne Bundesregierung als Auftraggeber nennen. Auch bei Arlt hat der Spaß seine Grenzen: Witze sind nur in Ordnung, solange er sie macht. Als er nach einer Ausführung gefragt wird, ob er das jetzt als „Gewerkschaftssekretär“ gesagt habe, erwidert Arlt beleidigt: „Ich mache seit 20 Jahren Öffentlichkeitsarbeit!“Man fragt sich im Laufe der zähen zwei Stunden, ob Menschen wie Dr. Dettling oder "Gewerkschaftsfunktionär" Arlt nur nicht verstehen wollen oder gar nicht mehr verstehen können, was die Forderung nach Regeln für ihr Geschäft bedeutet. Am Ende kommt von einem Apologeten Dr. Dettlings der Hinweis auf Selbstheilung durch Selbstzweifel („Es kommt alles raus“), Thomas Buddenbrock habe ja nicht schlafen können, wenn er schlechte Geschäfte gemacht hat. Ehe man erfährt, wie es um Dr. Dettlings Nachtruhe bestellt ist, hat Dr. Arlt die Veranstaltung beendet, in dem er vorschlägt, alle weiteren – vulgo: die eigentlichen – Fragen „bilateral“ zu klären. Dann gibt es Brezeln.