Was soll Mehmet Gümüs dem Mann sagen? Dass er bitte draußen vor dem Eingangstor warten soll? Der Fremde spaziert in die Kleingartenanlage, an der Leine einen großen deutschen Jagdhund. Aber Hunde dürfen hier eigentlich nicht rein.
Gümüs drückt ein Auge zu. Er geht mit dem Mann den schmalen Kiesweg entlang, der von in einheitlichem Grün gestrichenen Zäunchen gesäumt ist – so akkurat wie eine Minigolfbahn. Der Besucher will zu einem Bekannten, dessen Garten aber verwaist ist. Nachdem der Mann sich wieder verabschiedet hat, bleibt Gümüs vor einer Vitrine mit Aushängen stehen und zündet sich eine Zigarette an. „Zu folgenden Zeiten können Stromerzeuger und Rasenmäher betrieben werden“, steht hi
, steht hinter Glas. Aber auch: „Einige Gärten sind sehr unsauber.“ Das „sehr unsauber“ ist Rot markiert.Gümüs’ Ausdrucke mahnen die Mitglieder der Kleingartenanlage Blüh auf zur Ordnung: Er ist der erste türkische Vorsitzende des Schrebergartenvereins in Duisburg-Bruckhausen. Er kennt sich aus mit deutschen Vorschriften, er lebt hier seit 33 Jahren. Gümüs trägt ein blau gestreiftes Hemd und Jeans. Seit drei Jahren leitet der Mittvierziger die Gartenkolonie, bisher war sie stets in deutscher Hand.Die Anlage liegt fünf Minuten von seiner Wohnung entfernt. Eigentlich stammt er aus einem Dorf in der Nähe der Stadt Konya, seine Familie hat dort noch immer einen Hof. „Im Juni habe ich die Feldarbeit gemacht, mich um Mais, Zuckerrüben und Weizen gekümmert, weil mein Vater krank war“, erzählt er. Der Vater kam einst wegen der Arbeit nach Deutschland, heute lebt er halb in der Türkei, halb in Deutschland.Wer es anmeldet, darf feiernVor fünf Jahren bat der damalige Blüh-auf-Vorstand Gümüs, in der Kolonie Schriftführer zu werden. „Das kann man machen“, dachte er. Als dann die Frau des Vorsitzenden starb, trat dieser zurück, und Gümüs übernahm den ehrenamtlichen Posten. Nun muss er zusehen, dass jeder in der Anlage rechtzeitig seinen Müll entsorgt. Er beruft Sitzungen ein, auf denen Wasserabrechnungen, Gemeinschaftsstunden, Pächterwechsel oder Ärger mit dem Nachbar besprochen wird. Einmal wöchentlich treffen sich alle, um Unkraut zu jäten oder die Wege zu säubern. Feiern dürfe natürlich auch jeder. „Solange er es rechtzeitig anmeldet“, betont Gümüs.Die türkischen Migranten, die sich mit ihren Kindern auf den Mini-Datschen der Kolonie angesiedelt haben, senken den Altersdurchschnitt. Und sie verändern die Kleingartenkultur: Knoblauch und Peperoni kommen in die Kartoffelecke, die Rolle von Zäunen und Grenzen wird neu definiert. „Die Zäune am Weg höher bauen oder aus Holz statt aus Maschendraht: Das geht nicht“, sagt Gümüs. Schon gar nicht könne man die Gärten einfach untereinander abtrennen. Einige Male seien Kinder über fremden Rasen gelaufen und hätten Blumen zertreten, da wollte er kleine Zäune zwischen die Parzellen ziehen. „Aber es gab Palaver ohne Ende“, sagt er. Er hat dann statt Maschendrahtzäunen nur dünne Drahtschnüre gespannt. „Man kann miteinander sprechen, Sachen erklären und sich einigen“, sagt Gümüs. „Aber natürlich kann man nicht jeden Tag Remmidemmi machen“, schiebt er hinterher. Die Regeln, die er durchsetzen muss, stehen in der Garten- und Bauordnung der Stadt Duisburg.Das Gefühl, dass sich jemand an einem türkischen Vorstand störe, kenne er nicht, sagt er. Dabei gab es in den vergangenen Jahren öfter Fälle – in Hamburg oder Mönchengladbach etwa –, in denen Türken in Kolonien nicht erwünscht waren. Sie würden Dreck machen und laut sein. „Nicht die Herkunft zählt, sondern das gemeinsame Hobby“, hält Theresia Theobald, Geschäftsführerin des Bundesverbandes Deutscher Gartenfreunde, dagegen. Im Verein stehe nicht im Vordergrund, ob man als Lehrer oder bei der Müllabfuhr arbeitet. Der Dachverband wirbt seit Jahren gezielt um Mitglieder mit Migrationshintergrund. Es sind deutschlandweit mittlerweile 7,5 Prozent, in den alten Bundesländern 17 Prozent, vor allem russisch- und türkischstämmige Gartenfreunde.Wie in einem DorfGümüs hockt vor einem Beet in seiner etwa 300 Quadratmeter großen Parzelle und prüft die hellgrüne Peperoni-Sichel. Am Nebenstrauch glänzen Auberginen in reifem Violett. Die kleine Laube ist aus weißem Klinker und ohne Strom, an der Wand hängt ein schmiedeeisernes Thermometer. Als einer der ersten hat Gümüs in der Anlage Knoblauch, Mais, Zwiebeln oder Paprika angelegt. Seine Schwester, auf der Parzelle neben ihm, machte mit. „Daran erkennt man die Gärten meiner Landsleute“, sagt er und korrigiert sich sofort: „Na ja, mittlerweile pflanzen die Deutschen das auch alles.“ Seine deutschen Nachbarn haben ihm vor allem Blumennamen beigebracht: „Stiefmütterchen, Sonnenblumen, Maiglöckchen“, zählt Gümüs auf.Bei Blüh auf gibt es nur vier deutsche und einen portugiesischen Laubenpieper, die restlichen 17 Mitglieder der Kolonie kommen aus der Türkei. Manche verbringen seit mehr als 20 Jahren ihre Freizeit in der Anlage. Sie feiern Gartenfeste und grillen mit ihren deutschen Nachbarn.Man kann Gümüs jetzt kaum noch verstehen, er redet gegen Autolärm an: Die A42 zerteilt die Anlage direkt hinter seiner Laube. Immerhin kann man die Autobahn von hier so wenig sehen wie die Türme von Thyssen Krupp, die sich hinter den Häuserblocks erheben. Von halbneun abends bis halbfünf früh fertigt er dort Blechteile für Autos an, wenn Nachtschicht ist. „Ich arbeite wie ein Roboter“, sagt er. „Wenn ich Geld hätte, würde ich sofort in die Türkei zurückgehen“. Er sagt das etwas leiser.Andererseits flaniere er häufig über den Marktplatz um die Ecke, an den Ständen mit türkischen Stoffen und Gemüse entlang. Die meisten Leute dort kennt er vom Sehen. „Eigentlich erinnert mich Bruckhausen dann an mein Heimatdorf“, sagt er und schließt das Tor hinter sich ab. Gümüs hat es eilig, seine Frau und die beiden Kinder erwarten ihn zum Essen.