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Kultur : Warum sollte man seinen Garten teilen?

Es ist Winter, der Garten liegt unter Schnee begraben, und so erzählt der Gärtner eine Geschichte: jene vom "Selbstsüchtigen Riesen" von Oscar Wilde, erschienen 1888

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Liebe Gartenfreunde, heute erzähle ich vom Selbstsüchtigen Riesen. Es liegt ja Schnee draußen und Weihnachten liegt noch nicht lang zurück. Eine gute Zeit für Geschichten. Diese hier stammt von Oscar Wilde und ist im Jahr 1888 erschienen.

Der Riese ist sieben Jahre lang fort, zu Besuch beim Menschenfresser von Cornwall. In dieser Zeit spielen Kinder in seinem Garten. "Als die sieben Jahre um waren, hatte er alles gesagt, was er zu sagen hatte, denn seine Konversa­tion war begrenzt." Er kehrt zurück, trifft auf die Kinder und ist furchtbar zornig. "Mein Garten ist mein eigener Garten", sagt der Riese. Er baut eine Mauer, und die Kinder bleiben ausgesperrt. Aber nicht nur sie. Von nun an geht der Frühling am Garten des selbstsüchtigen Riesen vorüber, die Blumen und Bäume blühen nicht mehr. Schnee und Frost aber bleiben: "Der Frühling hat diesen Garten vergessen", rufen sie, "also werden wir das ganze Jahr hierbleiben." Die beiden laden auch noch den Nordwind ein, bei ihnen zu wohnen. "Dies ist ein entzückendes Fleckchen", sagt der Nordwind. "Wir müssen den Hagel zu Besuch bitten". Zu viert hausen von nun an der Nordwind und der Hagel, der Schnee und der Frost in diesem Garten.

Als auch der Sommer ausbleibt und der Herbst sowieso, wird es dem Riesen ziemlich mulmig. Irgendwann hört er aber doch wieder Vogelgesang, blickt aus dem Fenster und sieht, dass durch ein Loch in der Mauer die Kinder in den Garten zurückgekommen sind. In jedem Baum sitzt ein Kind, und die Bäume blühen wieder. Bis hierhin ist es eine ganz hübsche Geschichte. Aber jetzt kommt es wirklich dicke.

Die Mauer fällt

Auf einem Baum liegt noch der Schnee. Darunter steht ein kleines Kind. Zu klein, um hinaufzuklettern. Der Baum versucht sich hinabzubeugen, vergeblich. Wilde schreibt: "Und das Herz des Riesen schmolz, als er dies sah. 'Wie selbstsüchtig bin ich gewesen', sagte er, 'jetzt weiß ich, warum der Frühling nicht kommen wollte.'" Er geht also hinunter und hebt den kleinen Jungen behutsam auf den Baum, der sich sogleich mit Blüten bedeckt. "Und der kleine Junge streckte seine beiden Arme aus und schlang sie um den Hals des Riesen und küsste ihn." Das ist – heftig. Aber es kommt noch mehr.

Der Riese reißt die Mauer ein und wird der beste Freund der Kinder. "Ich habe sehr viele schöne Blumen", sagt er. "Aber die Kinder sind die schönsten Blumen von allen." Der Riese ist jetzt alt. Aber der kleine Junge, der ihn geküsst hat, den er liebt, der ist nicht wiedergekommen, solange der Riese auch auf ihn gewartet hat.

Eines Tages im Winter – die Geschichte nähert sich ihrem Ende – als alles unter hohem Schnee lag, sieht der Riese in seinem Garten einen Baum, der voller Blüten ist. Darunter steht der kleine Junge. Der Riese rennt voll Freude hinab – und voll Entsetzen erkennt er, dass Hände und Füße des Kindes die Wundmale von Nägeln tragen. "Wer hat es gewagt, dich zu ver­letzen, auf dass ich mein großes Schwert nehme und ihn erschlage", ruft der Riese. "Nein!", antwortet das Kind, "denn dies sind die Wunden der Liebe". Dann sagt das Kind noch, dass der Riese es einst in dessen Garten spielen ließ und dass es ihn nun in seinen eigenen Garten mitnehmen werde, "der das Paradies ist". Die Kinder finden den Riesen später tot unter dem Baum liegen.

Das war die Geschichte vom selbstsüchtigen Riesen, dem sein kostbarster Besitz genommen wurde, weil er ihn nicht teilen will – sein Garten – und der durch die Liebe von der Sünde des Eigennutzes erlöst wird. Man kann das als halbwegs normaler Mensch ja gar nicht lesen, ohne ganz verwaschene Augen zu bekommen. Sünde und Reue und Liebe und Erlösung, damit hat sich Wilde andauernd beschäftigt. Drei Tage vor seinem elenden Tod in Paris ist er, wie Sie vielleicht wissen, zum katholischen Glauben konvertiert. "Die katholische Kirche ist nur für Sünder und Heilige", hat er gesagt, "für normale Leute genügt die anglikanische". Der Vatikan hat ihm das nicht vergessen. Pater Leonardo Sapienza, Protokollbeamter in der Präfektur des Päpstlichen Hauses, nahm in die von ihm herausge­gebene Anthologie Provokationen: Aphorismen für ein anti-konformistisches Christentum unlängst auch Oscar Wilde auf.

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