Björks "Biophilia" ist jetzt erschienen, ein ambitioniertes Multimedia-Spektakel. Wer sich aber nur auf die Apps stürzt, übersieht das Wichtigste, meint Verena Reygers
Björk hat am Freitag ihr neues Album Biophilia veröffentlicht. Ach was, ein Album, das ist ein abgefahrenes Multimedia-Spektakel: Mit 3-D-Webseite, Filmdokumentation, eigens gebauten Instrumenten und – für die Digital-Abhängigen – mit Apps für jeden einzelnen Song. Mir ist das eigentlich egal: Mein Telefon ist nicht smart – es kann bloß telefonieren, simsen und unscharfe Fotos machen. Das ist auch nicht schlimm, denn es ist weniger Björks Pionier-Bestreben als ihr Selbstverständnis als Künstlerin, das mich fasziniert.
Musikalisch konnte ich immer nur wenig mit ihr anfangen. Bis eine Freundin vor einigen Wochen sagte: "Du kannst Björks Musik nur dann verstehen, wenn du mal in Island warst." Ein Satz, der sich in meinem Kopf
ich in meinem Kopf festsetzte und sich an Songs erinnerte, in denen die isländischen Naturgewalten eine unüberhörbare, und oft auch unübersehbare Rolle spielen.Nichts ohne Zusatz-Content?In zahlreichen ihrer Songs verschmilzt Björk ihre Gefühlswelten mit den Naturgewalten ihrer Heimat. Bloß scheint mir, dass bei allem Digitalisierungs-Fetisch, das Nahbare, das Björk eben auch hat, stark außer Acht gelassen wird. Auf Zeit Online schreibt Rabea Weihser: "Wer aber jetzt lediglich das sogenannte Standard Album erwirbt, sieht sich um den wichtigsten Teil des Biophilia-Projekts betrogen". Und Elise Graton folgert in der taz, Björk liefere mit Biophilia ein Konzept, dass die erschöpfte Musikindustrie beleben könne.Das ist alles schön und gut, lässt aber Björk als unnahbare Künstlerin wirken, deren kreatives Wirken fern jeglicher Publikumsnähe stattfindet. Dabei bedeutet Biophilia: "die Liebe für alles Lebendige". Und Björk ist weit mehr als bloß ein Nerd.Sie selbst bezeichnet ihre Musik gar als Folk, zumindest gegenüber dem Guardian. Und sie nennt es eine Alternative zum Pop. Denn mit Warhol und dem ganzen Pop-Zeug habe sie nie viel am Hut gehabt. Es fühle sich ein bisschen oberflächlich an. Sie bevorzuge Menschen. Der Blog Popkontext berichtete bereits Anfang Juni im Vorfeld der Veröffentlichung, der mit diesem Album geschaffene Kreativ-Kosmos feiere, "wie der Klang der Natur funktioniert". Ob Homo Sapiens, Welt oder All – in allem forscht Björk nach der unerschöpflichen Vielfalt der Geräusche und versucht sie instrumental einzufangen. Wenn es dazu einer meterhohen Harfe mit Pendelschlag bedarf oder digital bedienter Orgelpfeifen, warum nicht. Selbst das 2004 veröffentlichte Medúlla, dessen Instrumentierung einzig von menschlichen Stimmen erzeugt wurde, verkaufte sich mühelos.Natur, Musik und Technologie sind die Bereiche, die Björk miteinander verschmilzt. Auch wenn ein Song wie "Virus" über die Beziehung zwischen Viren und ihrem Wirt zu lesen ist, können Textzeilen wie "the perfect match – you and me / I adapt – contagious / you open up – say welcome" als zwischenmenschliche Verquickung gelesen werden. Björk selber sagt über die Songs: "Mir lag genauso viel daran, […] beide Bereiche, das Wissenschaftliche und das Gefühlte miteinander zu vereinen."Lieber steuerbare TechnikDas hat Björk seit jeher getan. Bloß in einer Zeit, in der Gefühle eher stören, weil sie in ihrer Unberechenbarkeit gefestigte Strukturen gefährden, konzentriert man sich lieber auf die vermeintlich steuerbare Technik.Per Reinholdt Nielsen schreibt in seiner Björk-Biographie über das Tattoo des Runenkompasses, den Björk auf dem linken Oberarm tätowieren ließ: "Das Tattoo war der sichtbare Beweis dafür, dass sie versuchen wollte, ihr eigenes Leben zu leben, offen für eigene Möglichkeiten. Ihre Instinkte sollten die Richtung bestimmen." Auch so ein Satz, der in den aktuellen Björk-Besprechungen fehlt. Die Inspiration, das Fabelhafte, das Wundern ihrer Kunst, so wie es zu Beginn ihrer Karriere nur zu offensichtlich war.Björk -- Moon - MyVideoDer Video-Clip wurde übrigens von Michel Gondry gedreht, genauso wie der zu "Crystalline" und "Jóga". Insgesamt acht Mal haben der Franzose und die Isländerin in den vergangen knapp zwei Jahrzehnten zusammengearbeitet. Das zeigt, das Björk bei allem Drang nach Erneuerung auch an Bewährtem festhält. Gondry hat auch Björks neue Website gestaltet, auf der sie unter anderem kurz die Hintergründen des Biophilia-Projekts Stellung nimmt. Die Spex nahm die wiederholte Zusammenarbeit von Björk und Gondry übrigens zum Anlass für eine kleine Werkschau. Ein ganz großartiges Video ist auch "Hunter", das als zweite Single des 1996 erschienenen Homogenic-Albums veröffentlicht wurde: Faszinierend in seiner Einfachheit und als Symbiose von Natur und Technik umgesetzt. So, wie Björk es bis heute mit ihrer Musik macht. Wenn man sich denn die Mühe macht, hinter die Apps zu blicken.