Blick nach Deutschland (3): Eine gespenstische Debatte

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Gespenster in Europa? Oh ja. Und nein, ich meine damit nicht die von Giordano verächtlich als „Pinguin“ bezeichneten Muslimas. Ich meine die geisterhaften Gesetzesvorschläge zur Abschaffung eines unerwünschten Anblicks.

Noch im ersten Enthusiasmus über das Ergebnis der Anti-Minarett-Initiative regte die SVP an, in der Schweiz als nächste eine Anti-Burka-Initiative zu starten. Diese Idee fand ganz schnell ein unrühmliches Ende, als ruchbar wurde, dass die meisten verschleierten Damen (Burka trägt ohnehin fast keine, der schwarze Gesichtsschleier ist ein Niqab) arabische Touristinnen sind und gut zum Bruttosozialprodukt beitragen.

Was ich, auch in Anbetracht der Tatsache, dass diese Idee von der nicht wirklich angesehenen SVP stammte, nicht in diesem Umfang befürchtet hatte, war die dadurch angestoßene Welle von Trittbrettfahrern, die die Zeit gekommen sahen, das so hässliche, störende Bild verschleierter Frauen aus den Städten Europas zu entfernen.

Der Spiegel zeigte vorhin als ersten Artikel seiner online-Ausgabe einen diesbezüglichen Artikel, in dem er den derzeitigen Stand in 7 Ländern erläutert. In vollem Ernst.

Zumindest in Großbritannien ist noch die Stimme der Vernunft zu hören:

"Bildungsminister Ed Balls sagte, er wolle nicht in einer Gesellschaft leben, in der den Leuten vorgeschrieben wird, was sie auf der Straße tragen dürften. Das sei "nicht britisch", sagte der Labour-Politiker.

Ein Burka-Verbot gilt vielen Briten als ungehörige Einmischung des Staates in die Privatsphäre. Man solle sich nur mal vorstellen, wie Polizisten einer Frau auf dem Bürgersteig den Schleier runterreißen, schrieb der "Daily Telegraph". Und die "Times" kommentierte, dass eine Politik, die nur auf eine bestimmte Bevölkerungsgruppe ziele, einen "faden Nachgeschmack" hinterlasse. "


Das wars aber auch schon fast.

Warum ich hier NOCH EINEN Artikel zu diesem ausgelutschten Thema schreibe? Weil es mir hier nicht um religiöse Gründe oder nicht gehen soll, auch nicht um die feministische Komponente. Die werden anderweitig ausreichend abgedeckt.

Was mich umtreibt, sind zwei Punkte, die ich zu bedenken geben und gerne zur Diskussion stellen würde:

Es erschreckt mich, dass wirklich ernsthaft darüber nachgedacht werden kann, Gesetze zu erlassen, die einer eigentlich verschwindend geringen Minderheit von Frauen vorschreiben sollen, was sie in der Öffentlichkeit zu tragen haben. Es würde zwar nicht ganz unter das Verbot von Einzelfallgesetzen (in D ) fallen, aber weit davon entfernt sehe ich das nicht. Wo bleibt da die Überlegung, dass man per Gesetz aus Verhältnismäßigkeitsgründen nur Sachverhalte von Allgemeingültigkeit regelt?

Es fehlt völlig an der Reflektion darüber, dass hier die bloße Abneigung gegen einen Anblick in Gesetzesform gegossen werden soll. Dabei verrennen sich sonst völlig normale Leute in Diktionen, die man in anderen Zusammenhängen allenfalls am äußersten rechten Rand hört.

Hinzu kam dann, dass ich mir heute in einem Forum, in dem ich seit vielen Jahren diskutiere, sagen lassen musste, dass ich mich – als Ausgewanderte, als Kopftuchträgerin – aus der Diskussion rauszuhalten hätte und mich gefälligst nicht mit dem Grundgesetz zu argumentieren hätte. Ich hatte auch dort versucht, die Diskussion auf der Ebene deutschen Rechts zu führen, ohne religiöse Bezüge, weil es darum erst mal nicht geht. Dieser Vorfall machte mir aber deutlich, wie weit der öffentliche Diskurs bereits abgeglitten ist.

Daher verstoße ich wieder gegen meinen eigentlichen Vorsatz, hier nur hübsches zu schreiben. Die Titelseite des SPON zeigte mir, wie wichtig diese eigentlich marginale Thema nun doch gemacht wird. Und sollte es diese Gesetze geben, befürchte ich, dass es damit nicht getan sein wird. Es wird die nächste Stufe eingeläutet werden. Das ist für mich Grund genug, mich hier in die Nesseln zu setzen.

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Geschrieben von

Alien59

Nächster Versuch. Statt PN: alien59(at)live.at

Alien59

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