Ökologisch-philosophische Dämmerungen

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Mensch-Hubschrauber-Eulenflug in der Morgendämmerung 2009

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„Hell weckt Dunkel/ Dunkel wehrt Schein/ Der Raum zersprengt die Räume/ Fetzen ertrinken in Einsamkeit!/ Die Seele tanzt/ Und/ Schwingt und schwingt/ Und/ Bebt im Raum/ Du!“ ... (August Stramm). Mensch, DU, (auch du FreitagleserIn) kehr doch vor deiner eigenen Tür, kein Gott wird dich retten, Intellektuelle schon gar nicht, mach’ die Augen auf oder schlaf weiter, schieb deine geistig-seelischen Verstimmungen auf die Wetterkarte. Kauf und kau Bio, fahr Fahrrad, trenn deinen Müll, streichle dein geschunden-konkurrentes Selbst, verweile in deinem komfortablen Existenz-Kokon.

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„Das ewige Schweigen dieser unendlichen Räume, macht mich schaudern", philosophierte Pascal und glaubte noch an den Menschen als „denkendes Schilfrohr“. „Doch selbst, wenn das Weltall ihn vernichten würde, so würde dieser zerbrechliche Mensch edler als das sein, was ihn tötet, „denn er weiß, dass er stirbt, und er kennt die Übermacht des Weltalls über ihn; das Weltall aber weiß nichts davon."
Das waren noch goldene Zeiten, Mythen, Märchen eines halb erwachten Geistspringers, mit dem unbewegten Beweger im Rücken. „Denn er weiß, dass er stirbt“ – NEIN, er weiß es nicht! Von Todesbewusstsein nur Spuren im Sand. Sieben Milliarden Exemplare der Spezie 'Mensch' irren sich nicht, es geht einfach weiter und weiter, von der Übermacht des Weltalls nichts zu spüren. Sicher, ungleich verteilt die Lebenschancen, durch staatlich-administrative Ordnungen festgezurrt, dazu im rational verklärten ökonomischen Blindflug. Unüberschaubare Warenschätze, Müllgebirge, Neutronenkredite und Blendwerk-Galaxien scheinen zum soziokulturellen Amalgam geronnen. Darin wird gezappelt: Das nennt man Risiko des Einzelnen in der „Weltrisikogesellschaft“, im gier-dynamischen System. Dagegen scheint kein Weltkraut gewachsen.
Wissenschaftler warnen vor einem „dramatischen Klimawandel“ und meinen tatsächlich die bevorstehenden Klimakriege unseres Jahrhunderts, der Kampf ums Wasser, um Nahrungsmittel, um Rohstoffe und Energie. Es geht um Mord und Totschlag, millionenfach, täglich, ein Aufschrei der geplagten Kreatur, und wir sind live dabei, im Fernsehen, im Internet – life is live und doch alles irgendwie ermüdend, Apokalypse-Szenarien, Horrorgemälde der Superlative, alles schon im Kino gesehen. Steigender Meeresspiegel, 500 Millionen Abgesoffene, warum hausten die auch da, Hauptsache unser Damm in Hamburg hält. Alles Kollateralschäden des vorwärtspulsierenden Zivilisationsprozesses, warum leben die Menschen auch am falschen Ort? Sie wissen es nicht, werden geworfen, erdulden, erleiden, kämpfen ums Überleben in Afrika, Südostasien, Ozeanien. 3 Milliarden kämpfen täglich gegen ihren persönlichen Weltuntergang – ein Schauern in bekannten Räumen – via Satellit hautnah einsehbar.

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Die Eule der Minerva ist Weisheits- und Todesvogel, sagt die Tradition. "Wenn die Philosophie ihr Grau in Grau malt, dann ist eine Gestalt des Lebens alt geworden, und mit Grau in Grau lässt sie sich nicht verjüngen, sondern nur erkennen; die Eule der Minerva beginnt erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug." (Hegel) Es ist die rücklaufende Erkenntnis, Erinnerung, oft schon zu spät für den nächsten Morgen, dazu Jahrtausend alte „Begriffs-Mumien“, Geschichtsmüll. Diese Dämmerung ist Friedhofsruhe, weitgehend Blindheit; sie wäre zu scheiden von einer ökologisch-philosophischen Morgendämmerung, dem „Hell weckt Dunkel“, dem Aufscheinen des Noch-Nicht, des antizipierenden Bewusstseins einer verantwortbaren Weltkultur. Nur, wen interessiert das überhaupt? Wo sind die Empfangsantennen? Wo ist hier ein Gestaltungswille? Von wem soll das verantwortet werden? Von den freischwebenden Intellektuellen als „Propheten des Universellen“? Von den bezahlten TUIs? Von politikberatenden PR-Managers? Von den Bänkers dieser Welt?
Vom Vater der Minerva heißt es bei Hegel: "Er ist der politische Gott, der ein sittliches Werk, den Staat, hervorgebracht hat." Da könnte er wohl etwas verwechselt haben? In den Vätern kann man sich leicht irren, und wie steht’s mit den Müttern, den Gebärenden, den Sorgenden?

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Der Kapitalismus schaukelt einfach weiter, in Metamorphosen begriffen. Loopings erhöhen das angestrebte Schwindelgefühl, dann ist alles Jacke wie Hose, „Schwingen sinken sinken ertrinken/ In/ Unermesslichkeit/ Du!.“(August Stramm) Und im Schlussakkord, wie in einem schweren Traum versinkend, weinst du, ohne es zu wissen. Emotion wahrhaftig vorauseilend, doch keine Morgendämmerung. Und doch erträumst du dir die kaiserliche Botschaft, die nie an dein Ohr dringen wird: kein Gott wird dich retten, kein Bänker, kein Bänkelsänger. Alle zappeln in den Netzen ihrer Lebenswelten, spielen ihr Spiel, leben ihre Mythen des Alltags, aber nicht nur Nebeneinander, sondern im Widerstreit. Kraftfelder wirken im Raum, zersprengen Räume. Die universalen Kommunikationsmedien Geld, Macht, Sex sind globalisiert, wirbeln durcheinander wie Schneegestöber. Berlin, Bombay, Buenos Aires – ist das nicht auch Paris, Peking, Paderborn? International vorübergehende Finanz- und Wirtschaftskrisen sind eine Ausdrucksform, Sein als Dasein im Design eine andere.
Zornkapital-Manager wollen nun den eruptiven Kapitalismus domestizieren, wenn nicht gar abschaffen. Der moderne Staat, gemeint auch die an Einfluss gewinnenden Zornkapital-Manager, soll’s richten, die „globale Verantwortung“ übernehmen, stellvertretend fürsorgend handeln, im Interesse der Beleidigten, Erniedrigten, Ausgestoßenen. Mannigfaltige Illusionsgeschäfte, blutiger Ausgang nicht ausgeschlossen. Nur wer sind die zukünftigen Subjekte? Welche Arten, gar die Dollys, Cyborgs, Ozeane, Regenwälder? Brauchen wir ein „Parlament der Dinge“? Gibt es ein anerkanntes Recht der außermenschlichen Natur, eine geerdete Vernunft?

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Der frei entwickelte Kapitalismus schließt systemlogisch Stillstand und Stabilität aus, braucht Bewegung in instabilen Gleichgewichten, initiiert neue Ideen, erfindet neue Produkte, fördert technologische und kommunikative Meisterleistungen. Die Spielertypen und Kreativen sind die immanenten Funktionsträger jeder „schöpferischen Zerstörung“. Es geht nicht mehr um die klassische Zweiteilung „Lohnarbeit und Kapital“, um die Kategorien von vorgestern. Selbst die glücklichen Arbeitslosen tragen auf Dauer mehr Innovationspotenzial in sich als die in Lohnarbeit gepressten Mindestlöhner mit dem hohlen Versprechen, ein „würdiges Leben“ führen zu können. „Der Müßiggangster genießt und schweigt“.
Ob ökologisch komplexe Zusammenhänge des blauen Planeten begriffen werden, neu entdeckt, gefördert, gehemmt, stranguliert werden –all das bleibt offen. Das Leitbild eines Homo symbolicus-ökologicus im 21. Jahrhundert - ohne in ökodiktatorische Allmachtsphantasien abzugleiten - ist weder über ein zorngerötetes noch über ein weichgespültes WUMS zu bekommen. Ob die Eule doch schon in der Morgendämmerung fliegt?

(Der Beitrag könnte ebenso unter Außenpolitik oder Haben & Sein oder Wirtschaft & Soziales stehen)

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Geschrieben von

Bildungswirt

Bildungsexperte, Wissenschaftscoach, Publizist, Müßiggänger, Musiker

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