Die Rettungsfolter und der Freitag Salon

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Kann Lachen uns das Leben retten? Die Teilnehmer auf dem Podium des Gorki Theaters beim gestrigen Freitag Salon schienen das zu glauben und forderten: Her mit den Tabus – wir brechen sie.

Ein Katholik (Matthias Mattussek), ein Jude (Henrik M. Broder) und ein Baptist (Jakob Augstein – dessen Taufe allerdings noch bevorsteht) versuchten einen Abend lang, den Berliner Bären mit den Methoden religiöser Rettungsfolger zum Lachen zu bekehren: Der Baptist tauchte ihn unter Wasser, der Jude versuchte ihn zu beschneiden und der der Katholik haute ihm auf den Kopf und ohrfeigte ihn von links nach rechts. Letzteres, das „Kreuz schlagen“, ist eine Überzeugungsmethode, die bei älteren Katholiken schon in der Andeutung wirkt - auch an sich selbst.

Leider hatte Matthias Mattussek – im außerreligiösen Leben Kulturredakteur beim Spiegel – damit so seine Schwierigkeiten. Das Kreuz, das er dem Bären hätte schlagen sollen, ist für ihn ein letztes Tabu, bei dem der Spaß aufhört, wie bei den Moslems der Mohammed - was er in seinem nächsten Buch schreibt, das in vier Wochen erscheint. Auch seine Frau, die – wie man erfuhr - sonst über alle seine Witze lachen muss, soll damit an dieser Stelle aufhören. Der Bär fing damit erst gar nicht an. Bissiger Humor mit Beißhemmung, das kann nicht funktionieren, da sitzt keine Pointe, und selbst Mattussek stellte reuevoll selbstanklagend fest, dass er den Bären-Witz wohl schlecht erzählt hat, was ihm aber auch nichts half. Über unfähige Clowns können Berliner nicht lachen, nicht mal aus Mitleid.

Der Baptist (in spe) tauchte die Anwesenden wenigstens ein in ein Meer gesammelter Pointen. Die besten stammten aus einer Zeit, als es Berlin nicht viel zu lachen gab, die Brüller aber wenn, dann umso heftiger kamen. Bei Werner Finck zum Beispiel, der das 3. Reich als Humorist mit Hilfe wortspielgewandter Doppeldeutigen überlebte. Wenn er zum Beispiel sah, wie ein unauffälliger Herr in der ersten Reihe seine Pointen fleißig mitschreibt, unterbrach er seinen Vortrag und fragte: „Sind Sie jetzt mitgekommen? Oder soll ich jetzt mitkommen?“

Obwohl JA damit selbst ein exzellentes Beispiel gab, wie Humor in repressiven Systemen kurzzeitig unwillkürlich, aber deshalb kollektiv von einem allseits spürbaren Tabu-Druck befreien kann und die Lach-Eruption, die das zu Tage fördert, um so heftiger sein muss, je stärker Gedanken und Äußerungen in solchen Diktaturen sonst unterdrückt werden müssen, konnte Pointensammler Augstein die Auswertung dieses Zusammenhangs bei Sigmund Freud zwar wortgetreu wiedergeben, ihr aber kein Verständnis abgewinnen. „Tabu oder Verdrängung? Wat isn det? Det jibtet doch jarnich mehr, is doch allet erlaubt heutzutaje“, scheint der Grundgedanke eines postmodernen Anti-Freudianismus zu sein. Tatsächlich können Witze von früher nicht mehr funktionieren, wenn ihre Tabus heute keiner mehr kennt.

Doch es gibt einen, der sie noch findet und bricht: Den Broder von der „Achse des Guten“. Der frühere Spiegel-Autor wagt sich an die Beschneidung der aufgeklärten Postmoderne, allerdings nur unter Lachgas-Narkose. Mit seinem tabulosen Humor paralysiert er jeden Gutmenschen und lässt ihm die Moralkeule aus der Hand gleiten, mit der jedem anderen Spaßvogel solche Lästerungen in den Hals zurückgerammt worden wären.

Es kommt eben auf das Wie an – und auf das Wer. Zwei Juden treffen sich vor dem Badehaus. „Hast Du genommen ein Bad?“ fragt der eine. „Wieso, fehlt eins?“. Als JA diesen Witz etwas verschämt erzählte, um mit ihm zu belegen, dass Sigmund Freud in „Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten“ größtenteils „antisemitische“ Witze erzählt, fielen die Lachsalven ein wenig dürftiger aus als bei den Judenwitzen, die von Henrik M. Broder kamen. Überhaupt kein Lachen, sondern blankes Entsetzen erntete dagegen der Adoptivvater eines Diskussionsteilnehmers aus dem Publikum, wenn der ihm die gleichen Witze erzählte; was daran lag, dass der Sohn wusste, aus welchem Kontext sein Vater diese Witze kannte (Kameradschaftsabende der SA).

Broder selbst ist überzeugt, dass seine spaßigen Tabubrüche nicht nur Menschenleben retten, sondern sogar den gesamten Planeten. Denn würden alle Juden alle Gebote einhalten, und sei es nur einen Sabbat lang, käme nach jüdischer Überzeugung sofort der Messias und alles Leben hier wäre zu Ende, es gäbe keinen Planeten mehr und auch kein Judentum. Also ist man moralisch, wenn man unmoralisch ist, zumindest Schweinebraten sollte ein Jude deshalb ab und zu essen, wozu ihn der Katholiken dann auch gerne einlud (Mattusseks Frau steht dazu angeblich schon bereit).

Für Broder gibt es keine Grenze des Humors, weder die der Scham, noch die des Schmerzes. Nicht einmal der Holocaust, auch nicht der atomare, ist für ihn tabu. Seine Glosse über „Käpt’n Iglo und die Japaner“, mochte Längen haben, machte aber klar, dass selbst bequerellhaltiger Fisch immer noch qoscher sein kann. Broders Welt-Glosse überträgt den Galgenhumor von Radu Mihaileanus Tragikkomödie „train de vie“ , wo Juden selbst einen Deportationszug zusammenstellen, um der Deportation zu entgehen, auf politische und kulinarische Rezepte für eine strahlende Zukunft.

Ärgerlich war nur, dass Broder glaubte, aus seinem grenzenlosen Humor ein Bewusstsein kultureller Überlegenheit gegenüber Muslimen ableiten können. Diesen Zahn hätte ihm JA von vornherein ziehen können, indem er das Podium einfach um einen solchen erweitert hätte. Irgendeinen Türken gab’s da mal, daran erinnerten sich alle drei, aber schon der Name von Kaya Yanar fiel niemandem im Podium mehr ein. Aus dem Sendeplan, aus dem Sinn.

Schließlich erwischte eine ehemals katholische Atheistin aus dem Publikum den Broder sogar noch bei einer Humorlosigkeit. Niemand geringeres als FreitagsBloggerin Magda äußerte sich missbilligend darüber, dass nach Broders Meinung der Rechtsstaat für einen Kindermörder geopfert werden soll, der ohne Folterandrohung nicht so schnell hätte überführt werden können. Was Henrik M. ohne jedes Lachen mit der Gegenfrage konterte: „Haben Sie Kinder?“ – eine Boulevard-Logik, mit der alles gerechtfertigt werden kann und soll, von Guantanamo bis sonstwo.

Am Ende stand es 3:3. Magda, der Archinaut und ich waren diesmal die einzigen FreitagsBlogger, die in der Gorki-Kantine hinterher am Community-Stammtisch noch zusammensaßen. Gelegentlich blickten wir neidvoll an den Redaktionstisch hinüber, wo JA, sein Chefredakteur und Nina Heinlein mit dem Broder und so vielen Gästen noch weiterplauderten, dass dort nicht mal mehr Platz für uns drei gewesen wäre. Die immer noch vom Broder enttäuschte Magda stellte aber jetzt erheitert fest, dass Broder durch seine Legitimation des polizeilichen Vorgehens gerade einen neues Berufsbild kreiiert hat: Den Rettungsfolterer - im wortwörtlichen, nichtreligiösen Sinn. Auch das Lachen eines Folterknechts bei seiner Arbeit kann Leben retten, wenn er einen Kindermörder damit zum Reden bringt, bevor der seine nächste Tat begeht. Der Kettensägenmann des Deutschen Journalismus sollte schon mal die Ausbildungspläne für diesen Beruf zusammenstellen. Zumindest verbal kann das kaum jemand besser als er. Da kapituliert selbst der Bär.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

ChristianBerlin

Theologe (Pastor) und Journalist, Berlin. Mitglied im Journalistenverband Berlin-Brandenburg (JVBB) und im Pfarrverein-EKBO. Singt im Straßenchor.

ChristianBerlin

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