Ein wunderbarer Quatschsalon

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Stellt euch vor, es ist Freitag-Salon – und keiner geht hin. Am liebsten hätte ich auf dem Absatz Kehrt gemacht. Doch zwischen den leeren Stühlen begrüßt mich davon unbeeindruckt ein so freundlicher JA, dass es kein Entrinnen mehr gibt.

Totgesagte leben länger, hatte ich mal gedacht. Was von Anfang an keine Chance hat, muss einfach gut werden. In den Köpfen der Redakteure anderer Zeitungen ist der Nachruf auf den Freitag seit Februar schon fertig. Wer im persönlichen Gespräch offenbart, dass er hier mitbloggt, kennt diesen Text inzwischen auswendig.

Doch diese Skeptiker unterliegen einem Trugschluss. In deren Redaktionen ticken die Uhren anders. Klare Hierarchien, straffe Vorgaben, die Ressortchefs lehren die Redakteure das Fürchten und die wiederum die Autoren, Peitsche und Zuckerbrot, Abschottung bei Versagen und gutes Geld bei Erfolg. Heraus kommt eine hohe Qualität und ein breites Leserinteresse, wodurch gutes Geld zurückfließt und im Gemeinwesen eine hohe gesellschaftliche Relevanz entsteht, weshalb die wiederum vieles zuerst und exklusiv erfahren.

Das alles hat der Freitag so nicht. Dafür aber eine Redaktion mit einem offenen Haus, wo jeder jederzeit willkommen ist, mit einem Verleger zum Anfassen, mit dem man öffentlich im Internet diskutieren kann, eine Community, in der man sich gegenseitig kennt und in der alle ein gemeinsamer Glaube an die gute Sache verbindet, die man in dieser oder jener Form voranbringen will, und das nicht um des schnöden Ruhmes oder Mammons willen, sondern für die Sache selbst. Dachte ich jedenfalls. Bis ich gestern die leeren Stühle sah.

Immerhin ist MH extra aus Oldenburg in Oldenburg angereist. Und Martina Kausch aus Neuenkirchen-Seelscheid. Dass GerhardHM da war, sollte ich erst am nächsten Tag erfahren. Sonst sind keine Blogger zu erkennen. Auch niemand von der Redaktion. Dass von denen jemand kommt, ist bei Talkrunden von Zeitungen sowieso unüblich, aber hier hätten wir es doch erwartet, eben wegen der Gemeinschaft, die das Besondere am Freitag ausmacht. Vor allem aber, dass die vielen Berliner Bloggerinnen und Blogger nicht da sind, ist ein schlechtes Zeichen. Allerdings war für Community- und Redaktionsmitglieder im offiziellen Teil gar keine aktive Rolle vorgesehen. Sie sollten bei der „kleinen Zukunftswerkstatt“ genauso stumm wie anonym bleiben.

Dafür diskutierte JA auf den Sesseln im Podium mit vier sichtlich vergnügten Gästen einen detailliert vorbereiteten Fragen-Plan ab. Vor allem Daniela Dahn stellte dabei gehaltvolle, durchdachte Statements in den Raum, in denen sie bezeichnende Konstruktionsfehlern von DDR und BRD und Webfehler der Deutschen Einheit enthüllte. Nur leider griff diese Impulse niemand auf, um sie in perfekte Treffer zum Thema ‚Quo vadis’ zu verwandeln. Das gelang weder JA, noch dem charmanten neokonservativne Professor Nolte (FU), nicht JA’s frühererem Kollegen bei der Süddeutschen, Christoph Schwennicke (jetzt Reporter beim Spiegel), und auch nicht der zweiten Frau auf dem Podium, wegen der ich beinah zum Feministen geworden wäre. Zunächst dachte ich nämlich, JA habe sie nur als ergänzende Quotenfrau eingeladen. Ihr Name stand nicht in der Ankündigung, und eine Stunde lang nahm er sie nie dran, außer am Anfang, obwohl sie vielleicht so interessante Dinge zu sagen hatte, wie Daniela Dahn. Bis sie dann um 21 Uhr wirklich etwas sagte.

Bei einem so unorganischen Diskussionsverlauf mit vielen Themensprüngen wird zum Glück niemand eine Kritik schreiben können, dachte ich außerdem – wenn überhaupt ein Medienvertreter da ist. Bis ich mitbekam, dass MH, der neben mir saß, das ganze live auf twitter stellt.

Nach insgesamt anderthalb Stunden wird es im Publikum unruhig. Ein älterer Herr, der sich schon durch Zwischenrufe bemerkbar gemacht hat, fällt Prof. Nolte ins Wort. Der sprach gerade von einem neuen Trend zur Religion unter den Gebildeten. Jetzt will der Zwischenrufer sein Geld zurück. Denn laut Ankündigung sollte es um die Zukunft Deutschlands gehen und nicht um die der Religion, das sei ein anderes Thema und außerdem falsch. Die Kirchen würden unser aller Geld nur verschwenden.

Für JA wird es höchste Zeit, die Diskussion für das Plenum öffnen. Die besteht dann aber nur aus drei Beiträgen und ist nach 5 Minuten wieder zu Ende.

Nachdem derselbe Redner das Podium über die finanziellen Konsequenzen aus demReichsdeputationshauptschluss aufgeklärt hat (das Wort fiel nicht, aber die Jahreszahl 1803 wusste er), ruhen JA’s Augen unweigerlich auf mir. Dass ich mit einem Gegenstatement nichts erreicht würde, war absehbar. Dennoch gibt MH, wie ich bei dieser Gelegenheit richtig stellen möchte, die Fakten auf twitter einseitig und verkürzt wieder. Auf dem Podium nickt man(n) während meiner Worte immerhin fleißig, die beiden Frauen allerdings weniger und das Publikum sitzt weiterhin wie gebannt da, nur mein Meinungsgegner bekommt einen Lachanfall. Nach seiner Replik, die noch mal mit den Themen „Tarifunterschreitung“ und „Schläge in Kinderheimen“ nachlegt – was nicht als Kritik am Lohnniveau oder den Erziehungsmethoden in der DDR, sondern an den Kirchen von heute bzw. in den 50er/60er Jahren gemeint war – verzichte ich beim nächsten Blick vernünftigerweise auf eine Erwiderung (obwohl sie mir auf der Zunge lag), woraufhin JA schnell das Thema und die Diskussion für beendet erklärt und zum nächsten Freitag-Salon einlädt.

Am 4. Dezember (2 Tage vor Nikolaus), selber Ort (Ballhaus Ost), selbe Zeit (20 Uhr).

[*Datum nachträglich verbessert auf Hinweis von Nina]

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

ChristianBerlin

Theologe (Pastor) und Journalist, Berlin. Mitglied im Journalistenverband Berlin-Brandenburg (JVBB) und im Pfarrverein-EKBO. Singt im Straßenchor.

ChristianBerlin

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