Ich habe Feuer gemacht!

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Das Rad ist erfunden. Die Menschheit bewegt sich schon lange in Blechdosen zwischen Punkt A und Punkt B, wahlweise zu Land oder zu Luft. Sie ist kabellos, ist fast an jedem Punkt unseres Erdballes zu orten. Sie bezahlt mit virtuellem Geld und baut sich multible Cyber-Identitäten auf, kocht auf Ceran-Kochfeldern, wärmt Chicken-Nuggets ohne Huhn in Mikrowellen auf. Sie hat sich forsch entwickelt seit der Urzeit, die Menschheit.

Seit einigen Dekaden scheint sich die Menschheit wieder auf das ursprünglichste Garen von Fleisch besonnen zu haben. Steigt man im Sommer auf das Planetarium im Hamburger Stadtpark, so erschließt sich eine Smog-Wolke, die Sao Paulo vor Neid erblassen ließe. Zu Tausenden pilgern sie in den Park, da das offene Feuer vor der eigenen Höhle oftmals nicht gestattet ist. Was bewegt die Besitzer von Jura-Vollautomaten, Ceran-Kochfeldern und Großraum-Mikrowellen mit LCD-Anzeigen dazu, Legebatterien-like auf einer Grünfläche abgepackte Presswurst zu garen?

Einweggrill, Dreibein oder professionellem Kugelgrillin der einen und Kühltasche, Grillkohle, Plastik-Salatschüssel in der anderen Hand schleppt sich der Grillfreund vom Parkplatz zum preferierten Grill-Spot, um dann in einer Mega-Community die mitgebrachten Fleischvorräte abzufackeln. Man philosophiert über Grillanzünder, Fleischtemperatur-Messer und Dutch Ovens. Man philosophiert darüber, warum der Anfänger drei Grills weiter Feuer gefangen hat. Der Ausruf „Ich habe Feuer gemacht“ aus dem Film Cast away würde dem Geräuschpegel der heutigen Grill-Expertise akustisch nicht gewachsen sein.

War das Grillen in den 1970ern noch ein besonderes Ereignis, so ist der Grill heute bei Temperaturen über 20 Grad ein notwendiges Grünflächen-Accessoire. Das Grillen ist zur Pflicht geworden, wie das Eincremen mit Lichtschutzfaktor 50. Auf öffentlichen Grünflächen ist man ohne Grill nackter als ohne Kleider. Davon ganz zu schweigen, dass man ohne Grill keine Funktion in einem Großstadt-Park hat. Das Hirn vernebelt, der Körper zusammen gekauert zwischen zwei Alu-Pfannen. Grillen ein fester Bestandteil in unserem Leben: Grill-Shops, Grill-Sport-Vereine und daraus resultierende Weltmeisterschaften, Grill-Magazine und Grill-Rechtsstreits.

Möchte der Mensch seiner Vorfahren gedenken oder schmeckt eine Mutter-Natur-Open-Air-Wurst einfach besser als die Wurst auf dem heimischen Elektro-Grill? Ein Phänomen. Wenndie Nacht hereinbricht, klaubt der Griller seine Utensilien zusammen. Dreibein oder professioneller Kugelgrillin der einen und leere Kühltasche, noch glühende Grillkohle, leere Plastik-Salatschüssel in der anderen Hand schleppt er sein Hab und Gut wieder zurück zum Parkplatz und fährt mit der Blechbüchse nach Hause. Das Rad ist ja schon erfunden.

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Foto auf der Startseite: Flickr/emilydickinsonridesabmx

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