Angst um Syrien

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Fast alle Beobachter sind sich darin einig: Es wird Krieg geben in Syrien. Aber nicht, weil Bürgerkrieg herrscht in diesem Land, und auch nicht, weil Assad brutal gegen Demonstranten vorgeht, sondern weil die Destabilisierung Syriens Teil der amerikanischen Strategie eine politische Neuordnung des Nahen Ostens ist.

Dieser Plan, von Bush junior mit dem Irakkrieg begonnen, wird nun von einem schwachen Obama weitergeführt, der weder über die Kraft noch die Autorität verfügt, sich gegen die Falken und Militärstrategen seines Landes durchzusetzen – falls er dies überhaupt wollte. Es geht in diesem Krieg um die Vormachtstellung am Golf, um eine Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens, um die Herrschaft über Bodenschätze und Transportwege. Dazu müssen diejenigen, die dabei im Wege stehen, beseitigt werden, mögen sie Saddam Hussein, Muammar Gaddafi oder Baschar al-Assad heißen, noch dazu wenn sie sich, wie diese drei, einst einem sozialistischen System verschrieben hatten. Billigend in Kauf genommen werden Zehntausende von Todesopfern, die Zerstörung der Infrastruktur ganzer Länder, Tausende von politisch oder religiös Verfolgter, der Zusammenbruch sozialer Systeme und ein Zurückdrehen von Frauenrechten. Denn das Ziel kann nur im Pakt mit Islamisten erreicht werden. Die Tarnung: der „arabische Frühling“ von Ägypten und Tunesien. Der Zweck: den Krieg gegen den schiitischen Iran zu ermöglichen.

Zu diesem Vorhaben haben sich die sunnitisch regierten Staaten wie Saudi Arabien und Katar zu einer unheiligen Allianz mit den USA und den Westmächten zusammengeschlossen. Dem Iran und seinen Verbündeten – diesen zuerst, um das Risiko zu begrenzen – soll der Garaus gemacht werden. Ein weiteres Ergebnis dieser kriegerischen Politik sollen ein gestärktes Israel und ein schwaches Palästina sein.

Es wird versucht, den Iran zugleich von innen wie von außen aufzurollen. Im Innern wird der Iran mittels verdeckten Aktionen angegriffen wie zum Beispiel Anschläge auf Raketenbasen oder Attentate auf Mitarbeiter des Atomprogramms, mit Computerviren und geheimen Drohneneinsätzen. Daneben sollen Wirtschaftssanktionen und Einfuhrverbote für iranisches Öl das Land schwächen. Nach außen werden all diese Aktionen mit den Behauptungen legitimiert, der Iran baue an einer Atombombe und seine Regierung sei durch Wahlfälschung an die Macht gekommen. Für beides können aber keine wirklichen Beweise ergebracht werden, sondern es wird nach dem Motto verfahren, wenn man eine Behauptung nur oft genug wiederholt, wird sie irgendwann von allen geglaubt. Wenn nun die Republikaner in den USA offen drohen: „Wir brauchen eine Strategie, die das gegenwärtige Regime besiegt und ersetzt.“ (Newt Gingrich, laut SZ vom 22.12.11), ist dem entgegenzuhalten, dass Barak Obama diese Strategie bereits fährt. Seit die Truppen im Irak abgezogen sind, können sie woanders eingesetzt werden.

Von außen versuchen die USA und ihre Verbündeten, die Achse der mit dem Iran befreundeten Länder militärisch aufzubrechen. Mit Gaddafis Libyen war ein Anfang gemacht. Man nutzte die Revolutionen in Tunesien und Ägypten, um mit Hilfe der CIA auch in Libyen eine Rebellion anzuzetteln. Für die libyschen Nato-Rebellen hätte es ohne massivste Nato-Unterstützung aus der Luft nicht den Hauch einer Chance gegen das libysche Militär gegeben. Aber auch Soldaten aus Katar und anderen Ländern sowie Sondereinsatzkommandos unterstützten die Nato-Rebellion, die zur grausamen Ermordung von Muammar Gaddafi führte und die völlige Destabilisierung des Landes zur Folge hat.

Der nächste Kandidat auf der Liste ist Syrien. Die Ausgangslage ähnelt insofern der in Libyen, als auch hier eine relativ schwache, aus Sunniten bestehende Opposition, darunter etliche Islamisten, das säkulare Regime Assads bekämpft. Ein Erfolg gegen das Regierungslager ist kaum denkbar ohne Waffenlieferungen sowie propagandistische und finanzielle Unterstützung aus Amerika, Europa, Saudi Arabien und Katar. Auch die Türkei mischt kräftig mit, zum einen, um die sunnitischen Glaubensbrüder zu unterstützen, zum anderen, um im Rückgriff auf das einstige osmanische Reich den Einfluss der Türkei in der Region zu stärken. Um nach außen die Unterstützung der Aufständischen zu rechtfertigen, werden Assad – auch hier in Übereinstimmung mit dem Vorgehen in Libyen – Menschenrechtsverletzungen und Gräueltaten vorgeworfen, die so nicht zu belegen sind. Fast alle diesbezüglichen Meldungen berufen sich auf äußerst fragwürdige Berichte einer so genannten „syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte“, die unhinterfragt von den westlichen Medien übernommen werden. Dieses ominöse in London ansässige Büro leitet Rami Abdul-Rahman, der angeblich über gute Kontakte zur Nato verfügt. Andererseits wirken Berichte über Terrorkommandos, die gezielt auf Zivilisten schießen, um das Assad-Militär zu diskreditieren, durchaus glaubhaft. Auch Jürgen Todenhöfer, der erst vor kurzem in einer Fernsehsendung seinen Besuch in der Aufständischen-Hochburg Homs schilderte, berichtete dort von Heckenschützen auf Militärangehörige. Doch eine ausgewogene Berichterstattung ist in den westlichen Medien nicht erwünscht, selbst wenn in Syrien Verhältnisse wie in Irak, Afghanistan oder jetzt auch Libyen drohen und Minderheiten wie die Christen durch den Zusammenbruch des Regimes äußerst gefährdet wären und Frauenrechte aufgegeben werden müssten. Denn gerade eine Destabilisierung des Landes ist unter militärstrategischen Gesichtspunkten nur wünschenswert.

Mit dem Zusammenbruch des Systems Assad entfiele die Unterstützung Syriens für den Iran. Eine sunnitische Mehrheit würde klar gegen Persien Stellung beziehen. Auch für die schiitische Hisbollah im Libanon würden ohne syrische Unterstützung schwere Zeiten anbrechen. Klar davon profitieren würde Israel, denn sowohl Hisbollah als auch Syrien unter Assad sind engste Verbündete der Palästinenser, wie es auch schon Libyen unter Gaddafi war.

Während sich Israel in der Kommentierung der Vorgänge bei seinen unmittelbaren Nachbarn auffallend zurückhält und dies den Europäern, der USA und am besten noch bestimmten arabischen Staaten – sprich Al Jazeera – überlässt, stimmt es umso lauter in den Chor der Westmächte mit ein, die Iran beschuldigen und bedrohen. Im Moment ist es allerdings noch unklar, wer den ersten Militärschlag gegen Iran führen wird, Israel oder USA, sind erst einmal dessen Unterstützer ausgeschaltet und das Risiko eines Gegenschlags für Israel minimiert.

Auch die aktuelle Verschärfung des Konflikts zwischen Schiiten und Sunniten im Irak ergibt in diesem Kontext durchaus Sinn. Der eng mit dem Iran befreundete Schiit Al-Maliki hat gegen seinen sunnitischen Vizepräsidenten einen Haftbefehl erlassen und mit der Entlassung der sunnitischen Minister seiner Regierung gedroht, da sich diese sunnitischen Politiker gegen die schiitische Regierung verschworen hätten. Eine pikante Situation, da die USA jetzt die einstige Hausmacht Saddam Husseins unterstützten und die US-Streitkräfte gerade den Irak verlassen haben.

Es ist zu spät davor zu warnen, dass ein Krieg in den sensiblen Gebieten des Nahen Ostens zu unvorhersehbaren Gefahren führen könnte: Der Krieg ist längst im vollen Gange und wird mit harten Bandagen geführt. Und es ist zu befürchten, dass er weiter eskalieren wird. Schon hat Moskau, das nicht zusehen wird, wie es militärisch von den USA weiter eingekreist wird, seinen Flugzeugträger ins Mittelmeer verlegt.

Bei diesem Krieg geht es nicht um Menschenrechte, Freiheit oder Demokratie. Denn dann müssten auch Monarchien wie Jordanien oder Marokko ins Kreuzfeuer der Kritik geraten, deren politische Gegner ebenso in Kerkern verschwinden wie in Saudi Arabien, wo es Frauen nicht einmal gestattet ist, ein Auto zu fahren. Und wie schnell wurden in Jordanien oder Marokko, in denen es auch Großdemonstrationen und Protestkundgebungen bei Beginn des arabischen Frühlings gab, die oppositionellen Bewegungen erstickt. Bei diesem Krieg geht es um die Vormachtstellung im Nahen und Mittleren Osten, um Öl, Bodenschätze und die Sicherung von Seewegen, sprich: Der Verteilungskampf um die letzten Ressourcen ist entbrannt. Zehntausende von Toten, die auch Hunderttausende werden könnten, und der Zusammenbruch von Staaten werden dabei zynisch in Kauf genommen. Und das zu einem Zeitpunkt, wo gerade in Libyen und Syrien Hoffnungen für eine Liberalisierung des Landes keimten und Reformen in Angriff genommen werden sollten. Dabei ist auch die Frage, ob dieser Konflikt den USA nicht schon längst entglitten ist. Zu viele verschiedene politische und religiöse Gruppen kochen ihr Süppchen: Sunniten gegen Schiiten. Säkulare gegen Islamisten. Israel gegen Palästina. Kapitalismus gegen Sozialismus. Dabei gibt es auch noch viele Nebenschauplätze wie beispielsweise das Kurdenproblem oder die Interessen verschiedener Stämme und Ethnien. Und die Bündniskonstellationen können unversehens von heute auf morgen wechseln: heute Freund, morgen Feind. Ein gefährlicher Kriegspoker mit unvorhersehbarem Ausgang hat begonnen.

Krieg löst keine Probleme, sondern schafft neue und größere. Krieg ist Zynismus pur. Krieg bedeutet unermessliches Leid für die Zivilbevölkerung. Krieg in dieser Region findet vor unserer Haustüre statt: Die Entfernung zwischen der libyschen Hauptstadt Tripolis und dem EU-Land Malta beträgt knapp 500 Kilometer. Der amerikanische Riese und sein System taumeln. Wen werden sie alles mit sich reißen?

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

Angelika Gutsche

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