CCC: Kulturwertmark und digitale Allmende

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Der Chaos Computer Club stellte gestern Abend sein Alternativkonzept zur aktuellen Leistungsschutzrecht- und Kulturflatratedebatte vor.

Die wichtigsten Ziele dieses Konzeptes sind, den Künstlern ein Auskommen zu garantieren, das Urheberrecht zu Gunsten des Rezipienten zu reformieren und ein funktionierendes, relativ bürokratiearmes Verteilungssystem zu erschaffen.

Das komplette Konzeptpapier kann auf irights.info eingesehen werden.

Aus der Pressemitteilung:

“Das Kulturwertmark-System ist in zweijähriger Diskussion mit Schriftstellern, Filmemachern, Malern, Podcastern, Galeristen und Journalisten entstanden und darauf ausgelegt, eine möglichst breite Vielfalt von schöpferischer Tätigkeit zu belohnen. Im Vordergrund stehen dabei die tatsächlichen Interessen der Kreativen. Die Basis für das Kulturwertmark-System soll von einer Stiftung als Open-Source-Software realisiert werden, so daß sie in Zukunft auch in anderen Ländern verwendet und weiterentwickelt werden kann.

Im Rahmen des fairen Ausgleichs zwischen allen Interessensgruppen sind eine Reihe von grundlegenden Änderungen an den bestehenden Urheberrechtsmodellen notwendig. Insbesondere müssen Schutzfristen deutlich verkürzt und die straf- und zivilrechtliche Verfolgung von Filesharing und privaten Kopien auf kommerzielle – also auf profitorientierte Gewinnerzielung zielende – Verstöße beschränkt werden. Ebenso sollen die verwerterorientierten Prämissen des derzeitigen Urheberrechts überwunden und ein angemessener Ausgleich zwischen Autoren- und Rezipientenrechten erzielt werden. Dafür erhalten die Kreativen in Deutschland die Möglichkeit, an einem riesigen neuen Markt mit garantiertem Mindestvolumen teilzunehmen und die Gewißheit, daß ihre Werke auch in Zukunft zugänglich und rezipierbar bleiben.

"Mit der Kulturwertmark wird gleichzeitig die gerechte Entlohnung von Kreativen gesichert, die sinnlose Verfolgung des privaten, nicht-kommerziellen Filesharing beendet und eine deutliche Vergrößerung der digitalen Allmende erreicht", faßte CCC-Sprecher Frank Rieger die Vorteile des Systems zusammen.“


Das Konzept:

(1) Jeder Teilnehmer am System zahlt monatlich einen allgemein festgelegten Betrag. (In der radikalsten Variante wird der Betrag von allen Steuerpflichtigen erhoben. Realistisch ist für den Anfang die Erhebung über den Internetzugang.)

(2) In Höhe dieses Betrages erhält jeder Teilnehmer Einheiten einer kryptographisch gesicherten Micropayment-Währung, der Kulturwertmark.

(3) Jeder Künstler, der am System teilzunehmen wünscht, registriert sein Werk für die Teilnahme.

(4) Nutzer können nun auf einfache Weise einen Betrag in Kulturwertmark ihrer Wahl für das Werk an den Künstler transferieren. Sie erwerben damit keine persönlichen Rechte an dem Werk, sondern drücken ihre Wertschätzung aus. Es steht dem Künstler natürlich frei, beispielsweise für den Download eines Werkes von seiner Seite einen bestimmten Betrag der Kulturwertmark festzusetzen. Alternativ kann die Möglichkeit zum Ausgeben der Kulturwertmark in Werke integriert werden, die dann völlig außerhalb der Kontrolle des Künstlers getauscht oder per Filesharing weitergegeben werden können. Der Künstler erhält das Euro-Äquivalent der für ein Werk gezahlten Kulturwertmark in regelmäßigen Abständen ausgezahlt.

(5) Wird ein zuvor festgelegter Schwellwert erreicht, fallen die Verwertungsrechte für das Werk automatisch in den Besitz der Öffentlichkeit und stehen fortan unter einer freien Lizenz, z.B. einer geeigneten Variante aus dem der Creative-Commons-Fundus.

(6) Beträge, die von den Teilnehmern innerhalb eines bestimmten Zeitraumes (etwa ein Jahr) nicht ausgegeben werden, werden automatisch entsprechend aller vergebenen Beträge verteilt. Es gibt also eine vorhersehbare Menge Geld, die pro Jahr tatsächlich verteilt wird.

(7) Als Gegenleistung für diesen de facto garantierten Mindestumsatz wird das bisherige Urheberrecht deutlich zugunsten der Rezipienten geändert. Exzessiv lange Schutzfristen werden verkürzt, die zivil- und strafrechtliche Verfolgung nicht-kommerziellen Filesharings wird eingestellt. Im Ergebnis entsteht ein zweiter Markt für Kunst- und Kulturwerke, der mit minimalem Bürokratie-Überhang zum einen ein sinnvolles Auskommen für Künstler ermöglicht, zum anderen dabei den Marktkräften noch vollen Raum zur Entfaltung läßt und schlußendlich eine fortlaufend wachsende digitale Allmende schafft, die allen zur Verfügung steht.


Aus den FAQs:

Ist das nicht das Gleiche wie Flattr?

Seitdem wir angefangen haben, das Kulturwertmark-Modell zu diskutieren, sind einige der ehemaligen Betreiber des größten Bittorrent-Trackers The Pirate Bay auf ähnliche Gedanken gekommen. Ihr Konzept Flattr beruht auf einer freiwilligen monatlichen Spende und einer anteiligen Ausschüttung, je nachdem wievielen verschiedenen Künstlern man Geld im Abrechnungszeitraum zukommen lassen will. Ein weiterer wesentlicher Unterschied ist, daß bei Flattr der gesamte Aspekt der Rechte am Werk ausgeklammert wird. Man gibt nur Geld an den Künstler, ohne daß sich dadurch die Verwertungsrechte verändern oder eine digitale Allmende gebildet wird. Es gibt auch kein Konzept einer Gegenleistung der Contentindustrie in Form eines entschärften Urheberrechts. Von Flattr läßt sich aber viel über akzeptierte und genutzte Formen des Ausgebens von Kulturwertmark lernen. Und nicht zuletzt: In Deutschland hat sich Flattr als am erfolgreichsten erwiesen, es gibt hier offenbar viel Akzeptanz für derartige Modelle.

Dieser Teil der FAQs verdeutlicht anschaulich Funktionsweise und "mögliche" Probleme des vorgeschlagenen Konzepts.

Zum einen ist fraglich, wie nutzbringend Flattr wirklich ist – auch in Deutschland, wo es zwar am "erfolgreichsten" ist, jener Erfolg allerdings deutlich hinter den Vorschusslorbeeren zurück bleibt. Man setzt vor allem barfuß auf die Zukunft. Bis dato begnügt man sich allerdings mit der Rolle des Everybody's Darling; nennenswerte Summen werden nicht umgesetzt, geschweige denn in der breiten Netzmasse erfolgreich operiert: Flattr is still for nerds, scheinbar. Ottonormalsurfer könnte derweil hinter vorgehaltener Hand auf ein System a la iScrobbler, also einen automatisierten Datensammler, der Nutzungsverhalten (anonym) trackt, hoffen – pro Bequemlichkeit, contra Datenschutz.

Zum anderen ist die digitale Allmende, die als Rattenschwanz und/oder Bonus an der digitalen Kulturwertmark hängt, ein Ansinnen, das im Hinblick auf das momentane Verhalten der Legislative, einem Luftschloss gleicht, einem Hort der Glückseligkeit, den zu erreichen gegen unmöglich zu laufen scheint. Auch bezüglich internationaler Gesetzesunterschiede würde hier einiges an Arbeit warten, so dass das Attribut "unbürokratisch" schnell ad acta gelegt werden müsste.

Nichtsdestotrotz handelt es sich um einen weiteren Vorstoß, der grob in die richtige Richtung zeigt, da die Ziele einem stark verbesserungswürdigen Status Quo Rechnung tragen. Ein modernes Konzept berücksichtigt:

  • das aktuelle (dauerhaften) Verhalten der Netzgemeinde, das es nicht länger zu kriminalisieren gilt
  • einen gerechten Verteilungsschlüssel für "Kulturwertmarken", der sich der Realität annähern muss und sich nicht an antiquierten Datenerhebungen orientiert
  • den technischen Stand des Netzes, vor allem hinsichtlich zu verabeitender Datenmenge und Geschwindigkeit (eine "Seamless Integration" auf Nutzer- und Verteilerebene)
  • die vielfältigen Interessen der Schaffenden (Es gibt keine "eine Lösung" für alle)
  • internationale Rechtsunterschiede
  • schlanke Bürokratie
  • Machbarkeit
  • und Usability.

Es bleibt zu hoffen, dass es noch ein bisschen mehr Spielraum als diesen gibt:

Ernstgemeinte Vorschläge für einen griffigeren Namen als "Kulturwertmark" nimmt der CCC selbstverständlich gern entgegen.


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Bild via Dan Tague

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jan Jasper Kosok

Online-Chef

Jan Jasper Kosok studierte Wirtschaftswissenschaften in Berlin, verdingte sich im Nachtleben und gründete 2007 mit Teresa Bücker das Blog Knicken // Plakative Platzierungen, welches sich mit Musik und Popkultur beschäftigte. 2009 kam er zum Freitag, um beim Aufbau des Webauftrittes zu helfen. Seit 2011 ist er verantwortlicher Redakteur für Online und Community und hat seitdem mehrere Relaunches begleitet. Er beschäftigt sich mit den sozialen Auswirkungen von zu hohem Internetkonsum und fürchtet sich davor, nicht verhindern zu können, ein alter weißer Mann zu werden.

Jan Jasper Kosok

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