Wozu noch Journalismus. Beitrag zu einer Serie

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Vorbemerkung:

sueddeutsche.de macht derzeit eine Serie über die Zukunft des Journalismus. Dazu habe ich auch einen Text geschrieben, den ich hier nicht vorenthalten will:

Sie wollen wissen "Wozu noch Journalismus"? Was für eine Frage, denkt man. Da können Sie ja genauso gut fragen, wozu noch Schuhe an den Füßen, denkt man, oder Butter auf dem Brot. Man will sich gar nicht vorstellen, dass es ohne Journalismus geht. Also unsere Gesellschaft, unsere Öffentlichkeit, unser System, unsere Freiheit. Oder wie Angela Merkel den Gedanken ausdrückt: "Die freien Medien sind ja sozusagen ein Teil des Lebenselixiers jeder Demokratie." Sie hat das im März 2009 vor jungen Journalisten gesagt, unsere Bundeskanzlerin, die ja eine der mächtigsten Frauen der Welt ist, aber leider nicht eine der wortmächtigsten. Journalismus tut Not, denkt man ja. So wie Seefahrt früher Not tat. Navigare necesse est. Aber der Spruch geht nocht weiter: Vivere non est necesse. Man muss zur See fahren, aber nicht leben. Das war schon zur Römerzeit Unsinn und umgekehrt wurde der Schuh daraus. Dem Journalismus kann es ähnlich ergehen: Es gibt ein Leben ohne ihn. Es sollte einen ja stutzig machen, denkt man, wenn die Bundeskanzlerin so teilnahmsvoll über den Journalismus redet, und man erinnert sich an die Worte von Gay Talese: "Sie lügen alle! Man darf ihnen nichts glauben! Niemals!" Das galt der Klasse der Politiker. Talese ist einer der größten Reporter Amerikas und er hat eine klare Haltung dazu, wie das Verhältnis von Politik und Journalismus gestaltet sein soll: Gar nicht! Politiker sollen Journalisten fürchten. Und Journalisten sollen Politikern misstrauen.


In Amerika sterben die Zeitungen, hierzulande leiden sie. Amerika ist uns immer ein bisschen voraus. Was hat der Journalismus in Amerika falsch gemacht, dass die Menschen meinen, ohne ihn auskommen zu können? Dass der Journalismus nicht mehr Not tut? Gay Talese sagt: "Die Medien sind der Macht zu nahe gekommen. Der perfekte Journalist ist immer ein Fremder." Talese beschreibt die Journalistengeneration der amerikanischen Nachkriegszeit, deren Eltern Einwanderer waren, Juden. Italiener. Sie berichteten über eine andere Klasse, eine höhere Klasse, die white anglosaxon protestants der Ostküste: "Wir warteten draußen, bis sie herauskamen und uns Krümel hinwarfen. Brocken. Wir haben sie nicht gehasst. Wir haben sie beobachtet. Es fiel uns leicht, dagegen zu sein." Und heute? Man hat sich angenähert. Der soziale Aufstieg hat die Journalisten selber in die herrschende Klasse gespült: Ihre Kinder besuchen die selben Schulen, sie wohnen in den selben Vierteln, sie gehören zu den selben Clubs: "Es gibt zwischen den Medien und der Macht heute eine Verwandtschaft, die es früher nicht gab. Einen Mangel an Skeptizismus."


Talese hat ein eindringliches Bild dafür gefunden, was Journalisten sein sollen, wie sie arbeiten sollen: "Wir Journalisten sollten eine Religion der Ungläubigkeit predigen! Ein Heiliger Orden der Ungläubigen, das sollten wir sein. Wir sollten unseren Dienst in Klöstern der Wahrheit tun, über die Schriften gebeugt. Und diese Klöster sollten weit, weit weg sein von den Palästen."
Davon war in Merkels Rede vor der Konrad Adenauer Stiftung gar nichts zu spüren. Im Gegenteil. Sie gab den jungen Kollegen wohlmeinende Ratschläge mit auf den Weg: "Wenn man langfristig groß herauskommen will, ist, würde ich sagen, eine doppelte Quellenbefragung immer wichtig." Und bewies überhaupt viel Einfühlungsvermögen für das Wirken der Presse: "Ihre Tätigkeit ist natürlich auch eine sehr spannende Tätigkeit", sagte sie, "mein Plan für den Tag ist meistens schon fertig. Sie hingegen können gespannt darauf warten, was an dem Tag passiert und was Eingang in Ihre Arbeit findet."
Was Angela Merkel da gesagt hat war nur scheinbar von ergreifender sprachlicher und gedanklicher Schlichtheit. Es war bezeichnend dafür, dass Journalisten und Politiker sich heute mitnichten als Gegner verstehen, sondern als Partner.
Merkel hat zu den Journalisten geredet als seien sie Mitarbeiter einer Abteilung im Kanzleramt. Und wenn man es sich recht überlegt, kommt man zu dem Schluss: Ja, so sehen sich mehr und mehr Journalisten auch selbst. Und wenn das so weitergeht, dann braucht man in der Tat keine Journalisten mehr. Dann tun Pressesprecher es auch. Das scheint der Zug der Zeit ohnehin zu sein: Es soll mittlerweile mehr Pressesprecher in Deutschland geben als Journalisten.

Ein paar Monate zuvor, am 8. Oktober 2008, hatte es ein sonderbares Treffen gegeben, das in diesem Zusammenhang Erwähnung finden soll. Die Bundeskanzlerin hatte an jenem Tag die bedeutenden Chefredakteure der bedeutenden Medien eingeladen. Es war die Zeit, in die der Ausbruch der großen Finanzkrise fiel. Man findet keinen ausführlichen Bericht über dieses Treffen, der veröffentlicht worden wäre und überhaupt nur wenige Erwähnungen in den Archiven, nur hin und wieder einen Nebensatz, eine knappe Bemerkung. An einer Stelle liest man in dürren Worten, worum es an diesem Abend im Kanzleramt ging: Merkel bat die Journalisten, zurückhaltend über die Krise zu berichten und keine Panik zu schüren.


Sie haben sich daran gehalten, die Chefredakteure. Noch im Februar 2009, vier Monate später, wunderte sich die taz über die Medien: "Sie halten die Bürger bei Laune, auf dass diese stillhalten. Wie viel Geld bereits in die Banken gepumpt wurde, wie viele Milliarden Bürgschaftszusagen vergeben wurden (und wie viele Hartz-IV-Monats"löhne" das sind), das steht auch nicht in der Zeitung. Die Süddeutsche (vom 15. 1.) beispielsweise versteckt die Mitteilung, dass die Hypo Real Estate zum vierten Mal in vier Monaten Milliarden Bargeld und Bürgschaften braucht, unter der Überschrift "Wenn Steinbrück an die Tür klopft"."
Die Bild-Zeitung übrigens bekam sogar einen Preis dafür, dass sie so "verantwortungsvoll" berichtet habe. Einen Preis, der von Journalisten verliehen wurde.


Nun mag man sich ja fragen: Was hätten die Medien in Deutschland tun sollen, als den Banken der Zusammenbruch drohte? Genauso gut mag man sich fragen, was sie in Amerika hätten tun sollen, nachdem die Twin Towers zusammengebrochen waren? Und als George Bush den Krieg gegen den Irak vom Zaun brach. Aber dann muss man sich auch fragen, was sollen sie tun, wenn eine Epidemie droht? Wenn ein Krieg beginnt? Wenn eine Entführung im Gange ist? Wenn der Kanzler schwarze Kassen führt? Wie lautet die richtige Antwort? Meine Antwort lautet: Ihren Job. Immer. Berichten. Die Wahrheit. So gut sie können. Viele Journalisten sehen das heute anders. Als die erste Regierung Merkel ihren Dienst antrat, schrieb sagteHans-Ulrich Jörges auf einer Podiumsveranstaltung im Stern: „Wir sollten sie wie rohe Eier behandeln. Diese Truppe ist das vorletzte Aufgebot der deutschen Politik, und ich will nicht, dass es kaputtgeschrieben wird, weil dann das letzte Aufgebot regiert."

(Anm.: Der kursiv stehende Text ist eine ältere Fassung, die ich wegen eines inhaltlichen Fehlers korrigiert habe. JA)


Man sollte sehr hellhörig werden, wenn Journalisten anfangen, sich auf ihre Verantwortung zu berufen. Sie haben nur eine einzige: der Wahrheit gegenüber. Alles andere geht sie nichts an. Journalisten sind für die Landesverteidigung nicht zuständig und für die Stabilisierung des Kapitalismus auch nicht, das Überleben der Bundesregierung muss ihnen ebenso gleichgültig sein, wie der deutsche Außenhandelsüberschuss.

Sie kommen andernfalls in Teufels Küche. Da mag es einem warm und behaglich vorkommen. Aber, um mal im Bild zu bleiben, einen so langen Löffel haben die wenigsten Journalisten, dass sie sich mit dem Teufel unbeschadet zu Tisch setzen könnten. Man darf sich nicht darauf verlassen, dass alle Journalisten sich verhalten wie Kurt Kister: Als der neue Bundeskanzler Gerhard Schröder ihn seinerzeit in einem Berliner Restaurant traf und ihm gönnerhaft zurief, ihn doch einmal in seinem neuen Kanzleramt zu besuchen, da soll Kister ihm entgegegnet haben: "Das ist nicht ihr Kanzleramt, Herr Bundeskanzler." Wenn Journalisten ihre Unabhängigkeit verlieren werden sie zu Dienern. Zu Staatsdienern. Solche Journalisten braucht kein Mensch.


Wir sind ja Zeugen einer Revolution. Wir leben mitten drin. Wir treiben sie selber voran. Und wir werden von ihr getrieben. Das neue Internet Protocol Version 6 erhöht die Zahl möglicher Netz-Adressen auf 2 hoch 128. Man könnte damit etwa der Hälfte der Atome im Universum eine eigene Netz-Adresse geben. Wir bauen Rechner und wir schreiben Algorithmen, die dazu in der Lage sind. Information, Wert, Freiheit, Individualität, Zukunft - diese Begriffe bekommen unter solchen Umständen eine neue Bedeutung. Das Schicksal der Medien und des Journalismus wird von dieser Revolution ebenso ergriffen wie der Rest unseres Lebens, unserer Kultur, unserer Gesellschaft. Dafür können die Journalisten nichts. Damit müssen sie sich arrangieren. Das hat der Strukturwandel so an sich, dass es nachher anders aussieht als vorher. Aber Journalisten wären vielleicht gut beraten, diesen Wandel, der ihre Rolle in Frage stellt, der ihre Existenzgrundlage gefährdet, nicht noch zu beschleunigen, indem sie sich selber überflüssig machen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jakob Augstein

Journalist und Gärtner in Berlin

Jakob Augstein

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