Der Maler und sein Zeichner

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Für Gerhard Hillich (1944-2000) und seinen Freund B.

www.berlin.de/ba-pankow/kunstundkultur/galerie-parterre/archiv/hillich.html

Dieser Text sollte eigentlich vor vielen Jahren in den Katalog der letzten Ausstellung von Gerhard Hillich einfließen. Das hat sich nicht gefügt aus verschiedenen Gründen. Aber hier kann ich ihn mal einstellen.

Auch tiefe Freundschaften beginnen immer mit einer gewissen Form von Verliebtheit, gleich welche Geschlechter aufeinander treffen.

In meinen langjährigen Freund G. war ich, wie alle Frauen, die ihm begegnet sind, zuerst einmal verliebt. Er war ein schöner Mensch, er sah aus wie der junge Mann auf dem Bild eines italienischen Meisters und besaß zudem ein so liebenswürdiges Wesen, dass es wohl keine Frau gab, die nicht ähnliche Gefühle wie ich ihm gegenüber hegte.

Zu Beginn unserer Bekanntschaft flirtete er auf eine etwas altmodische, betuliche Art mit mir, stach mir ganz leise unter dem Tisch mit einer Nadel in die Hand und lächelte mich dabei an, aber immer hatte ich das Gefühl, er wollte mehr einer Sympathie Ausdruck verleihen, als einem heftigen Begehren. Wie auch immer, es "fügte" sich nicht, und keiner von uns beiden insistierte auf einer Nähe, die eine andere Zuneigung, die sich inzwischen eingestellt hatte, wahrscheinlich ruiniert hätte.

Wir redeten gern, er lud mich von dem Geld, das er für ein versetztes Schmuckstück bekommen hatte, zum Essen ein. Ich borgte ihm hin und wieder was. Einmal kam ich zu ihm, da verließ seine Frau wegen eines Ehekrachs wütend die Wohnung. Er ging mit mir zum Rummelplatz und wir fuhren dort stundenlang Autoscooter. Am Abend half ich, eine Versöhnung zustande zu bringen.

Ich fand es gut und tröstlich, eine "Ersatzfamilie" zu haben, weil ich ein wenigBeständigkeit brauchte, die ich in mir selbst ebenso wenig finden konnte wie zusammen mit einem Mann. Da ähnelten wir uns, denn auch G. war andauernd und emsig damit beschäftigt, sein Leben in Unruhe zu halten. Dazu gehörten komplizierte Liebesverhältnisse, die meist nur den Zweck hatten, zu scheitern oder lange Zeit für allgemeine Verwirrung, Rätsel und Unentschiedenheit zu sorgen. Dazu gehörten viele Leute, die alle wie selbstverständlich gern in seiner Nähe waren. Er musste sie nicht sammeln. Er hatte ein Himmelstalent für Menschen. Er gebrauchte es zweckfrei.

Ein kauziger Freund

Fester Bestandteil seines Lebens aber war G’s Freund B., ein kauziger, lebensängstlicher Mensch. Er erklärte uns allen immer wieder umständlich, welch ungeheure Anstrengung es für ihn bedeute, überhaupt zu existieren. Allerlei Schrullen bis hin zu hypochondrischer Panik und heftigen Suffzuständen gehörten zu seinem Dasein. Er hatte schreckliche Angst vor dem Tod. Eigentlich war es schon eine Psychose, über die er heftig klagte. Einmal, so erzählte er mir, sei er in den Wald gegangen mit dem Strick, weil er die Todesangst nicht überwinden konnte. Aber, er habe dann doch den Mut verloren. Ich war mir nicht sicher, ob er das nicht nach der Lektüre eines Tolstoi-Romans erfunden hatte. Von wenigen kleinen Affären abgesehen, lebte er, gemeinsam mit seiner Mutter, in einem Vororthäuschen. Von dort fuhr er jeden Tag ins städtische Museum, wo er arbeitete und dabei ebenso festen Gewohnheiten nachging, wie in seinem ganzen Leben. In diesem Museum arbeitete auch G., der eigentlich Maler war, um einen Broterwerb zu haben, denn von seinen Bildern konnte er nie recht leben. Er malte gegenständlich, aber nicht farbenfroh, sondern in sehr erdigen, zurückgenommenen Tönen.

Niemand konnte ihn überreden, sich mehr an herrschende Trends anzupassen. Sein Freund B. bestärkte ihn darin. Er arbeitete als äußerst akribischer Zeichner, dokumentierte Fundstücke, Tonscherben, die auf den Äckern um das Land Berlin zu finden sind. Ich dachte bei mir, dass die erdigen Töne in ihrer beider Leben eine Rolle spielten nur auf unterschiedliche Weise.

B. fand manchmal Vergnügen daran, sich als den Benachteiligten der beiden darzustellen. G. sei eben der Talentiertere, Schönere und habe bei den Frauen mehr Glück. G. scherzte manchmal darüber mit ihm, versuchte ihn zu verkuppeln und manchmal verspottete er ihn auch liebevoll. Wo auch immer die beiden Freunde gingen, B. hatte den Zeichenblock auf den Knien, wenn er nicht zu betrunken dazu war. Er dokumentierte unsere Runden, aber am meisten zeichnete er seinen Freund. Manchmal kam er mir vor wie ein zeichnender Eckermann.

Zeichnungen - genauer als Fotos

Eines Sommerabends, wir saßen zusammen im Biergarten, meinte G., es sei doch erstaunlich, dass B., der so detailgetreu zeichnen könnte, keine künstlerischen Ambitionen habe. Seine Porträtzeichnungen machten immer so viel Ärger, weil sie zu genau und gnadenlos abbildeten, was vorhanden sei. Das vertrügen die Abgebildeten nicht immer. Aber einen künstlerischen Willen habe B. dabei nicht. Der schwieg erst einmal, grinste wohl auch, aber ich sah, dass er gekränkt war. Er verteidigte sich und meinte, es sei doch für die Welt genauso wichtig, wie etwas wirklich aussieht, auch wenn es Fotografien gäbe, eine Zeichnung sei deutlicher. So zeichnete er ungerührt in unserer Runde weiter.

Hin und wieder war er auch auf G’s Bildern das Modell. Eines hieß "beim Optiker“ und zeigte B. als einen, dem scheinbar undurchsichtigen, ängstigenden Treiben des Fachmannes ausgesetzten hilflosen Menschen, der hofft, durch Unterwerfung werde die Katastrophe an ihm vorübergehen.

Wir alle wurden älter. Trotzdem sahen wir uns weiter regelmäßig und es etablierten sich Rituale. Jeden Montag trafen sich G. , B. und ein weiterer Kollege in der Stadt in einem Restaurant, um dort die Welt zu bereden. Anschließend gingen sie Bücher kaufen in die Antiquariate der Stadt.

Wichtig war daran, dass es Regeln gab, die von allen eingehalten wurden. Es musste Montag sein und sie mussten mindestes zu dritt sein.

Lebenskreise die sich nähern und entfernen

Ich fuhr in die relativen Sicherheiten einer festen Beziehung und fester Gewohnheiten ein. Mein Mann und G. waren sich zu meiner Freude gewogen. An einem Silvesterabend bei einer heißen Schlägerei wurden sie sogar so etwas wie "Kampfesbrüder" und schlugen eine ganze Bande von Flegeln, die das Atelier besetzen wollten, in die Flucht.

Jahre vergingen mit gleichmäßigen, sich annähernden und dann wieder entfernenden Lebenskreisen. Vor einigen Jahren - wir waren zum Geburtstag bei G., war er in sehr sarkastischer, schlechter Stimmung. Mir fiel auf, dass er dann seinem Freund ähnelte. Ob diese Missstimmung der Grund war oder ob ein Zufall eine Rolle spielte, wir blieben eine Weile weg. Irgendwann rief seine Frau an und als ich mit schlechtem Gewissen fragte, wie es denn so ginge, erklärte sie uns, G. sei jetzt wieder zu Hause. Er habe eine Krebsoperation ganz gut überstanden. Wir besuchten ihn. Er machte kleine, bemühte Witze, gewöhnte uns damit an seine neue Lage, so dass wir bestimmte Krankheitserscheinungen kannten und nicht andauernd von Neuem irritiert waren. Er ließ uns in dem Glauben, dass alles überstanden sei. B. und er schlossen sich enger zusammen, es schien fast, als erfülle das Unglück des Freundes B. mitTatkraft. Sie reisten zusammen weite Strecken. G. war ein "begnadeter" Autofahrer, wenn es so etwas gibt. B. begleitete ihn, jammerte nach der Rückkehr herum, dass es doch alles so anstrengend gewesen sei und zeichnete überall getreulich auf, was er sah.

Der Beobachter bezieht Position

In dieser Zeit sah mich G. bei einem Besuch einmal an und meinte mit ironischem Blick: „Noch sterbe ich nicht“.Ich konnte nichts anderes tun, als ihn stumm zu umarmen. Anschließend ergab es sich, dass ich mit B. noch ein Bier trinken ging. „Nein, sagte er, er stirbt noch nicht, aber bald“. Ich sehe es. Der aufmerksame Beobachter in ihm hatte Position bezogen. Und so kam es. An Ostern starb mein Freund. Ich war nicht dabei, ich hatte die Kraft nicht, aber ich wusste, dass in seinem Haus nicht Auferstehung war, sondern Ende. Seine Frau kam Tage später vorbei und sagte uns Bescheid.

An dem Tage, als er starb aber war sein Freund gekommen, hatte geseufzt, bedächtig seinen Zeichenblock aufgeschlagen und über viele Stunden das Ringen seines besten Freundes mit dem Tode aufgezeichnet. Die Zeichnungen habe ich einmal gesehen und weiß jetzt für den Rest meines Lebens, wie ein Mensch stirbt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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