Die Bitterkeiten der Befreiung

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Zu DDR-Zeiten durfte man nicht darüber sprechen, jetzt scheint es manchmal ,als dürfe man über nichts anderes mehr sprechen, wenn die Rede von sowjetischen Soldaten ist. Die Gewalttaten gegen Frauen waren ein entsetzliches Kapitel im Nachkriegsdeutschland. In einer Gedenksendung für die kürzlich verstorbene CDU-Politikerin Hanna-Renate Laurien sprach sie auch über ihre Nachkriegserlebnisse in Berlin. Offensichtlich war die Erinnerung traumatisierend, denn bei Nachfragen, brach sie ab und insistierte, dass sie "nein, nein", darüber nicht sprechen wolle. Es sei schrecklich gewesen. Die russischen Soldaten in Berlin - sie hatten unter enormen Opfern die Faschisten geschlagen. Nun ließen Angehörige dieser Armee ihren Zorn an den Frauen aus und demütigten nachhaltig auch die Männer des besiegten Landes. Die erlittene sexualisierte Gewalt blieb ein Tabu, weil die Männer sie als selbst erlittene Kränkung erfuhren und am Ende wieder den Frauen anlasten. Das ist bis auf den heutigen Tag so.

Zwischen Tabu und Verhöhnung

Der Schriftsteller Erwin Strittmatter hatte - so wurde berichtet - viel Ärger, weil sich der sowjetische Botschafter über eine Szene im "Wundertäter" beschwerte, in der eine Vergewaltigung durch sowjetische Soldaten eine Rolle spielt. In frühen DDR-Romanen ("Geliebt bis ans bittere Ende" - 1955) wird das Thema als eine Fantasie unbefriedigter Frauen verhöhnt. Der ehemalige Bürgermeister von Dessau, Fritz Hesse (LDPD), ein Mann, der in der NS-Zeit Verfolgungen ausgesetzt war und sich durchaus ehrenwert verhalten hatte, schildert in seinen Erinnerungen an das Jahr 1945 in Stammtischmanier, wie eine alte Frau zu ihm gekommen sei und ihm gedankt hätte, dass sie "so etwas noch einmal erleben durfte". So wurde das Problem, wenn es denn einmal erwähnt werden musste, "bewältigt".

Als vor einigen Jahren der Bericht "Anonyma" - eine Frau in Berlin erschien, erhob sich erneut der Streit um das Thema. Ich fand die Erinnerungen glaubwürdig, unsentimental und bewegend. Aber - es gab auch Kritik, die sich mit der Person der - inzwischen nicht mehr anonymen - Autorin beschäftigte. Anonyma ist die auch in der Nazizeit journalistisch tätig gewesene Marta Hiller. Dass ein anderer bekannter Autor, der als CERAM bekannte Fritz W.Marek an dem Manuskript redigiert hat, tut der Wirkung und Glaublwürdigkeit keinen Abbruch, wie zahlreiche Rezensenten anmerken. Im Grunde wurde auch bei dieser Gelegenheit an einer Frau abgearbeitet, was eigentlich eine viel breitere Debatte ist.

In allen Besatzungszonen

Die Süddeutsche berichtete dieser Tage darüber, dass auch in anderen Besatzungszonen Vergewaltigungen vorkamen. www.sueddeutsche.de/bayern/80/510202/text/5/ Ein nicht unwesentliches Indiz dafür ist, dass in allen deutschen Besatzungszonen ab 1945 zeitweilig eine "ethische" oder "kriminologische" Indikation zugelassen wurde. Dabei ging es natürlich um die Vergewaltigungsopfer, die nicht zum Austragen entstandener Schwangerschaften gezwungen werden sollten. Diese Regel galt sogar auch im amerikanisch besetzten Bayern. Es scheint aber so, als ob sich die Debatte um Vergewaltigungen am Beispiel der Russen eindrücklicher und für den gegenwärtigen Umgang mit der Geschichte "ertragreicher" abhandeln lässt. Der Historiker Hubertus Knabe postulierte schon vor einigen Jahren, dass es für Ostdeutschland ohnehin keine "Befreiung" gegeben habe. Er gehört damit zu einem Kreis öffentlicher Personen, für die die DDR nur eine unwesentliche Fußnote in der Geschichte war, die auf dem Weg zur Deutschen Einheit, der wahren Befreiung noch zu durchleiden war. Experten haben für Berlin erforscht, dass sieben Prozent der 1,4 Millionen Frauen in Berlin vergewaltigt worden sind. Das sind ungefähr 100.000 Frauen, die dieses Schicksal erlitten haben. Auch ein angeblicher sowjetischer Aufruf zur Massenvergewaltigung gehört zu den historisch unbelegten Gerüchten. Es ist wohl so, dass einige Zeit eine Art von Duldung und Rechtslosigkeit herrschten bis die Sowjetische Militärmachtsadministration - wie es auch in den anderen Besatzungszonen geschah- die Vergewaltigungen selbst unter Strafe stellte.

Andere und versöhnliche Bilder

Und bald bemühte sich die sowjetische Besatzungsmacht, andere Bilder in die Welt zu bringen. Dazu gehört auch der - mich auch heute noch bewegende - Auftritt des Alexandrow-Ensembles. Ihr "Im schönten Wiesengrunde" rührte alle Herzen. "Die Hitlers kommen und gehen, das deutsche Volk bleibt", so die neue Stalinsche Linie. Die Kulturoffiziere förderten, was ihnen dafür geeignet und wichtig erschien. Der Sowjetsoldat als Helfer und durchaus auch Retter von Kindern ist mit dem Treptower Ehrenmal verewigt und wie ich finde, zu Recht.

Meine Mutter - die im Jahr 1945 in Deutschland vom Norden nach Süden und dann wieder nach Mitteldeutschland "gewandert" ist, hat mir oft erzählt, dass sie beim Übergang in die sowjetische Besatzungszone von einem sowjetischen Militärzug mitgenommen wurde. Sie war schwanger und hatte außerdem ein Kind bei sich, meinen Bruder. Sie erzählte, dass die Soldaten sich rührend um den Jungen gekümmert hätten. Sie berichtete auch von "Zudringlichkeiten", tat es als Geplänkel ab. Es war eben Nachkrieg, sagte sie. Es hängt vielleicht auch von den Umständen ab, was geschieht und auf welche Menschen man trifft, auch wenn sie eine Uniform tragen.






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Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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