Ein Vorfahr und sein Antisemitismus

Biographisches Auf den Spuren meines "illegitimen" Großvaters" - Wilhelm Friedrich Loeper (1883-1935) - ein hoher Nazifunktioniär, ist viel Typisches über den Zeitgeist zu finden.

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Jüdischer Wirtschaftsliberalismus

Mein Vorfahr war, wie viele Vertreter des bürgerlichen Mittelstandes, wie viele Menschen in Deutschland ein überzeugter Antisemit.

Damit lag er genau in der bürgerlichen Mitte jener Zeit.

Schon jahrhundertelang latent vorhandene antisemitische Tendenzen begannen sich Ende des 19. Jahrhunderts verstärkt zu regen. Sie waren u.a. auch eine der Reaktionen auf den Gründerkrach in den 70er Jahren. Nachdem die Gesetzgebung jener Zeit einen rigorosen Wirtschaftsliberalismus durchgesetzt hatte, nachdem viele Börsengeschäfte jener Zeit sich als fauler Spekulationszauber erwiesen hatten, folgten Bankzusammenbrüche und die Aktienkurse stürzten ins Bodenlose. Als die Krise bereits abgeflaut war, suchte man nach Sündenböcken. Man fand sie einerseits im „Manchesterkapitalismus“ der Wirtschaftsliberalen und in den Juden. Meist wurde beides gleichgesetzt.

Aber, es war nicht nur dieser angeblich jüdische Wirtschaftsliberalismus, der Ängste schürte und kulturell bewährte Feindbilder erzeugte. Die Erziehungs- und Kulturwissenschaftlerin Christina von Braun hat mit einigen ihrer Überlegungen noch weitergehende Deutungen angeregt. Christina von Braun

Die Juden und die Frauen
als "subversive Elemente"

Vielleicht lag in den einstigen jugendlichen Eskapaden Loepers ein persönlicher Schlüssel für den spezifisch deutschen Antisemitismus, dem nicht nur der preußische Militär anhing. Ein tiefes Ressentiment speiste sich aus den Verunsicherungen vieler Männer jener Zeit. Sie fragten sich: War liberales Gedankengut nicht auch verantwortlich dafür, dass neben den Juden vor allem die Frauen, das ewig subversive und störende Element, wider den Stachel löckten und begannen, sich zu emanzipieren? Vieles von dem, was man über die Frauen, die sich aus den alten Zwängen befreiten und endlich auch an deutschen Universitäten studieren wollten, sagte, wurde ebenfalls ins Feld geführt, wenn es um die jüdische Emanzipation der Zeit um die Jahrhundertwende und später ging. Die Rede war von gefährlicher Nervosität, der die Frauen anheimfallen würden und sie der natürlichen Bestimmung der Frau entfremden würde.

Bei den Juden war es die „jüdische Hast“, mit der das nervöse und gefährliche Element, das so bedrohlich erschien, benannt wurde. Nervosität – das war in jener Zeit ein anderes Wort für die Furcht vor Überforderung angesichts der Herausforderungen jener Zeit: Der Herausforderungen durch die Technik und der Ökonomie ebenso wie durch die Emanzipation der Juden im Lande und auch durch neuen „widernatürlichen“ Bestrebungen der Frauen.

Eine eigenwillige
karriereorientierte Großmutter

War die karrierebewusste Laura Helene Sonja seines Stettiner Leutnantsjahres nicht auch so eine eigenwillige Person gewesen? Selbst wenn er sie hätte heiraten wollen, hätte sie ihn denn überhaupt gewollt, trotz des Kindes, das sie von ihm erwartete? War sie nicht energisch dabei gewesen, ihre Karriere voranzutreiben und hatte sich wenig dafür interessiert, was jetzt mit ihnen beidengeschehen wird?. Hatte sie sich nicht auch wenig um die Zukunft ihres Kindes gekümmert? Nein, die junge Sängerin war keineswegs das arme „gefallene Mädchen“, das in den Geschichten jener Zeit als Protagonistin favorisiert wurde, sondern eine zielstrebige, sehr ehrgeizige junge Person, die ganz gut allein zurecht kam. Brachten solche Frauen nicht Männer in Verlegenheiten aller Art, bekamen Kinder, für die man dann zahlen musste?

War nicht auch diese Frau eher berechnend, denn anschmiegsam gewesen und hatte ihren Teil gefordert?

Die Furcht vor Frauen, die zu klug werden ging ebenso um, wie die Furcht vor der subversiven Intelligenz der Juden. Ein antisemitischer Kalendervers jener Zeit lautete:

„Hinfort mit diesem Wort, dem bösen,
Mit seinem jüdisch-grellen Schein!
Nie kann ein Mann von deutschem Wesen,
Ein Intellektueller sein“.

Ein Mann – besonders ein Militär in dieser Zeit - hatte viel an Demütigung zu verarbeiten: Eine durch den verlorenen Krieg verletzte „Ehre“, das Gefühl des Betrogen Seins, drohenderökonomischer Abstieg, Frauen, welche den Bildern nicht mehr entsprachen, welche die Männer sich wünschten. Alles „gute Gründe“ für Antisemitismus, in den man allen Hass auf die Zeiten, alle Enttäuschung und allen Wunsch nach Orientierung legen konnte.

Man wusste jetzt, wer verantwortlich war – die Juden. Man wusste, wie man nicht sein wollte – wie die Juden.

Kaiserzeit: Verdeckter
Antisemitismus

Der Antisemitismus der Kaiserzeit war verdeckter als in den späteren Jahren. Deutsche Juden dienten, wie bekannt ist, im ersten Weltkrieg in der Armee auf allen Ebenen. 12. 000 fielen. 35. 000 erhielten Orden und waren hoch anerkannt. Nicht ohne Grund verwiesen sie später in der Nazizeit auf diese Verdienste um das Vaterland - vergeblich. Die antisemitische Sündenbock-Tradition pflanzte sich durch die Jahrzehnte fort, sie war ebenso ein Trost für jene, die ohne Perspektive aus dem Krieg gekommen waren, wie für jene, die durch die Inflation verarmten. Erneut waren die Juden die Kriegsgewinnler und die Drückeberger.

Wilhelm Friedrich Loeper war, nachdem er aus dem Kriege zurückgekommen war,alles andere als ein wirtschaftlich gutgestellter Mann. Die Eltern haben ihm öfter helfen müssen, darüber ist nachzulesen. Das war sicher einer, wenn auch nicht der wichtigste, der Gründe dafür, dass er in ein Freikorps eintrat und dann in die Reichswehr. In Offizierskreisen verstärkte sich der Antisemitismus ebenso wie in der übrigen Gesellschaft. Ein Exkurs in die Geschichte des Antisemitismus führt zu weit, aber klar wird, dass Wilhelm Friedrich Loeper diesen Antisemitismus als eine der Troststrategien für die den Niedergang des deutschen Reiches, für das eigene Gefühl der Unterprivilegiertheit übernahm. Und – wie so oft - hatte er im privaten Leben Probleme, die geeignet waren, seinen antisemitischen Ressentiments zu bestätigen.

Eine private Kontroverse
verstärkt Ressentiments

Im Jahre 1924 als Loeper von München wieder nach Dessau übersiedelte, waren Wohnungen knapp. Zuerst kamen er und seine Frau bei seiner Mutter unter. Als alle zusammen eine größere Wohnung fanden, stellte sich heraus, das der Vermieter ein Jude war, der sich durch einen Zeitungsartikel von Loeper beleidigt fühlte und einen Nationalsozialisten nicht in seinem Hause dulden wollte. Er klagte auf Räumung und dieser Klage wurde auch stattgegeben. Das fand der Hauptmann schreiend ungerecht. Bei sich suchte er die Verantwortung dafür nicht.

Als Landtagsabgeordneter legt er häufig Zeugnis ab für sein simples antisemitisches Weltbild. Er bombardiert das Regionalparlament mit kleinen Anfragen, die von der inneren Überzeugung durchdrungen sind, dass „die Juden sich zuviel herausnehmen“. In der Formulierung solcher kleinen Anfragen ist der Hauptmann denn auch ziemlich spitzfindig. So fragt er nach, warum der sozialdemokratische Staatsminister Weber eine betrügerische Pleite als „jüdische Pleite“ bezeichnet hat. Mit solch einer Anfrage will er nachweisen, dass es antisemitische Ressentiments nicht nur in der NSDAP gibt. Damit hat er sogar recht, er entlarvt dies, um Heuchelei anzuprangern, die es natürlich auch gegeben hat. Heute würde man sagen, er zündelt andauernd mit der politischen correctness von heute so genannten „Gutmenschen“.

Dass Wilhelm Friedrich Loeper liberales Gedankengut allgemein fremd, ja ein Gräuel war, verwundert nicht weiter. Wie sollte es anders sein bei einem Mann seiner eher einfachen Persönlichkeit. Gerade darum fühlte er sich eingebettet in ein allgemeines Einverständnis seiner Zeitgenossen. Er bekämpfte die Bewegung des Dessauer Bauhauses mit allen Mitteln. Als die NSDAP im Jahre 1932 zur Wahl antrat, da hatte sie den Abbau des Bauhauses bereits in ihrem Wahlprogramm. Man muss aber darauf verweisen, dass es in der Bevölkerung damals eine starke Abwehr große Akzeptanzprobleme gegenüber dieser Kunstrichtung gab. Daran ließ sich sehr geschickt anknüpfen, Antisemitismus effektvoll schüren.

Für die deutschnational denkenden Bildungsbürger gab es ebenfalls kein besseres Vehikel als den Antisemitismus, wenn es galt das verhasste liberale Gedankengut zu bekämpfen. Und auch ein gewisses Konkurrenzgefühl konnte man über einen verdeckteren und „gepflegteren“ Antisemitismus abarbeiten. Denn die Juden nahmen Einfluss, sie prägten die kulturellen Debatten mit, sie spielten eine wichtige Rolle im Geistesleben.

Thomas Mann – ein
typisches Beispiel

So schrieb Thomas Mann am 10. 4. 1933 – bereits in der Schweiz, aber noch nicht im Exil - über sein weiteres Schicksal sinnend, in sein Tagebuch: „Die Juden.......Daß die übermütige und vergiftende Nietzsche-Vermauschelung Kerr’s ausgeschlossen ist, ist am Ende kein Unglück; auch die Entjudung der Justiz am Ende nicht. – Geheime bewegte angestrengte Gedanken. Widrig-Feindseliges, Niedriges, Undeutsches im höheren Sinn bleibt auf jeden Fall bestehen.“

Und wenig später am 17. April 1933

„Die Revolte gegen das Jüdische hätte gewissermaßen mein Verständnis, wenn nicht der Wegfall der Kontrolle des Deutschen durch den jüdischen Geist für jenes so bedenklich und das Deutschtum nicht so dumm wäre, meinen Typus mit in den selben Topf zu werden und mich mit ihm auszutreiben“.

Eine Kränkung wird ausgedrückt. Von einem Mann, der eine Jüdin geheiratet hatte. Was hat sich da in jener Zeit wirklich abgespielt, welche Kräfte waren am Werke? Der unter den Geisteswissenschaftlern einstmals herrschende Konsens, dass der jüdische Einfluss auf vielen Gebieten zu groß sei, ist heute kaum noch in der kritisch-aufarbeitenden Diskussion.

Die Jenninger Kontroverse
eine zutreffende Zeitdiagnose

Der frühere Bundestagspräsident Philipp Jenninger hatin den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts einen Absturz ohnegleichen erlebt, als er die grassierenden Ressentiments jener Zeit aufgezählt hat, ohne durch entsprechende Kennzeichnung als Zitat die innere Abgrenzung davon mit zu kennzeichnen.

Er hat eine zutreffende Diagnose der Zeitstimmung gegeben- und es will mir manchmal scheinen, als seien die einstigen empörten Reaktionen auf die Rede auch der Tatsache geschuldet, dass sie noch einmal den breiten antisemitischen Konsens jener Zeit ins Bewusstsein gehoben hat.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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