Bewegung in der japanischen Atomdebatte (Briefe aus Japan 2)

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Ich teile wieder mit – vgl. die ersten Briefe aus Japan -, was mir mein in Tokyo lehrender Freund, der Japanologe Prof. Reinold Ophüls-Kashima, über die Situation im Land berichtet hat:


27.6.2011

Lieber Michael,

ich habe mit Interesse Deinen Artikel über den Parteitag der Grünen gelesen, und wie immer war er von der Frage geleitet, welchen Weg es zu einer grundsätzlichen ökologischen Wende geben könnte. Dein Artikel zu Fukushima ist mir so etwas wie ein Leitfaden geblieben, wegen der darin enthaltenden Frage, wie die japanische Gesellschaft darauf reagieren wird und ob sie eventuell zu einer Wende fähig ist. Man hört jetzt nicht nur manchmal Leute in der Bahn über Politik sprechen, sondern auch meine Studenten und noch mehr meine Studentinnen zeigen von sich aus ein großes Interesse an der Energiepolitik in Japan.

Deswegen ist es besonders bedauerlich, dass über die politischen Entwicklungen in Japan in den deutschen Medien kaum noch berichtet wird, und wenn, wie in einem ZDF-Beitrag, mit dem so falschen wie dummen Tenor, dass "Japan" aus Fukushima nichts gelernt habe. Heute hat mich meine Tageszeitung, die Asahi, ein liberales Mainstram-Blatt, mit einer so deutlichen Positionierung überrascht, wie ich es vor Monaten nicht für möglich gehalten hätte, und zwar in der Frage der Energiepolitik gegen die Vertreter der Japan-AG. Sie unterstützen den Ministerpräsidenten, der selbst von Teilen seiner Partei zum Rücktritt aufgefordert wird, in seinem Entschluss, ein "Erneuerbare-Energie-Gesetz" durchzubringen. Naoto Kan, der ja die wohl durch Erdbeben und Tsunami gefährdetste AKW-Anlage in Hamaoka hat vorläufig stilllegen lassen, will in dem Gesetz nicht nur die "Natur-Energie", wie die neuen Energien hier heißen, fördern, sondern auch dezentrale Strukturen wie mittelständische Unternehmen. Hier ist es übrigens so, dass es vor allem der Staat ist, der Großstrukturen unterstützt und dabei mit den Großkonzernen zusammenarbeitet. Kan vertritt also zur Zeit eine Position, wie sie etwa Hermann Scheer in Deutschland repräsentierte, und die Asahi hat sich anscheinend entschlossen, ihn darin zu unterstützen. Sein wichtigster Verbündeter in der Regierungsbürokratie ist das Umweltministerium.

Auf der anderen Seite steht das Wirtschaftsministerium, die konservative langjährige Regierungspartei LDP (allerdings nicht geschlossen; in Fukushima lehnt die LDP inzwischen die Kernenergie ab) und die Großindustrie, vor allem die regionalen Energiekonzerne. Ein eher unfreiwilliger Verbündeter sind die Gouverneure derjenigen Präfekturen, in denen die Reaktoren (insgesamt 54) stehen, denn sie haben alle große Bedenken, zwecks Inspektion die Genehmigung zum Hochfahren heruntergefahrener Reaktoren zu geben. Da die Hälfte aller Reaktoren jeweils heruntergefahren sein muss und zum Hochfahren jeweils die Genehmigung des Betreibers, des zuständigen Gouverneurs und des Bürgermeister der Gemeinde, in dem die AKWs stehen, nötig ist, stehen die Gouverneure in der Verantwortung. Der schon vor Fukushima als Atomkraft-Gegner bekannte Gouverneur der Präfektur Fukui, in der allein 15 Reaktoren stehen (in einer Anlage wurde schon mal ein Störfall vertuscht), weigert sich beharrlich, der Forderung des Wirtschaftsministeriums, einige Reaktoren wieder hochfahren zu lassen, nachzukommen. Es geht dabei durchaus um viel, weil Fukui den Strom für Kansai, den Großraum mit den Metropolen Osaka, Kyoto und Kobe liefert. Die Region ist zu 50% vom Atomstrom abhängig, der höchste Wert in Japan.

Eine wahrscheinlich konsensfähige Mittelposition nimmt der Gouverneur von Osaka ein, der populäre, populistische und regionalistische Toru Hashimoto. Er tritt öffentlich für die Abschaltung älterer Reaktoren und den Verzicht auf neue AKWs ein. Er ist durchaus kein Linker, was sich darin zeigt, dass er die Lehrer dazu verpflichtet hat, beim Abspielen der Nationalhymne aufzustehen.

Eine andere, extreme Position bezieht der Gouverneur von Tokyo, der berüchtigte Shintaro Ishihara: er meint, dass nicht nur AKWs, sondern auch eine atomare Bewaffnung angesichts der wachsenden chinesischen Bedrohung unabdingbar seien; die Konsequenz wäre eine Militärregierung. Sein Sohn ist übrigens Generalsekretär der LDP, der die Angst vor der Kernkraft kürzlich, nach Fukushima, noch als "Hysterie" bezeichnet hat.

Es gibt noch einen anderen Aspekt, der kaum beachtet wird, nämlich die Entfremdung der Japaner von der Welt. Die Massenflucht der Ausländer hat die Japaner durchaus nicht kalt gelassen, und die Schließung der deutschen Botschaft in Tokyo für zwei Monate hat dazu geführt, dass der deutsche Botschafter in Japan nun eine "persona non grata" ist. Es kommen nicht nur viel weniger Touristen ins Land, sondern auch die Japaner fahren nun weniger ins Ausland, weil sie im Fall eines Erdbebens in Japan bei ihren Freunden und Verwandten, in der Nähe ihres Hauses sein wollen. Ich habe übrigens auch selbst darauf verzichtet, dieses Jahr nach Europa zu fliegen. Zusammen mit den allgemeinen Appellen zur nationalen Solidarität und zum Aufbauwillen wird dies sicher Spuren im Bewusstsein der Japaner hinterlassen.

Herzliche Grüße,

Dein Reinold

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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