Der Himmelsküsser

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Zum 40. Todestag von Jimi Hendrix

Als ich mein Kinderakkordeon gegen die erste Gitarre eintauschte, war Jimi schon zwei Jahre tot, aber mein Gitarrenlehrer Hannes hatte ihn noch live bei seinem letzten Auftritt auf der Insel Fehmarn gesehen. Der Auftritt sei ein musikalisches und menschliches Desaster gewesen, statt eines Gitarrengottes schattete ein Drogenwrack über die Bühne und zwölf Tage später wurde Hendrix tot im Londoner Samarkand Hotel aufgefunden, voll mit Alkohol und Schlaftabletten und an seinem Erbrochenen erstickt.

Diese traurige Geschichte hatte die Begeisterung meines Lehrers für Hendrix' Musik kein bisschen geschmälert, vielleicht war sie sogar mit ein Grund für seine fast kultische Verehrung, und so bekam ich zum Ende jeder Unterrichtsstunde was von Hendrix zu hören, zuerst von Platte, dann so halbwegs nachgespielt von Hannes, manches Stückerl fünfmal hintereinander. Und obwohl ich eigentlich noch etwas zu jung war für die Droge des hippie-erweiterten Denkens und Fühlens, empfand ich doch bald genau wie Hannes jenen genialen Lärm als rebellische und einzig legitime Ansage gegen die musikalische Spießigkeit, gegen das ganze Ohrwurmgesäusel, Polkagehopse und Dschingderassabumm des links-zwo-drei-vier meiner Kindheit, die ich so gern hinter mir lassen wollte.

Als dann irgendwann mein Zusammengespartes reichte, war meine erste E-Gitarre natürlich auch eine Stratocaster, so eine wie Jimi gespielt hatte, und nach und nach kamen ein paar Fußpedale nebst ausgewachsenem Marshall-Turm dazu, aber irgendwie bekam ich den Sound nie hin. Doch außer meinem spieltechnischen Unvermögen musste es noch einen anderen Grund dafür geben, einen geheimen Zauber, der mir und auch Hannes verschlossen blieb.

http://www.coaching-kiste.de/fotos/hendrix.jpgAuf die Suche nach diesem Zauber macht sich auch die Jimi-Hendrix-Biographie, die der Musik- und Kulturphilosoph Klaus Theweleit zusammen mit Rainer Höltschl vergangenes Jahr vorgelegt hat. Will ich hier nicht weiter besprechen, da das bereits Willi Winkler ausführlich in der Süddeutschen Zeitung getan hat; verraten sei aber, dass manche Fans das Geheimnis für dieses ins Transzendente reichende Zauberspiel in der Version sehen, die Hendrix selber gern verbreitete: dass ihn "Außerirdische auf einer Parkbank in Birmingham abgesetzt hätten, dass er also, vaterlos, mutterlos, schwerelos, wie er war, gar nicht anders konnte als zur Gitarre zu greifen und das zu spielen, was ihm fehlte: der Weltraum, das All, das Fernferne da draußen. 'xcuse me while I kiss the sky."

Und dann machte er sich schnell wieder vom Menschenacker, bevor die epigonalen Pragmatiker der Rockmusik auf uninspirierten Verzweiflungs-Revival-Tourneen rumzuhampeln begannen oder bei Gottschalk als Wettpaten die anarchistischen Ideale für Quote und Gnadenbrot verrieten - too old to die young...

Dieser Stoff, mit dem der irrationale Himmelsküsser freakige Jugendträume befeuerte, wirkt auch heute noch, wie die Zugriffszahlen hunderttausender YouTuber zeigen. Am Nachhaltigsten vielleicht in seinen lasziv-melancholischen, filigranen Songs aus einer Traumzeit in Trance wie etwa The Wind Cries Mary (live at Monterey 1967):






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Geschrieben von

oxnzeam

Notizen, Essays und Rezensionen zu Kultur, Medien, Literatur und Gegenwartsphilosophie

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